Zwei Farben Grau

Gerhard Richter hat der Gemäldegalerie Neue Meister in Dresden 41 seiner Werke als Dauerleihgabe überlassen. Darunter auch solche, die die Nazizeit aus der Familienperspektive Richters behandeln

VON ROBERT HODONYI

Nein, als ein geschichtsträchtiger Tag sei die Ankunft in seiner Geburtsstadt nicht zu werten. In den letzten Monaten hätte er Dresden ja schon öfters besucht. Für Gerhard Richter (72), der am vergangenen Freitag im Rahmen einer Pressekonferenz drei neue Räume mit seinen Bildern, Glas- und Spiegelarbeiten in der Galerie Neue Meister im Albertinum einweihte, sei Bedingung der Kooperation mit den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden gewesen, so der Künstler mit einem Augenzwinkern, dass der „graue Kasten“ erst einmal renoviert werde. Richter, der sonst eigentlich nichts gegen die Farbe Grau einzuwenden hat, meinte damit die leicht heruntergekommenen Räume im zweiten Obergeschoss des Albertinums.

Hier sind jetzt an frisch geweißten Wänden 41 Werke ausgestellt, die einen Querschnitt der letzten 40 Jahre seines Schaffens zeigen. Damit besitzt Dresden eine der weltweit größten Richter-Sammlungen überhaupt und kann selbst mit dem MoMa-Bestand konkurrieren. Die Dauerleihgaben aus dem Besitz des Künstlers und privater Sammler führten dementsprechend zu einer veränderten Konzeption der Galerie Neue Meister. Seltsam selbstkritisch heißt es dazu im Katalog: „Er gibt den ins Schwimmen geratenen Staatlichen Kunstsammlungen Dresden Halt, indem er die für ein Museum der modernen Kunst existenzbedrohende Lücke im Bereich der Gegenwartskunst mit einem Block von herausragenden Werken exemplarisch schließt. […] Dieser Vorgang ist für das Albertinum mehr als nur ein Glücksfall, es eröffnet nach mehr als 70 Jahren Perspektiven für eine veränderte Zukunft, weil mit Gerhard Richter die Gegenwart auf einem ganz neuen Niveau in den Dresdener Museen Einzug hält.“

Hatte man es bisher versäumt, Gegenwartskunst repräsentativ und breit auszustellen, unter anderem, weil man konsequent an den traditionellen Schwerpunkten der Galerie – der romantischen Malerei des 19. Jahrhunderts sowie der klassischen Moderne – festhielt, bedeuten die drei Richter-Räume zugleich eine stärkere Orientierung auf das späte 20. Jahrhundert, wie bereits im neuen Titel der Dauerpräsentation deutlich wird: „Von Caspar David Friedrich bis Gerhard Richter“.

Richter, der sich als Betriebsmaler für Agitprop-Transparente durchschlug, bevor er 1952 an der Dresdener Kunstakademie angenommen wurde, hat die Hängung und Auswahl der Werke in Eigenregie ausgeführt. Das älteste Bild in der Ausstellung stammt von 1963, aus demselben Jahr, in dem der Künstler zusammen mit Konrad Lueg in einem Düsseldorfer Möbelhaus die berühmte Ausstellung „Leben mit Pop – Eine Demonstration für den Kapitalistischen Realismus“ in Szene setzte. Arbeiten aus seiner Dresdner Zeit, die 1961 mit der Übersiedlung in die Bundesrepublik endete, sind nicht zu sehen. Die meisten dieser Arbeiten gelten allerdings als verschollen. Über Jahre wollte der Künstler auch nichts von seiner Dresdner Vergangenheit wissen. Und von der Vergangenheit, die in diese Vergangenheit hineinragte.

Trotz der berühmten Bilder, die die Nazizeit aus der Familienperspektive behandeln, wie „Onkel Rudi“, wusste Richter bis heute nichts von der verbrecherischen Medizinkarriere seines Schwiegervaters, Heinrich Eufinger, wie jetzt ein Artikel im Berliner Tagesspiegel enthüllt. „Herr Heyde“, das Porträt des Strategen des Euthanasieprogramms, funktioniere wie eine klassische Deckerinnerung Richters bezüglich seines Schwiegervaters, meint der Autor Jürgen Schreiber.

Die Konzeption der neuen Richter-Räume in Dresden bestimmt keine lineare Erzählstruktur oder chronologische Anordnung. Im ersten Raum dominieren die auf Grundlage des inzwischen selbst zum Kunstwerk avancierten „Atlas der Fotos, Collagen und Skizzen“ entstandenen fotorealistischen Arbeiten der Sechzigerjahre wie „Tote“ (1963), „Sekretärin“ (1964) oder „Motorboot“ (1965). Das für Richter wichtige Prinzip der Serie, die Anordnung von Werkgruppen zu Reihen, kann man ebenfalls im ersten Raum beobachten: Die Porträts der „Acht Lernschwestern“ (1971) korrespondieren etwa mit den unmittelbar darunter angeordneten gleichformatigen abstrakten Arbeiten, die Ende der Neunzigerjahre entstanden sind. Eines der neuesten Bilder, die Arbeit „14. Februar 1945“ (2002), stellt einen Bezug zu Dresden her: Die Stadtansicht aus der Luftperspektive nach dem Angriff der Alliierten in der Nacht vom 13. auf den 14. Februar 1945. Das Bild könnte leicht mit einer der vielen herkömmlichen Stadtansichten Richters verwechselt werden, wären da nicht die zahlreichen Bombenkrater. Man kann darüber nachdenken, ob es eventuell sinnvoll gewesen wäre, ein Bild aus dem zweiten Raum, nämlich „Onkel Rudi“ (1965/2000), das in typisch grauer Unschärfe und Verwischung einen lächelnden Deutschen in Wehrmachtsuniform zeigt, in unmittelbare Nachbarschaft des „14. Februar 1945“ zu hängen. Damit wäre ein Zusammenhang von Ursache und Wirkung hergestellt, der in Dresden ab und zu ausgeblendet wird, gerne dann, wenn Jörg Friedrich eine seiner Lesungen in der Stadt abhält.

Neben „Onkel Rudi“, den bekannten „Zwei Kerzen“ (1982), der Farbfeldmalerei aus den Siebzigerjahren, der etwas verloren wirkenden „Wolkenstudie“ (1970) und dem an die Vanitasmotivik angelehnte „Schädel“ (1983) befindet sich im zweiten Raum unter anderem auch das Bild „Fels“ (1989), welches Richter im November 2002 für die Auktion anlässlich der flutgeschädigten Staatlichen Kunstsammlungen gestiftet hatte. Für 2,6 Millionen Euro wurde das Gemälde damals in der Neuen Nationalgalerie neben Werken von Baselitz, Immendorff und Lüpertz versteigert. Der dritte neue Richter-Raum ist ganz den abstrakten Bildern vorbehalten, die größtenteils in den Neunzigerjahren entstanden sind und die jüngste Schaffensperiode des Künstlers markieren.

„Gerhard Richter im Albertinum Dresden“. Hrsg. von der Galerie Neue Meister, Albertinum und Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Walther König, Köln 2004, 30 €