Jeab darf kein Weichei sein

Der Liebesfilm „Fan Chan – My Girl“ war vergangenes Jahr in Thailand ein Kassenschlager. Jetzt läuft er in Berlin

Die Gegend, in der dieser Film spielt – die thailändischen Provinz – ist zwar zehn Flugstunden und vermutlich eine weitere lange Busreise entfernt, trotzdem fühlt sich alles vertraut an. Bahngleise, um die man als Kind einen Bogen machen sollte, oder die Straße, die man auf keinen Fall überqueren durfte – das sind internationale Grenzen, mit der vermutlich jedes Kind auf der ganzen Welt aufwächst.

Natürlich scheint das Gras auf der anderen Seite immer ein bisschen grüner. Mit diesem Dilemma lebt auch Jeab, der Protagonist von „Fan Chan – My Girl“. Auch er wohnt ab vom Schuss. Erst jenseits der großen Straße, dort, wo er nicht hindarf, geht die Stadt so richtig los. Zwar hat Jeab in Noi-Naa (Focus Jirakul), in der smarten, hübschen Nachbarstochter, die tollste beste Freundin, die man sich wünschen kann. Doch an Jeab nagt die Verachtung, die ihm die anderen Jungs auf der anderen Straßenseite entgegenbringen. Jeden Morgen muss der zarte, verträumte Junge im Schulbus an ihnen vorbei. Sie piesacken ihn ohne Unterlass. Um endlich bei ihnen zu punkten, reicht es nicht, ihrer Fußballmannschaft zum Sieg zu verhelfen. Er muss seinen Ruf als Weichei loswerden, muss Mädchen quälen – auch und besonders seine beste Freundin. Kurz darauf zieht Noi-Naa mit ihrer Familie um – viel weiter weg als hinter die Hauptstraße. Und Jeab bleibt die Aussöhnung mit Noi-Naa versagt.

Natürlich hat Noi-Naas Wegzug nichts mit Jeabs Verrat zu tun. Das lindert jedoch nicht die Scham, die ihm 20 Jahre später, auf dem Weg zu ihrer Hochzeit, immer noch in den Knochen sitzt. Diesen Aufhänger in der Gegenwart für diese sentimentale und doch ganz kitschfreie Liebesgeschichte, die vom Verlust der kindlichen Unbefangenheit erzählt, hätte es aber gar nicht gebraucht. Fast stört sie sogar die schwebende Leichtigkeit, die den Film ausmacht und für die die darstellenden Kinder verantwortlich sind – alle hatten bis dahin keine Schauspielerfahrung und setzen die zarte Melancholie der Geschichte erstaunlich subtil um. „Fan Chan – My Girl“, der letztes Jahr in Thailand ein Kassenschlager war, ist atmosphärisch stimmig und aus einem Guss. Das ist besonders erstaunlich, da der Film ein Gemeinschaftswerk von sechs Regisseuren ist. Die Gruppe ging zusammen auf der Filmhochschule – und obwohl die Produktionsaufgaben verteilt waren, durfte jeder bei den Kernfragen mitreden. So ist die Geschichte ein Destillat geteilter Erinnerungen geworden, die sich doch, wie es scheint, immer ein wenig ähneln. STEPHANIE GRIMM

Thailand, 2003, 110 Min, Regie: Vitcha Gojiew u. a. Mit Charlie Trairattana u. a. Termine siehe Programm