eine stimme der korrektur: die ableitung von vw-konzern ist hartz
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Kaum ein Schreibbeispiel, das die Kritiker der Rechtschreibreform ins Schlachtfeld führen, taugt. Sie scheinen weder Duden noch Etymologie, die Herkunft von Wörtern, zu kennen. Der Rest ist „gefühlte Temperatur“. „Tief schürfend“ klingt nach Bagger, weint Marcel Reich-Ranicki im Spiegel, wohl um die Wahrnehmung der Subtilität seiner Essays fürchtend. In „wohl verdient“ erkennt er eine mögliche Relativierung. So auch der Duden, der Zusammenschreibung vorschreibt. Wer verlangt von R.-R., Demokratie nach dem k zu trennen?

Stefan Aust vom Spiegel bemängelt derweil als worthistorisch verkehrte Neubildungen „behände“, „platzieren“, „Stängel“. Warum nur? Denn „behände“ kommt von „bei der Hand“, der place geht auf das lateinische platea zurück, und den „Stengel“ betrachtet mein „Etymologisches Wörterbuch des Deutschen“ unter anderem als l-Ableitung“ vom germanischen stango.

Die Rechtschreibreform „veränderte das, was viele Deutsche noch gemeinsam haben: die Sprache“, schrieb ein Dreieraufgebot von Autoren im Spiegel. Die Vermengung von Sprache und Schreibung ist an sich schon hinterhältig und elitär. Eine Beleidigung für wortgewandte Legastheniker, Schreibunkundige oder Immigranten, die sich durch die deutsche Schriftsprache mühen müssen. Die Kluft zwischen der Sprache der Literatur und der des Volkes vertiefe sich, klagt R.-R. Der so um Demo-kratie Bemühte sieht die Rettung – in der alten Orthografie. Kein Wort über gleichen Zugang zu Bildung für alle.

Was also steht hinter dem Aufstand der unverständigen Medienmacher gegen die veränderte Rechtschreibung? Sie suchen den einigenden Kitt angesichts offener Klassenspaltung.

Denn Agenda 2010 leitet sich, wenn auch nicht etymologisch, von Thatcherismus im Zeitraffer ab, Schröder und Hartz von den Begehrlichkeiten (nicht nur) eines Volkswagen-Konzerns und Montagsdemonstrationen von 1989, also einer politischen Revolution von unten, die mit dem Sturz eines Regimes endete.

Dagegen soll ein klassenübergreifendes deutschtümelndes „wir und unsere Sprache“ oder auch „wir in einem Boot“ gesetzt werden. Das ist nicht neu. Im September 1991 waren es „wir“ in einem überfüllten schwarz-rot-goldenen Boot, umstellt von „Asylanten“-Massen auf der Titelseite des Rechtsblatts für Intellektuelle, des Spiegels. Eine Woche später begannen Nazis in Hoyerswerda von Vietnamesen bewohnte Häuser anzugreifen.

Diesmal soll es die Rechtschreibung sein. Allein deswegen lohnt es sich, neue Schreibungen gegen alte Demagogen zu verteidigen. ROSEMARIE NÜNNING