Konsum und Kontrolle

Vom exotischen Tier zum Leitbild für die Gesellschaft: Der Teenager hat es in 50 Jahren weit gebracht. Das schlägt sich auf das Genre des Highschool-Films nieder, zu dem aktuelle Produktionen wie „Saved“ oder „Girls Club – Vorsicht bissig“ zählen

VON SVEN VON REDEN

Vor einem halben Jahrhundert wurde der Teenager im Kino erfunden. Zunächst war er wie ein exotisches Tier: Er wurde bestaunt, aber auch gefürchtet. Also musste er eingehegt werden. Er bekam das Fell über die Ohren gezogen und die Hörner gestutzt, dann erst konnte er in die menschliche Gesellschaft entlassen werden. Es war die Zeit der „juvenile delinquency movies“, der Halbstarken-Filme. Rock-'n'-Roll-Rabauken mit Schmalztollen und Lederjacken versetzten gute Bürger in Angst und Schrecken und ließen Mädchenherzen schmelzen.

„Blackboard Jungle“ („Die Saat der Gewalt“, 1955) heißt einer der ersten und erfolgreichsten dieser Filme. Ein junger Lehrer kommt an eine Schule in einem New Yorker Problemviertel und wird konfrontiert mit Chaos und Gewalt. Mit einer Mischung aus Härte und Verständnis gelingt es dem Kriegsveteranen, seine schwierigste Schlacht zu gewinnen: Er kann die jugendliche Meute bändigen – aus dem Dschungel wird wieder eine Erziehungsanstalt.

Cady sitzt in einer Shopping Mall. Von Ferne beobachtet sie Jugendliche, die um einen Springbrunnen versammelt sind, tratschen und flirten. Vor ihrem geistigen Auge wandelt sich plötzlich das Bild: Aus den Teenagern werden wilde Tiere, die um den besten Platz an der Wasserstelle kämpfen.

Cady ist die 15-jährige Heldin aus „Girls Club“ (Regie: Mark S. Waters), einem der US-Filme dieses Spätsommers, in deren Mittelpunkt das Highschool-Leben von Teenager-Mädchen steht. Cadys Eltern sind Zoologen, sie ist in Afrika aufgewachsen. In den USA muss sie sich nun den Rangordnungskämpfen an einer amerikanischen Highschool stellen. Es kommt ihr so vor, als lerne sie erst hier die Gesetze des Dschungels kennen, nach denen nur die Stärksten überleben.

Auch wenn „Girls Club“ und „Blackboard Jungle“ mit den gleichen Metaphern spielen, sie könnten unterschiedlicher kaum sein. 50 Jahre Teen- und Highschool-Filme – und damit 50 Jahre Annäherung an die Bedürfnisse des Teen-Marktes – haben die Perspektive des Genres vom Kopf auf die Füße gestellt. „Girls Club“ wird aus der Sicht von Cady erzählt, während „Blackboard Jungle“ noch völlig selbstverständlich die Position des Lehrers einnahm.

Mobbing muss sein

Im heutigen Teenfilm erzählen Jugendliche ihre Geschichte selbst. Das klingt wie eine Selbstverständlichkeit, ist aber für den kommerziell orientierten Jugendfilm relativ neu. Erst vor 20 Jahren wurde der Film-Teenager befreit aus der pädagogisch-moralischen Umklammerung der Erwachsenenwelt. Verantwortlich dafür war fast im Alleingang Produzent, Drehbuchautor und Regisseur John Hughes. Zwischen 1984 und 1986 brachte er erfolgreich vier Highschool-Filme in die US-Kinos, „16 Candles“, „Breakfast Club“, „Pretty in Pink“ und „Ferris Bueller's Day Off“. Sie leiteten eine neue Ära ein, denn sie begegnen den Teenagern auf gleicher Höhe, nehmen sie ernst und trauen ihnen auch komplexe Entscheidungen zu. Vor allem aber behandeln Hughes’ Filme die Erwachsenen mit ihren Institutionen als Problem und nicht die jungen Protagonisten.

