exilkonsummesse
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Sie möchte alles haben, bevor es ein anderer kriegt. Andererseits will sie sein wie alle anderen. Nein, nicht von Judith Goldberg ist die Rede, sondern von der Rolle, die sie spielt. Im finalen Parcours der „Exilkonsummesse“ im Bunker unter dem Hamburger Hauptbahnhof nämlich – einem Wohn-Schauspiel-Projekt, das derzeit in allabendliche theatrale Performances mündet.

Den besten Platz also will „Die Konsumierende“ ergattern, und das ist gar nicht absurd: „Während des Krieges gab es tatsächlich Leute, die sozusagen immer parat standen, um bei Alarm gute Plätze zu bekommen“, sagt die Schauspielerin. „Wir haben lange überlegt, welche Art von Mensch das sein könnte.“ Die Antwort: ängstliche natürlich, so ängstlich wie jene, die im Zenit kapitalistischen Konsums alles an sich reißen. Die alles ausprobieren, was die Werbung ihnen als glückverheißend suggeriert. „Sie versuchen zu sein wie die vermeintlich anderen – und begreifen gar nicht, dass es sich dabei um einen Mythos handelt. Sie sind letztlich tragische Figuren: Ihnen gelingt weder die totale Anpassung, noch können sie je ganz sie selbst sein“, sagt Goldberg, die eine kleine, winzige Parallele zu ihrem familiären Hintergrund sieht: „Meine Eltern sind russische Juden, für die es ja auch nirgends ein Land gab. Stattdessen immer wieder Versuche, sich zu assimilieren, nicht aufzufallen.“ Und wie fühlt sie selbst sich im Bunker? „Ich kann hier drin nicht schlafen“, sagt die Autodidaktin. „Das Gefühl des Eingeschlossenseins ertrage ich nicht. Und auch tagsüber vergesse ich nie, wo ich bin: Eine gewisse Bedrückung bleibt immer.“

Kollege Niklas Kohrt empfindet anders. Er genießt den WG-Aspekt des Projekts und moniert einzig die schmalen Pritschen. „Aber nach drei Nächten hat mir das nichts mehr ausgemacht. Es ist unglaublich, woran man sich gewöhnen kann.“ Kohrt, bald im dritten Jahr an der Berliner Schauspielschule „Ernst Busch“, spielt am Ruhm Gescheiterte, Deserteure, Verängstigte: Lessings „Philotas“, der eigentlich auf dem Schlachtfeld sterben wollte, einen US-Kriegsveteranen, der seine Morde nicht verkraftet, sowie einen desertierten Hitlerjungen, der Angst hat vorm Verrat. Inmitten eines Knabenchors mimt Kohrt diese Figuren, in ebenjener Pritschenlandschaft, gegen deren Suggestivkraft man schwer anspielen kann: „Dieser Raum ist ein so starkes Statement, dass man sich sehr zurücknehmen muss. Hier eine leichtfüßige Theatershow zu machen wäre wirklich heikel.“

Petra Schellen

Vorstellungen: 26.–28.8., 19 Uhr, Bunker im U-Bahntunnel am Hamburger Schauspielhaus. Einlass nur auf Vorbestellung unter Tel.: 28 05 17 91