Eine Zone für Flüchtlinge

Die EU-Kommission will einen Ring von „sicheren“ Staaten schaffen, in die sie ihre Flüchtlinge abschieben kann

AUS BRÜSSELDANIELA WEINGÄRTNER

Die Flüchtlingsorganisationen halten sich bedeckt. Weder UNHCR noch Human Rights Watch in Brüssel wollen derzeit darüber spekulieren, ob Rocco Buttiglione, der designierte Kommissar für Asylfragen, in die Fußstapfen seines Vorgängers, des Portugiesen Antonio Vitorino treten wird. Vitorino lagen humanitäre Fragen und eine liberale Einwanderungspolitik am Herzen. Seine Gesetzesentwürfe gingen den Regierungschefs oft zu weit, trafen aber im Parlament auf breite Zustimmung.

Es sei voreilig, in der Ernennung eines Italieners in das Amt ein Zeichen dafür zu sehen, dass die EU sich künftig noch mehr als bisher abschotten wolle, sagte ein Mitarbeiter von Human Rights Watch der taz. In der Regierung Berlusconi sei Buttiglione politisch am der Lega Nord entge-gengesetzten Ende der Skala einzuordnen. Beim UNHCR will man die Anhörung des designierten Kommissars Ende September vor dem Europaparlament abwarten, bevor man eine erste Stellungnahme abgibt.

Die Probleme, die den neuen Kommissar erwarten, werden jedenfalls die alten sein. Offiziellen Statistiken zufolge kamen seit Anfang 2002 mehr als 1.000 Menschen bei dem Versuch ums Leben, sich Zutritt zum Paradies Europa zu verschaffen. Diese Zahl lässt nur ahnen, wie viele Tote es tatsächlich gab. Man darf davon ausgehen, dass der Abschreckungseffekt solcher Nachrichten von den Regierungen einkalkuliert ist – und er greift.

In der gesamten Union hat sich die Zahl der Asylanträge in den letzten zehn Jahren halbiert. 2003 waren es noch einmal zwanzig Prozent weniger als im Vorjahr. Mit Ausnahme Sloweniens verzeichnen auch die neuen EU-Staaten diesen Trend. In Polen zum Beispiel, das nun anstelle Deutschlands die lange Binnengrenze Richtung Osten abzuschotten hat, gab es im ersten Quartal 2004 ein Drittel weniger Anträge als im letzten Quartal des Vorjahres.

In Deutschland sanken die Bewerberzahlen 2003 auf den niedrigsten Stand seit 1984. Nur noch 50.450 Menschen füllten einen Antrag aus. Da sich die EU-Staaten darauf geeinigt haben, dass stets das erste Einreiseland für den Flüchtling zuständig ist, hat Deutschland nur noch mit Asylbewerbern zu tun, die per Flugzeug anreisen.

Welches Lager soll es sein?

Der Vorschlag des deutschen Innenministers, Flüchtlinge in Auffanglagern Nordafrikas unterzubringen und dort die Asylprozedur einzuleiten, bevor sie sich auf die gefährliche Bootsfahrt übers Mittelmeer machen, hat die deutsche Öffentlichkeit aufgeschreckt. Auch in der EU-Kommission wird darüber nachgedacht, wie der Druck auf die EU-Außengrenzen verringert werden kann, ohne die Grundsätze der Genfer Flüchtlingskonvention vollends über Bord zu werfen.

Im Haus des dafür noch bis Oktober zuständigen Kommissars Antonio Vitorino wird an ei-nem Modell gearbeitet, die Flüchtlinge künftig näher an der jeweiligen Krisenregion unterzubringen. Auch das UN-Flüchtlingshilfswerk denkt über solche Lösungen nach. Sie unterscheiden sich dadurch von dem Schily-Vorschlag, dass eine spätere Einreise nach Europa dabei ausgeschlossen wird.

Anerkannte Asylbewerber sollen zum Beispiel in nordafrikanischen Lagern versorgt werden, bis sich die Lage in ihrer Herkunftsregion verbessert hat. Die EU würde sich finanziell an der Ausstattung solcher Lager beteiligen, damit eine menschenwürdige Unterbringung garantiert werden kann.

Die Kommission hat mit mehreren Ländern, unter anderem Marokko, entsprechende Verhandlungen aufgenommen. Im Gegenzug bietet die Union höhere Entwicklungshilfe und eine Einwanderungsquote in die EU für Staatsbürger des kooperationswilligen Landes an. Bislang allerdings sind die Reaktionen der Verhandlungspartner verhalten. Nur Libyens Staatschef Gaddafi bot bei seinem Besuch in Brüssel vor drei Monaten von sich aus an, den Europäern den Ärger abzunehmen und entsprechende Lager in der Wüste einzurichten. Als Gegenleistung verlangte er die volle politische Rehabilitation seines Landes.

