Stimmen sammeln gegen Schulreform

Ab heute können Hamburger für das Volksbegehren „Bildung ist keine Ware“ unterschreiben, das sich gegen die Privatisierung der Berufsschulen richtet. Die Wirtschaft fordert einen neuen Träger, Lehrer und Schüler fürchten ihn. Ein Pro & Contra

Von Hans-Jörg Schmidt-Trenz

Es wird bei der Berufsschulreform keine Privatisierung geben. Wir, die Hamburger Handelskammer, befürworten vielmehr die Gründung eines öffentlich-rechtlichen Trägers, in dem die Wirtschaft zwar mitgestaltet, die Politik aber das letzte Wort hat.

Die Politik fordert die Wirtschaft seit Jahren auf, mehr Verantwortung zu übernehmen. Die wollen wir übernehmen. Mit mehr Verantwortung und größeren Einflussmöglichkeiten werden wir neue Betriebe für die duale Ausbildung gewinnen.

Wir wollen mit der Reform der Beruflichen Schulen mehr Lehrstellen, mehr Praxisnähe der Ausbildung und bessere berufliche Zukunftsperspektiven für Azubis erreichen. Davon profitiert der Standort Hamburg auf allen Ebenen: Die Unternehmen sichern ihren Fachkräftenachwuchs; zugleich verbessern die Schulabgänger ihre Chancen auf dem Ausbildungsmarkt und die Lehrlinge ihre Perspektiven auf dem Arbeitsmarkt nach Beendigung ihrer Ausbildung.

Besonders die Schulen werden durch eine engere Verzahnung mit der Wirtschaft nur gewinnen, denn sie können ihre Unterrichtsinhalte noch gezielter der betrieblichen Realität anpassen. Die Schüler werden es ihnen später danken.

Nach unserer Auffassung brauchen die Beruflichen Schulen eine Differenzierung nach dem Bildungsniveau der Jugendlichen zu Beginn der Ausbildung und eine stärkere Branchenorientierung, um auf diese Weise ihr Markenprofil zu stärken. Für die Steuerung werden Instrumente des Qualitätsmanagements wie zum Beispiel Personal- und Organisationsentwicklung sorgen. Und über ihr Finanzbudget und Personal soll jede Schule zukünftig selbst entscheiden können.

Mit dem im Hamburger Ausbildungskonsens verabredeten Weg sind dafür nun die Voraussetzungen geschaffen worden. Es gibt eine breite Unterstützung für die Berufsschulreform – wie eine entsprechende Resolution von 42 Hamburger Kammern, Innungen und Verbänden eindrucksvoll bewiesen hat. Ich bin deshalb sehr zuversichtlich, dass auch die Schulen die Chance der Zusammenarbeit mit der Wirtschaft ergreifen werden.

Fotohinweis: Hans-Jörg Schmidt-Trenz (44) ist habilitierter Volkswirt und seit 1996 Hauptgeschäftsführer der Hamburger Handelskammer.

von Bernd Viet

Die Handelskammer fordert es, und der Senat will es 2005 umsetzen: Die staatlichen Beruflichen Schulen, mit 60.000 SchülerInnen und 3.500 Beschäftigten der größte Schulbereich, sollen ausgegliedert und auf einen wirtschaftsnahen Träger, in eine Stiftung oder andere Rechtsform übertragen werden. Wir erleben hier ein Lehrstück, wie wirtschaftliche Macht ausgeweitet werden soll – rücksichtslos gegen alle Bedenken.

Die Handelskammer, selbst eine Interessenvertretung der Unternehmen per Zwangsmitgliedschaft, will über die Bildung von rund 60 Prozent der Jugendlichen in Hamburg bestimmen. Es soll ein Pilotprojekt für ganz Deutschland und für alle anderen Bildungsbereiche sein. Sie nennen es „Übernahme von Verantwortung“ und reden von „Qualitätsverbesserung“. Gemeint ist aber: sie möchten bestimmen. Und zahlen soll weiterhin der Steuerzahler.

Womit wir dann rechnen müssen, zeigen Forderungen der Handelskammerfunktionäre der vergangenen Jahre: Die Berufsschulzeit soll verkürzt werden, allgemeinbildender Unterricht ist aus ihrer Sicht überflüssig. So wurde unter anderem auf Kammer-Forderung hin der Sportunterricht an den Berufsschulen abgeschafft und nur nach massiven Protesten wieder eingeführt.

Staatliche Vollzeit-Ausbildungsgänge sind der Handelskammer von jeher ein Dorn im Auge. Stattdessen sollen zweijährige Kurz-Ausbildungsgänge wie etwa zur Garderobenfachfrau eingeführt werden, die den Jugendlichen keine Perspektive geben. Bildungsgänge, die zum Hauptschulabschluss, der Mittleren Reife oder dem Fachabitur führen, sollen massiv reduziert werden. Die zweijährige Fachoberschule ist schon gestrichen.

Jede dieser Veränderungen und Forderungen war mit dem Versprechen der Wirtschaftsverbände verbunden, künftig mehr Ausbildungsplätze zur Verfügung zu stellen. Tatsache ist aber, dass in Hamburg weit weniger ausgebildet wird als im Bundesdurchschnitt. 25 Prozent aller Betriebe bilden bundesweit aus, in Hamburg sind es nur 16 Prozent.

„Schulen sollen wie Unternehmen geführt werden“, so die Bildungssenatorin. Deshalb sollen Mammut-Bildungszentren mit über 4.000 SchülerInnen gebildet werden. Das wollen wir nicht! Wir wollen, dass Schulen pädagogische Einrichtungen bleiben.

Fotohinweis: Bernd Viet ist Sprecher der Volksinitiative „Bildung ist keine Ware“. Der 53-jährige Handelslehrer ist Personalrat für die Berufsschulen.