Die Kunst geht undercover

Während die Plattenindustrie versucht, ihrer Misere durch die Abschaffung des CD-Covers zu begegnen, blüht die Coverkunst in den Nischen. In großformatigen Bildbänden werden die grafischen Großtaten der Vergangenheit gewürdigt, und Galerien entdecken die Covergestalter als Künstler

Coverbilder sind gemalter Sound, Cover und Musik bedingen sich gegenseitig

VON ANDREAS HARTMANN

Ab nächster Woche ist es so weit: Der deutsche Ableger der BMG startet mit seiner neuen Preisoffensive. Die neuen CDs bekannter Künstler wie Usher, Alicia Keys oder den Guano Apes soll es fortan in drei Versionen geben: in einer Luxusvariante mit Songbook und exklusivem Internetangebot, als normale CD wie bisher und als Schnäppchenausführung für gerade mal 10 Euro. Einziger Wermutstropfen bei letztgenanntem Billigprodukt für die „Geiz ist geil“-Anhängerschaft: Auf Cover und Booklet muss hier verzichtet werden; sämtliche Informationen samt Songtiteln werden auf die CD selbst gepresst.

Die BMG, die dem Jammercredo anhängt, dass Raubkopierer gut und gern auf Cover und Booklets verzichten können – sonst würden sie sich ja die Originale kaufen –, will so einem angeblichen neuen Konsumentenverhalten entgegenkommen. Die Hälfte der Verkäufe, so glaubt man dort, werden auf die neuen Billig-CDs fallen. Das Cover scheint verzichtbar geworden zu sein, so die Logik der Firma. Dabei übersieht sie freilich, dass viele zwar raubkopieren, aber dennoch großen Wert auf die Cover legen. In Brennstuben bekommt man farbige Coverkopien gleich dazu, der Schwarzmarkt bietet ausschließlich CDs mit originalgetreuen Covern an, man zieht sich die Cover aus dem Internet oder klaut sie sich einfach im Plattenladen zusammen.

Das Platten- und CD-Cover ist entgegen der Initiative der BMG nicht tot. Im Gegenteil, es erlebt eine ungeahnte Renaissance. Und das, nachdem mit dem Beginn des CD-Zeitalters das Cover, dem im CD-Format jegliche Haptik abgesprochen wurde, bereits einmal für tot erklärt wurde. Doch man scheint sich versöhnt zu haben mit dem ehemals so unbeliebten Format. Der renommierte Designer des Londoner Avantgarde-Labels Touch, Jon Wozencroft, bescheinigt ihm sogar, durch das designtechnisch interessante Zusammenspiel von Cover, CD-Rückseite, Inlay und Booklet Vorteile gegenüber dem LP-Cover zu haben.

Auch werden Cover nicht mehr nur als immanenter Bestandteil der Popkultur diskutiert, sondern kunsthistorisch. In seiner bemerkenswerten Studie „Das Cover von Sgt. Pepper“ lässt der Kunstkritiker Walter Grasskamp etwa Andy Warhol Andy Warhol sein und erklärt die Arbeit des englischen Künstlers Peter Blake für das legendäre Album der Beatles zum wahren „Schlüsselwerk“ der Pop-Art. Freilich vergisst er dabei nicht zu erwähnen, dass auch Warhols Coverdesigns für The Velvet Underground und die Rolling Stones bemerkenswerte künstlerische Arbeiten waren.

Doch es gibt nicht nur bekannte Coverartworks berühmter Künstler, die immer wieder gewürdigt werden, auch Coverdesigner werden dank ihrer Arbeiten zunehmend als Künstler anerkannt. Peter Saville, der mit seinen Arbeiten für das Label Factory aus Manchester den in den Achtzigerjahren aufkommenden englischen Postpunk visuell prägte und Platten von Joy Division bis New Order mit minimalistischem Ästhetizismus ausschmückte, wurde vor kurzem von der Kunstszene neu entdeckt und wird heute in Galerien herumgereicht. Raymond Pettibon, der zur selben Zeit den Covern amerikanischer Punkrockplatten eher etwas Comic-Haftes verlieh, gilt heute ebenfalls als Künstler von Rang und Namen. Dazu kommt eine Flut jüngst erschienener Designbücher, die mal die stilprägenden Cover des Jazzlabels Blue Note und dessen Hausdesigner Reid Miles würdigen oder die schlicht versuchen – wie das gerade erschienene Coffeetable-Buch „Sonic – Visuals For Music“ (Gestalten Verlag, 320 S., 39,90 Euro) –, die überbordende Kreativität heutiger Coverdesigner (auch hier werden vor allem die Arbeiten für CDs gezeigt) zu überblicken.

Der Versuch der BMG, das Platten- und CD-Cover zu entwerten, ist jedoch nicht nur ein Affront gegen die Coverkunst, sondern auch gegen die Musik selbst. Form und Inhalt gehören schließlich beim Produkt Tonträger untrennbar zusammen. „Der Grund, warum Coverbilder einen beeindrucken, ist“, schreibt etwa der Poptheoretiker Kodwo Eshun in seinem Buch „Heller als die Sonne – Abenteuer in der Sonic Fiction“, „dass sie gemalter Sound sind. Wenn man sie sich anschaut, stellt man sich sie als eine Art merkwürdiger Vision vor, hervorgerufen durch die Musik.“ Cover und Musik bedingen sich gegenseitig. Wer Musik hört, versucht, sich zusätzliche Aspekte der gebotenen Kunst durch den Griff zu Cover und Booklet zu erschließen, und umgekehrt kann man im besten Fall eine bestimmte Musik bereits dank eines Covers erahnen, bevor man sie überhaupt tatsächlich gehört hat.

