Ringen um die Show

AUS WASHINGTON MICHAEL STRECK

Heute treffen für vier Tage zwei einander fremde Spezies aufeinander: New Yorker und Republikaner. Erstmals in der US-Geschichte ist die Hochburg der amerikanischen Liberalen Gastgeber des Parteikonvents. Die Republikaner hatten die Stadt wegen ihrer Symbolkraft des 11. September als Bühne für George W. Bushs erneute Nominierung zum Präsidenten gewählt. Sein Antiterrorkampf gilt vielen Amerikanern als seine größte Stärke.

Bush kommt mit leichterem Gepäck nach New York als erwartet. Die Ausgangslage hat sich für ihn etwas verbessert. Herausforderer John F. Kerry erhielt vom Parteitag der Demokraten in Boston nur geringe Schubkraft. Drei Wochen lang dominierten dann Wahlkampfspots die Presse, in denen Kerry der Lüge über seinen Vietnameinsatz bezichtigt wurde. Obwohl weitgehend entkräftet, nagten sie an seinem Kriegshelden-Image. Die Republikaner konnten darauf vertrauen: Etwas bleibt von Schmutzkampagnen immer hängen.

Die Umfragen zeigen zudem ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen den Kontrahenten. Bush hechelt keinem Rückstand hinterher und befindet sich in einer weitaus komfortableren Situation als sein Vater im Sommer 1992. Dieser lag damals hinter Bill Clinton uneinholbar zwanzig Prozentpunkte zurück. Andererseits genoss noch jeder Amtsinhaber, der wiedergewählt wurde, zu diesem Zeitpunkt einen zweistelligen Vorsprung vor dem Gegenkandidaten.

Das Image braucht Politur

So steht Bush vor größeren Herausforderungen als viele seiner Vorgänger. Der Parteitag gibt ihm nur begrenzt die Möglichkeit, sein Image aufzupolieren und wankelmütige Wähler anzusprechen. Ausgerechnet unter den unabhängigen Wählern ist Bush deutlich unbeliebter als Kerry. Auch sonst verheißen die Grundbedingungen, die eine Wahl gewöhnlich entscheiden, für den Texaner nichts Gutes: Die Wirtschaftsdaten sind enttäuschend. Die Zahl der Armen und Menschen ohne Krankenversicherung ist in den vergangenen drei Jahren erheblich gestiegen. Der US-Schuldenberg ist auf Rekordhöhe und der Arbeitsmarkt im Umbruch. Es gibt nur noch sehr hoch oder sehr niedrig bezahlte Jobs, sodass die Mittelschicht erodiert. Im Nachkriegsirak herrschen Guerillaaufstand und Chaos. Die Mehrheit der Bevölkerung sieht das Land nach Umfragen daher auf dem falschen Kurs. „Die Bilanz seiner Amtszeit ist für viele wenig berauschend“, sagt der Politologe Stephen Wayne von der Georgetown University in Washington.

Bushs Trumpfkarte ist daher der Krieg gegen den Terror. Es ist der einzige Bereich, in dem er mehr Vertrauen als John Kerry genießt – zugleich könnte er für viele Amerikaner der ausschlaggebende Grund sein, Bush wiederzuwählen. Dieses Vertrauen war in den vergangenen Monaten auch kaum zu erschüttern, weder durch die Untersuchungskommissionen zum 11. September, die der Regierung ein eher mangelhaftes Zeugnis für die Bekämpfung des Terrorismus ausstellten, noch durch die vielen Experten, deren Ansicht nach der Irakkrieg einen strategischen Fehler im Antiterrorkampf darstellte. Und auch nicht durch den wiederholten „Code Orange“-Alarm, der den Amerikanern in Erinnerung rief, dass al-Qaida trotz aller Kriege noch schlagkräftig ist.

So wie Kerry seine Vietnamerfahrung ausschlachtet, um sich als besserer Feldherr zu präsentieren, so wird Bush in New York die Erinnerungen an den 11. September bemühen, um den Tag als Scheideweg der Nation und seiner Präsidentschaft in Szene zu setzen. Doch dieses Vorhaben ist ein Drahtseilakt: Er muss den Eindruck vermeiden, das Datum zu vereinnahmen.

Neben dem beherrschenden Thema „Krieg gegen den Terror“ muss Bush auf dem Parteitag – Motto: „Eine sichere Welt und ein hoffnungsvolles Amerika“ – erklären, was er mit seiner zweiten Amtszeit sonst noch anstellen will. In den vergangenen Wochen hat er kaum noch über politische Ideen und die Lösung drängender Probleme gesprochen, sondern sich im Wesentlichen auf die Zielscheibe Kerry verlegt. „In seiner Nominierungsrede wird er eine nach vorne gerichtete und positive Agenda darlegen“, verspricht daher sein Chefstratege Karl Rove.