Solch eine Parteinahme war man bis dahin eher von europäischen Autorenfilmern gewohnt: 1968 ließ Lindsay Anderson in „If“ Internatsschüler gegen die rigide Schulordnung rebellieren; sogar noch ihr finaler Amoklauf erschien als legitime Befreiung. Acht Jahre zuvor hatte Truffaut in „Les quatre cent coups“ den 15-jährigen Antoine Doinel alle Erziehungsinstanzen fliehen lassen – Schule, Familie, Erziehungsanstalt –, ohne ihm die Publikumsgunst zu entziehen. „Liberté, Égalité, Fraternité“ stand über dem Eingang von Doinels Schule, doch die autoritären Methoden und ungerechtfertigten Züchtigungen seines Klassenlehrers sprachen dem Motto Hohn.

Von Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit kann auch in den aktuellen US-Teenfilmen nicht die Rede sein, aber es sind nicht die Erwachsenen, die dies verhindern. Es sind die Teenager selber. Besonders die Mädchen legen untereinander enge Verhaltensregeln fest, bauen Beliebtheits-Hierarchien auf und sichern diese durch Intrigen, die Mobbing am Arbeitsplatz oder politisches Ränkespiel geradezu harmlos erscheinen lassen.

Die Schule ist nicht mehr Ort der institutionellen Zurichtung, sondern lediglich der einzige Platz, an dem die vielfach verzweigten Jugendsub- und subsubkulturen noch regelmäßig aufeinander treffen. Wurden in den Teenfilmen der frühen 80er lediglich die Prototypen „Jocks“ (Sportasse), „Nerds“, „Rebels“ und „Popular Girls“ unterschieden, macht sich etwa „Girls Club“ mit neuen Kategorien wie „Cool Asians“, „Mathletics“, „Sexually Active Band Geeks“ über jugendliche Abgrenzungsrituale lustig.

Eltern haben Verständnis

Die Lehrer haben in den aktuellen Filmen ihren Schrecken verloren: Sie sind verständnisvoll, meinen es gut, manchmal zu gut, haben aber keine Ahnung. Ähnliches gilt für die Eltern: Väter sind so gut wie abwesend; Mütter machen sich zu Witzfiguren, indem sie ihren Töchtern nacheifern. „Wie geht's denn meinen besten Freundinnen?“, ruft eine Mutter in „Girls Club“ ihrer Tochter und deren Freundinnen hinterher, „hier ist alles erlaubt. Ich bin eine coole Mutter.“ – „Sag einfach nichts“, erwidert die genervte Tochter.

Der einzige aktuelle Teenfilm, der so etwas wie Institutionskritik übt, ist Brian Danellys „Saved“, eine Satire über die Bigotterien an christlichen Highschools. Aber auch hier sind die Respektspersonen nicht mehr das, was sie einmal waren. Der Schulpastor etwa ist ein in die Jahre gekommener Jesus-Freak, der von seiner Frau getrennt lebt und sich von Single-Müttern anhimmeln lässt.

Die alten Feindbilder, gegen die Truffaut, Anderson und auch Hughes noch anrannten, haben sich aufgelöst. Dass Highschool-Filme die von Gilles Deleuze beschriebene Krise aller „Einschließungsmilieus“ und den Übergang von der Disziplinargesellschaft in die Kontrollgesellschaft wie kein anderes Filmgenre abbilden, ist nicht verwunderlich. Tom Holert und Mark Terkessidis haben bereits Mitte der 90er-Jahre in ihrem Buch „Mainstream der Minderheiten“ die Jugend selber als Motor dieses Wandels ausgemacht. Jugendliche Flexibilität wünschen sich mittlerweile alle: „Und so wurde die Jugend zu einem Instrument der ständigen Kontrolle: Sehe ich noch gut genug aus? Bin ich noch beweglich genug? Bin ich noch nicht zu alt für einen neuen Job? Habe ich diese Tapete nicht schon seit Jahren?“ Der Teenager hat es in 50 Jahren weit gebracht: vom exotischen Tier zum Leitbild für die gesamte Gesellschaft.