Welches Land ist sicher?

Fünf Jahre nach dem Gipfeltreffen im finnischen Tampere sind die Europäer so uneins wie eh und je, wie es mit der europäischen Flüchtlings- und Migrationspolitik weitergehen soll. Zwar wurde der dort verabredete Termin eingehalten und Ende April bei der Innenminister-Tagung in Luxemburg die noch fehlenden Richtlinien zum Asylverfahren und zur Definition des schutzwürdigen Personenkreises beschlossen.

Doch Hilfsorganisationen kritisieren, es sei nur der kleinste gemeinsame Nenner erreicht worden. Vor allem die auf deutsches Drängen eingefügte Klausel, dass Flüchtlinge in als sicher geltende Durchreiseländer zurückgeschickt werden können, lehnen die Kritiker ab.

Bislang galten Länder, mit denen Brüssel Beitrittsverhandlungen führt, als sicher. Darüber hinaus bemüht sich die EU, mit möglichst vielen Ländern Rücknahmeabkommen zu schließen. So soll versucht werden, eine weitere Pufferzone um die Union aufzubauen. Länder wie Russland, mit denen die EU ein Assoziationsabkommen hat, könnten zu sicheren Drittstaaten erklärt und verpflichtet werden, Transitflüchtlinge zurückzunehmen. Pro Asyl warnt vor einem „Dominoeffekt“, bei dem der Flüchtling von einer Pufferzone in die nächste geschoben wird, bis er im Herkunftsland wieder angekommen ist.

Mehr Geld für Flüchtlinge?

Wenn diese Entwicklung durchbrochen werden soll, müssen die Lasten gerechter verteilt werden. Nicht nur zwischen den unterschiedlich stark von dem Problem betroffenen EU-Ländern, sondern auch zwischen dem reichen Europa und den armen Nachbarregionen der Krisengebiete.

Seit 2000 gibt es dafür den Europäischen Flüchtlingsfonds (EFF). Seine Aufgaben sind so vielfältig wie seine Mittel begrenzt. Bislang stehen jährlich 40 Millionen Euro im EU-Haushalt. 80 Prozent davon werden unter den Mitgliedsstaaten verteilt, nach einem Schlüssel, der sich aus Asylbewerber- und Einwohnerzahl errechnet.

Der EFF beteiligt sich an Projekten innerhalb der Union, die Unterbringung, Betreuung und Integration von Asylbewerbern verbessern sollen. 20 Prozent der Mittel fließen in Rückkehrprogramme, berufliche Bildungsmaßnahmen für bessere Startchancen und Beratungsstellen zur Wiedereingliederung im Herkunftsland.

Im Februar hat die EU-Kommission Bilanz gezogen und festgestellt, dass der EFF mehr Geld braucht, wenn er „mehr als Symbolcharakter“ haben soll. Da sich die gemeinschaftliche Asylpolitik nicht wie gewünscht entwickle, sollten vor allem Projekte gefördert werden, die vorbildliche nationale Lösungen auf Gemeinschaftsebene übertragen.

Die Kommission schlägt vor, die Mittel schrittweise aufzustocken. Ab 2008 sollen jährlich 150 Millionen Euro im Topf sein, zusätzlich zu den anderen Programmen, die die Eingliederung von Flüchtlingen und Migranten fördern und zusätzlich zu den Mitteln für die Europäische Grenzagentur.

Diese Agentur, die von der Kommission im letzten Herbst angeregt wurde, soll bereits nächstes Jahr ihre Arbeit aufnehmen. Zunächst 30 Mitarbeiter sollen die nationalen Grenzbehörden bei ihrer Arbeit beraten und fortbilden. Die geplanten Mittel hierfür sind bescheiden: 6 Millionen Euro im Jahr will sich die EU die Lastenverteilung an den Außengrenzen kosten lassen. Angesichts der Probleme, denen sich Italiens Küstenwache jede Nacht gegenübersieht, ein Tropfen auf den heißen Stein.

Bei einem Treffen Mitte August in der Toscana verabredete der italienische Innenminister Giuseppe Pisano mit seinem deutschen Kollegen Schily, das Konzept exterritorialer europäischer Lager schriftlich zu skizzieren und die Pläne im Oktober in Florenz beim G-5-Treffen der größten EU-Länder mit Großbritannien, Frankreich und Spanien zu besprechen. Beim Fachministerrat Ende Oktober sollen alle EU-Mitglieder dazu gehört werden. Antonio Vitorino sitzt dann zum letzten Mal als zuständiger Kommissar mit am Tisch.