Doch Bush muss mehr leisten als das. Will er den Urnengang gewinnen, muss er sich erneut den Mantel des moderaten Republikaners umhängen. Im Sommer 2000 trat er auf dem Parteitag in Philadelphia als „Konservativer mit Herz“ an, der zwar Steuersenkungen versprach, sich aber für soziale Fragen verantwortlich zeigte. Der sich nicht der Macht der christlichen Rechten beugen wollte und zum Beispiel auf Homosexuelle zuging. Der die bittere gesellschaftliche Spaltung der Clinton-Jahre überwinden und eine „demütige“ Außenpolitik betreiben wollte.

Nach vier Jahren Bush aber sind die USA weltweit so unbeliebt wie nie, das Land ist zerrissener denn je und die Partei erneut zum Handlanger des ultrarechten Flügels geworden. In den letzten Wochen gab Bush sich noch mal alle Mühe, seine christlich-konservative Basis zu befriedigen. Er warb für eine Verfassungsänderung zum Verbot der Homoehe und wetterte gegen die Stammzellenforschung.

Vier Jahre lang hat Bush dieser konservativen Basis einen Triumph nach dem anderen beschert. Nun zweifelt so mancher einst loyale Parteifreund an dieser Strategie. Hinter vorgehaltener Hand werde unter Republikanern besorgt über die Wiederwahlaussichten geredet, stellt David Broder, Kolumnist der New York Times, fest, und es werde auch moniert, dass in den vergangenen vier Jahren Pragmatismus der Ideologie und eine gemäßigte Politik dem Radikalismus gewichen sei. Zwischen den Parteiflügeln treten Spannungen auf, wie man sie eigentlich eher von den Demokraten kennt, die sich derzeit aber geschlossen wie selten zuvor präsentieren.

Zwar hat Bush sich durch Steuersenkungen und Deregulierungen im Umweltschutz als zuverlässiger Interessenvertreter der Großindustrie erwiesen. Doch so manche wittern Verrat an traditionell republikanischen Werten wie dem schlanken Staat, strenger Fiskalpolitik und Freihandel. Immerhin gibt es die größte Staatsaufblähung seit den 60er-Jahren, Bush hat Milliardensubventionen in die Land- sowie in die marode Stahlwirtschaft gepumpt und protektionistische Strafzölle verhängt. „Er regiert wie ein Franzose“, spottet das liberal-konservative Cato Institut.

Das Unbehagen besteht auch am Irakkrieg und am Folterskandal von Abu Ghraib. Der republikanische Kongressabgeordnete Doug Bereuter aus Nebraska revoltierte jüngst öffentlich und nannte die Invasion „einen schweren Fehler“. CNN-Kommentator Tucker Carlson, sonst ein verlässlicher Bush-Freund, revidierte sein Ja zum Krieg. Und Max Boot, Vordenker der Neokonservativen, forderte den Rücktritt von Pentagonchef Rumsfeld.

Besänftigen, mäßigen und einigen. Dies sollen die Redner in den vier Tagen des Konvents, nicht zuletzt Bush selbst. Die Parteistrategen haben daher überwiegend moderate Politiker an das Rednerpult bestellt, wie Senator John McCain, New Yorks Exbürgermeister Rudolph Giuliani, die Gouverneure George Pataki und Arnold Schwarzenegger aus New York und Kalifornien.

Die Anti-Bush-Show

Möglicherweise geht die Botschaft des Parteitags aber ohnehin unter. Schon jetzt interessieren sich die Medien weniger für Bushs Politikentwürfe als vielmehr für die angekündigten Demonstrationen hunderttausender, die den Republikanern die Show stehlen könnten. Während des gesamten Parteitags im Madison Square Garden im Herzen Manhattans sind in der Stadt unzählige Protestaktionen geplant (siehe Kasten). Und während viele Einwohner New Yorks vor den unbeliebten Gästen fliehen, strömen Oppositionsgruppen aus den ganzen USA an den Hudson.

Die Angst vor Ausschreitungen und Terroranschlägen haben Stadtväter und US-Regierung zu beispiellosen Sicherheitsvorkehrungen veranlasst. Allein 8.000 Soldaten werden das Konferenzzentrum unweit des Empire State Building hermetisch abriegeln. Zudem sind rund 20.000 Polizisten, Nationalgardisten und speziell ausgebildete Antiterroreinheiten im Einsatz.

Doch nicht die Republikaner fürchten Gewalt, sondern die Opposition. Politische Beobachter unterstellen den Konservativen, sich insgeheim über Krawalle zu freuen. So böte sich ihnen die Gelegenheit, die Demonstranten als von den Demokraten gesteuerte Unpatriotische zu brandmarken. Viele Konservative machen ohnehin keinen Unterschied zwischen Bürgerrechtlern, Friedensaktivisten, Umweltschützern und Demokraten – sie alle sind Liberale, also grundsätzlich fremde Wesen und werden misstrauisch beäugt. Wohl meinende Kommentatoren raten daher Kerry, sich vorab von möglicher Gewalt zu distanzieren, um Bush keine Angriffsfläche zu bieten.