Bevorzugt kleinere Labels haben sich die Vorstellung Eshuns, dass Cover gemalter Sound seien, immer wieder zunutze gemacht. Wer müsste nicht etwa schon beim Anblick der Cover der Münchner Jazzfirma ECM, auf denen bevorzugt romantisierte Landschaftsaufnahmen zu sehen sind, die manche „geschmackvoll“, andere „kitschig“ nennen, an diesen gewissen Pastell-Jazz denken, für den ECM ein Markenzeichen ist? Auch ganze musikalische Genres haben sich eine designerische Ästhetik zugelegt, die beinahe schon zwingende Zusammenhänge zwischen Verpackung und Musik herstellen. Als etwa der so genannte Minimaltechno aufkam, der die Reduzierung der musikalischen Mittel feierte, reagierten die Coverdesigner auf diesen Sound, indem sie das hysterisch Bunte, das bislang Techno prägte, durch eine adäquate und extrem minimalistische Grafik ersetzten. Und, klar: Bereits in den Sixties sollten möglichst rauschhafte Plattencover die psychedelischen Aspekte der entsprechenden Musik interpretieren.

Gutes Coverdesign zeichnet sich also oftmals dadurch aus, dass es wie ein Seismograf auf musikalische Veränderungen reagiert und diese bildhaft über- und umsetzt. Dabei wird die Coverkunst, wie Storm Thorgerson und Aubrey Powell in ihrem Bildband „One Hundred Best Album Covers“ ausführen, zu einem „Zeitbarometer“. Cover geben als wichtiger Ausdruck der Popkultur erst mal beredt Auskunft über selbige. Doch sie zeigen auch ganz allgemeine kulturelle Umbrüche und Eigenheiten an. Anhand von Indizierungen, die an Plattencovern immer wieder vorgenommen werden, können sie beispielsweise auf Prüderie oder bestimmte kulturelle Unterschiede aufmerksam machen. Das Roxy-Music-Album „Country Life“ aus dem Jahr 1974 etwa, auf dem zwei androgyn wirkende Frauen in reizvoller Unterwäsche vor grünem Gestrüpp abgelichtet wurden, durfte in den USA nur ohne Frauen, dafür aber mit mehr gezeigtem Gestrüpp erscheinen. Die Residents-Platte „Third Reich ’n’ Roll“ dagegen ist in den USA mit abgebildeten Hakenkreuzen erhältlich, in Deutschland nur ohne. Zu einem schönen „Zeitbarometer“ werden Plattencover auch in Todd Haynes’ Film „Velvet Goldmine“, wo ein Junge aus der tristen Vorstadt in den Siebzigern sein Coming-out durch das Onanieren zu Glamrockplattencovern erlebt, auf denen sich nach damaliger Gepflogenheit androgyne Jüngelchen räkelten, die von einer aufregenden Welt sexueller Selbstbestimmung kündeten.

Manchmal wird Coverdesign als Musikkonvertierer freilich auch zu einer Art Geheimwissenschaft, deren Codes nur noch von Insidern verstanden werden. Als Ende der Achtziger der ultrabrutale Deathmetal aufkam, konnten auch die Plattencover dieser Bands nicht schockierend genug sein. Horrorszenarien und Zerstückelungsfantasien, die diese Musik verarbeitete, mussten eben auch bildhaft werden. Als jedoch kurz darauf Blackmetal mehr und mehr in Mode kam, der sich thematisch vielleicht noch menschenverachtender als der Deathmetal geriert, wurde die weiterhin extrem geknüppelte Musik plötzlich in Bilder von verwunschenen Winterlandschaften und Burgen samt Burgfräulein verpackt. Außenstehende konnten darin kaum noch die Härte des musikalisch Gebotenen wiedererkennen. Die Codes dieser Coverartworks kennzeichneten hier also noch stärker als die Musik selbst die Abgrenzung zu anderen Genres. Deathmetal war auch ikonografisch als irgendwie bekloppt-lustig und als etwas für Horrorfilmfans erkenntlich, Blackmetal dagegen – der Fan sieht es auf den ersten Blick – ist eine ernste Angelegenheit, die sogar dazu animiert, Ritualmorde zu begehen und Kirchen anzuzünden – beides wurde im Namen dieser Musik auch tatsächlich verübt.

Durch das Coverdesign wird also auf einem immer unübersichtlicher werdenden Musikmarkt auch Übersicht geschaffen, woran ja die Musikindustrie ein gewisses Interesse haben sollte. Anstatt das Coverartwork zu egalisieren, sollte sie sich also darum bemühen, es zu verbessern. Luxus-CDs, ein dickeres Booklet und Internet-Schnickschnack ist dabei nur ein Schritt in die richtige Richtung. CDs können sogar wahre Fetische sein, die man niemals kopieren, sondern ausschließlich kaufen kann.

„Sonic – Visuals for music“ bietet hier einiges an Anregung, wie etwa das grandiose Package einer CD der Band Bulbul, das aus schweren Metallplatten anstatt zerbrechlichem Plastik besteht. Oder man orientiert sich gar an dem japanischen Noiseart-Künstler Merzbow, von dem es gerüchteweise eine CD exklusiv in einem in einen Mercedes eingebauten CD-Player geben soll. Nur billig wird diese CD kaum sein.