Das aktuelle Buch des amerikanischen Soziologen Murray Millner, „Freaks, Geeks, and Cool Kids: American Teenagers, Schools, and the Culture of Consumption“ argumentiert ähnlich. Für Millner, der zuvor über das indische Kastensystem forschte, spielen die Statussysteme an amerikanischen Highschools eine wichtige Rolle in der Entwicklung der amerikanischen Konsumgesellschaft: „Was amerikanische Sekundarschulen vielleicht am effektivsten lehren, ist der Wunsch zu konsumieren.“

Die zickigen „Queen Bees“, die mit ihren Adjutantinnen im Teenfilm die Schule im Griff haben, können sich diesen Wunsch auch leisten. Sie kommen aus wohlhabenden Familien, laufen mit Tüten edler Modedesigner rum und werden ständig beim Shoppen gezeigt. Die sympathischen Protagonistinnen – zum Beispiel Lola in „Bekenntnisse einer Highschool-Diva“ – dagegen interessieren sich zunächst nicht sonderlich für Mode oder tragen eher schrille Eigenkreationen, zusammengestellt aus Secondhand-Läden.

Die „Bienenköniginnen“ aber bestimmen, was und wer als chic gilt, sie beherrschen perfekt die „ultraschnellen Kontrollformen mit freiheitlichem Aussehen“, von denen Deleuze schreibt. Selbst die Sprachordnung bestimmen sie, indem sie mit eigenen Slangwörtern kommunizieren. Wer versucht, eigene Ausdrucksweisen zu etablieren, wird abgestraft. Die Disziplinargesellschaft wurde von Zahlen beherrscht, in der Kontrollgesellschaft herrschen die Chiffren.

Die Solidarität siegt

Natürlich propagieren die aktuellen Teenfilme weder ein Zurück zur Disziplinargesellschaft noch eine grundsätzliche Konsum- oder Kapitalismuskritik – beides wäre der jugendlichen Zielgruppe wohl kaum zu vermitteln. Es sind lediglich die Auswüchse der Wettbewerbsgesellschaft, gegen die sich die jugendlichen Heldinnen zur Wehr setzen. Dabei sind sie nicht zimperlich und benutzen auch die Waffen ihrer Kontrahentinnen. Letztlich lassen Solidarität, Bescheidenheit und Common Sense die Hackordnung zusammenbrechen, und am Ende erkennen alle ihre Fehler und liegen sich in den Armen. Der schonungslosen Darstellung der jugendlichen Kastengesellschaft folgt ein plötzliches Happy End, das nur verlogen wirken kann.

Dieses Problem stellt sich abseits des Mainstreams nicht. Filme wie „The Virgin Suicides“, „Elephant“, „Ken Park“ oder „13“ stehen nicht unter dem Erwartungsdruck des glücklichen Ausgangs und verzichten auf solche Eindeutigkeiten. Doch der Autorenfilm hat andere Probleme im Umgang mit der Jugend: Gegen welche Institutionen soll er in einer erodierenden Disziplinargesellschaft die Jugendlichen noch in Schutz nehmen? Ein Film wie „Ken Park“ wirkt geradezu altmodisch in seiner Fixierung auf die Eltern als Grund für die Sorgen der Teenager. Und welche Erzählperspektive sollen die Autorenfilmer einnehmen, wenn auch der Mainstream den Teenagern mittlerweile auf gleicher Höhe begegnet? Filme wie „Elephant“ und „The Virgin Suicides“ antworten mit einer Flucht zurück. Aus Angst, die Jugendlichen zu bevormunden, scheinen sie ganz davor zurückzuschrecken, sie verstehen oder erklären zu wollen. Damit hat sich der Kreis geschlossen: Der Teenager wird wie vor 50 Jahren wieder zum exotischen Wilden. Erneut stehen in diesen Filmen jugendliche Delinquenten im Vordergrund. Sie morden, stehlen und nehmen Drogen, oder sie richten die Gewalt gegen sich selbst.

Mainstream-Filme wie „Girls Club“ wissen es besser. Die Gesetze des Teen-Dschungels offenbaren sich nicht in solchen Ausnahmefällen: Ihre Herrschaft beginnt nicht vor der Schultafel, sondern im Herzen der Shopping Mall.