Dämme verursachen verheerende Flut in Indien

Der Narmada-Fluss ist über die Ufer getreten und zerstört die Felder und Häuser der dort lebenden Menschen. Dennoch will sich Siemens am Bau eines weiteren Damms beteiligen. Fian ruft per Brief zur Unterstützung der Betroffenen auf

POONA taz ■ Nach schweren Regenfällen ist der Narmada-Fluss in Zentralindien an vielen Stellen über die Ufer getreten. Tausende von Dorfbewohnern mussten in der vergangenen Woche Haus und Hof verlassen. In den Siedlungen am Fluss herrschen Trinkwasser- und Nahrungsmangel, Infektionskrankheiten breiten sich aus. Doch anders als beider Flutkatastrophe in Ostindien und Bangladesch landen hier keine internationalen Hilfsgüter.

Denn Grund für die Flut sind mehrere riesige Staudämme, die in den vergangenen Jahren in den Flusslauf betoniert wurden. Nach starken Regenfällen können sich aufgrund des Staus hinter den Dämmen verheerende Springfluten bilden. So wurden hunderte von Bauernhäusern in der engen Hapeshwar-Schlucht durch den Stausee des Sardar-Sarovar-Damms überflutet. Ihre Bewohner, in der Mehrzahl Angehörige des indigenen Volks der Bhil, stehen vor dem Nichts. Die Ernten sind vernichtet, Häuser und Vorratsspeicher wurden überflutet. Von Krankheiten geplagt, halten die Menschen dennoch an ihrer dem Untergang geweihten Heimat fest: „Wir sind für ein Leben im Wald geboren, woanders finden wir uns nicht zurecht“, erklärt die Bäuerin Pervi Bhilala aus Domkhedi.

In den 60er-Jahren entwarfen die Regierungen der Unionsstaaten Gujarat, Maharashtra und Madhya Pradesh Pläne zum Bau von dreißig Großstaudämmen und hunderten kleinerer Wehre über die Narmada und ihre Nebenflüsse in Zentralindien. Sie wollen damit Strom und Wasser für die Landwirtschaft, für neue Industrien und stetig wachsende Städte gewinnen.

Die in Serie geplanten Staudämme verwandeln den Unterlauf des Flusses in einen 500 Kilometer langen künstlichen See. Hunderttausende von Hektar fruchtbaren Ackerlandes und tropischer Wälder gehen unter. Mehr als eine Million Bauern, Ureinwohner und landlose Arbeiter müssen den Fluten weichen. Seit 15 Jahren leisten die Betroffenen gewaltfreien Widerstand in der „Bewegung für die Rettung der Narmada“. Die 1991 mit dem Alternativen Nobelpreis ausgezeichnete Protestbewegung kritisiert die Staudammprojekte als sozial unausgewogen und ökologisch riskant. Die jüngsten Ereignisse geben ihr Recht.

Im vergangenen Juli mussten 30.000 Bewohner die Kleinstadt Harsud verlassen, weil der nahe Narmada-Sagar-Damm kurz zuvor auf seine volle Höhe von 92 Metern ausgebaut worden war. Die Behörden wiesen ihnen Wellblechhütten auf einer weiten, baumlosen Ebene zu, ohne jegliche Infrastruktur. Mit Geldprämien hatte die Regierung die Einwohner überzeugt, ihre Häuser eigenhändig zu zerstören, sodass eine Rückkehr mittlerweile unmöglich geworden ist.

Auch die deutsche Industrie ist an den Projekten beteiligt. Der Siemens-Konzern baut mit an einem weiteren Staudamm über den heiligen Fluss. Nachdem das Engagement deutscher Firmen und Banken beim Bau des Maheshwar-Staudamms vor mehreren Jahren am Widerstand indischer und deutscher NGOs scheiterte, laufen nun Verhandlungen mit internationalen Banken zur Finanzierung des Omkareshwar-Projekts.

Die Menschenrechtsorganisation Fian rief gestern zu einer Eilaktion zur Unterstützung von rund 1.500 Familien in der Region Maharashtra auf. Die von den Familien genutzten Äcker und Weiden drohen ebenfalls beim Einsetzen des Monsunregens überflutet zu werden. Die Regierung habe den Betroffenen zwar Land zum Ausgleich angeboten. Dieses ist aber laut Fian landwirtschaftlich nicht nutzbar. Nähere Informationen und ein Musterbrief an den Ministerpräsidenten Indiens und die regionale Regierung sind auf der Fian-Website erhältlich.

RAINER HÖRIG

www.fian.de