Wer lacht, hat Pech gehabt

Das Warten auf den Sonnenschein: Ein Bücherherbst, der sich genauso Erfolg versprechend wie unaufgeregt entwickelt, und ein eigenartiger, aber interessant wechselvoller Saisonauftakt im Literarischen Colloquium Berlin

Volker Braun mochte nicht recht zumCharakter dieserVeranstaltung passen

Gemessen am großen Wehgeschrei, das in Deutschland in diesen von Olympia und Hartz IV bestimmten Tagen angehoben hat, hält sich eine Branche im Moment angenehm zurück mit Klagen: die Buchbranche. Hier kriselt es seit Jahren zwar ebenfalls unablässig, aber die Krise scheint auszuhalten zu sein, „vorsichtige Zuversicht“ (Börsenvereinsvorsteher Dieter Schormann) regiert. In den Verlagen stellt man sich neu auf, hier wird ein Sublabel geschlossen (Fischer/Argon), dort wird neu hinzugekauft (Hanser/Deuticke), das aber geht in relativer Ruhe vor sich. Ansonsten veröffentlichen die Verlage weiterhin Bücher in rauen Mengen, da unterscheiden sich die mageren Jahre gar nicht so sehr von den fetten.

Geschuldet ist diese fast selbstbewusst anmutende Zurückhaltung vielleicht gar dem aktuellen Herbstprogramm, das in der Abteilung deutsche Belletristik ein grundsolides, zuweilen Erfolg versprechendes ist, aber auch ein etwas unspektakuläres. Die neuen Bücher einiger Großautoren wurden schon früh in diesem Sommer veröffentlicht, von Martin Walser, Peter Handke, Volker Braun; es folgten dieser Tage die einiger potenzieller Großautoren, von Ralf Rothmann etwa, Thomas Meinecke oder Bodo Kirchhoff; und in Sven Regener oder Thomas Brussig legen demnächst zwei jüngere Autoren neue Romane vor, die die literarische Welt nicht aus den Angeln heben werden, aber ordentlich Verkäufe versprechen.

Ein neuer Star aber, einer, an dem keiner vorbeikann, ist nicht in Sicht, keine neue Judith Hermann, kein Christian Kracht, kein Georg Klein. An Letzterem scheiden sich übrigens gerade die Geister: Hier begeisternde Zustimmung für seinen neuen Roman „Die Sonne scheint uns“, dort Unverständnis und Ablehnung, was sich aber auf Feuilleton- und Literaturbetriebszirkel beschränkt: Das große Lesepublikum hält sich lieber zurück. Und ob es bei Sophie Dannenbergs „Das bleiche Herz der Revolution“ zugreift, einer „bissigen“ Auseinandersetzung eines Kindes mit seinen 68er-Eltern, sei dahingestellt: Vom Verlag stolz als heißes Eisen gehandelt, waren zumindest erste professionelle Leser eher enttäuscht, wenn nicht gar entsetzt von der Qualität des Buches.

Dass dieser Buchherbst sich unaufgeregt entwickelt und zwischen Muskelspielen und überschaubarem Mittelmaß pendelt, bewies auch der traditionell vom Literarischen Colloquium in Berlin mit sechs Berliner Autoren und Autorinnen begangene Saisonauftakt. Dort wollten sich die beiden Moderatoren Hans-Joachim Neubauer und Natascha Freundel nicht einmal mehr zu der rituellen Aussage hinreißen lassen, dass sie angesichts der inhaltlichen Vielfalt der neuen Bücher natürlich nicht den neuen Trend herausarbeiten können, und kamen ohne einleitende Worte gleich zur Sache.

Ganz unvermittelt also saß zuerst Bastian Böttcher auf der Bühne, wurde von der leider den gesamten Abend über indisponiert wirkenden Natascha Freundel unbeholfen als einstiger Slam-Poet vorgestellt und las ein Stück aus seinem Debütroman „Megaherz“. Nach zähen Versuchen, den von einer Beziehung zwischen einem DJ und einer Stewardess handelnden Roman zu analysieren, sagte Böttcher dann: „Das ist auch ein Grund, warum ich dieses Buch geschrieben habe, dass ich das verbal nicht so vermitteln kann.“

Mochte man Böttcher und seinen Roman noch als echte Erfrischung verbuchen und gab es am Ende des Abends mit Volker Braun noch ein gar nicht so recht zum Charakter dieser Veranstaltung passendes literarisches Schwergewicht, so deutete ansonsten viel darauf hin, es mit einem eher schwierigen, disparaten Herbstprogramm zu tun zu haben. Marion Poschmann bewies, wie unzugänglich Lyrik zumindest bei Lesungen sein kann. Marion Titze erwehrte sich mit knappsten oder gar keinen Antworten der platten Fragen von Freundel nach dem autobiografischen Gehalt ihres Buches „Niemandskind“, in dem sie die Drogensucht und die nachfolgende Wahnerkrankung von einem ihrer Söhne literarisch verarbeitet.

Und Malin Schwerdtfeger entpuppte sich im Gegensatz zu Titze als Vielschwaflerin und sprach im Zusammenhang ihres in Griechenland, Jerusalem und an der Nordsee spielenden Familienromans „Delphi“ vom „appollinischen und dionysischen Prinzip“, von Orakeln natürlich und von Schuldgefühlen, die sich in Familien zwangsläufig und immer einstellen würden.

Einen interessanten Performer immerhin gab Johannes Jansen, der keine Probleme damit hatte, Baudelaire als Einflussgeber zu nennen oder Werbung für ein anderes Buch zu machen, das von ihm im jungen Kook-Verlag erscheint. Das Prosastück, das er aus seinem Gedankensplitterband „Halbschlaf“ vortrug, wollte allerdings nicht zünden. „Vielleicht ist der Ausweg nur der Weg in den eigenen Raum, in dem wir seit Einbruch der Dunkelheit ausgehalten haben, um alles noch einmal zu prüfen. Wir wissen es nicht, aber die Folgerichtigkeit unserer Gedanken ist uns bewusst“, heißt es da etwa, was man als „außerordentlich genaue, unbestechliche Selbstbeobachtung“ (Verlagswerbung) werten kann, aber auch als dunkle Wortaufschäumerei. „Wer lacht, hat Pech gehabt“, schloss Jansen zielsicher, nur fragt sich, ob in „Halbschlaf“ wirklich jeder was findet, „egal wo er zu lesen beginnt“ (Jansen).

So konnte am Ende dieses eigenartigen, aber interessant wechselvollen Abends auch Volker Braun mit seinem Schwarzenberg-Roman „Das unbesetzte Gebiet“ nicht allzu viel bewegen. Gern hätte man mehr gehört über seine literarische Vorgehensweise, seine Theorien über die unterschiedlichen Gesteinsschichten, in denen sich Geschichte abspiele, über die Unproduktivität von Geschichte. Doch immer wieder bedeutete ihm Moderator Neubauer, wie knapp die Zeit sei und dass man sich beeilen müsse. Da half wohl aller Respekt nichts, und da konnte man sich schön ausmalen, dass es selbst für einen Solitär wie Volker Braun kein Leichtes ist, sich immer wieder aufs Neue Gehör zu verschaffen im obligat schnelllebigen Treiben zwischen Bücherherbst und Bücherfrühling. GERRIT BARTELS