Sind Hartz-IV-Demos Luxus?
: Unsere Verwöhnkultur

Sinnvolles Reden über Luxus fängt dann erst an, wenn die Grenze zur Sinnlosigkeit des Kaufens eindeutig überstiegen wird

„Kaschmirfraktion“, „Verwöhnkultur“ und „Luxus“ – das sind die Kampfbegriffe, mit denen inzwischen versucht wird, den zigtausenden, die ihr gesetzlich verbrieftes Recht, sich unter freiem Himmel ohne Waffen zu versammeln, um dort öffentlich ihre Meinung zu äußern, wahrnehmen, ihre Legitimation abzusprechen.

So etwas lesend fragt sich der gemeine Friedrichshainer bisweilen, ob die da oben eigentlich Stroh im Kopf haben – oder ob Schlimmeres im Spiel ist. Insbesondere von Elbe und Main hört man immer wieder, wie whack Crack macht. Auf den Ortsgruppentreffen der Initiativen gegen Sozialabbau jedenfalls wurde kein Christian Kracht gesichtet, und auch der Besuch einer Suppenküche oder eines der zahlreichen Berliner Sozialläden, in denen Essen gegen ein geringes Entgelt an Bedürftige ausgehändigt wird, ist kein Wellness-Urlaub. Besonders absurd ist allerdings die Verwendung des Begriffs Luxus im Zusammenhang mit den Montagsdemonstrationen. Denn was bitte ist Luxus?

Sinnvolles Reden über Luxus ist jedenfalls nur dort angezeigt, wo dieser das Maß des Üblichen dermaßen übersteigt, dass die Grenze zur Sinnlosigkeit nicht nur wie beispielsweise im Rahmen eines einmaligen Frustkaufs kurz gestreift wird. Sogar einem für diese Zwecke vergleichsweise mittel- und daher leider teilnahms-, wenn auch nicht leidenschaftslosen Beobachter des Lebens der Reichen und Schönen werden schnell die Insignien eines luxuriösen Lebensstils vertraut: Die Grundausstattung besteht aus einem jederzeit startbereiten Privathubschrauber des Typs S-76, einem maritimen und einem automobilen Äquivalent, Letzteres natürlich nicht etwa in Gestalt eines schnöden Jaguars, wie ihn jeder zweite Neuberliner fährt, sondern als in Würde gealterten Bristols 407. Dazu ein Wohnsitz auf der Upper Westside und eine Datsche in den Hamptons oder in Belgravia und Devon. Die maßgefertigte Büchse von Holland & Holland versteht sich von selbst – wer will, kann auch noch Toplabels wie Louis Vuitton und Helmut Lang dazuzählen. Alles andere ist eben alles andere, aber kein ernst zu nehmender Luxus.

Das war jetzt irgendwie zu schräg, und wir sind hier auch nicht in der transatlantischen Oberschicht Ozeaniens? Na gut, wenn es denn wirklich unbedingt sein muss, ausnahmsweise auch ein Ausflug in nur vergleichsweise, aber gewiss nicht absolut luxuriöse Lebenswelten. Da wäre beispielsweise das Soziotop der Berliner Ökonomie, in dem derzeit ganz mächtig die Luft brennt: Wie wir aus gut unterrichteten Kreisen erfahren, ist nämlich Schluss mit lustig in der Hauptstadt des produktiven Durchwurschtelns.

Da muss doch glatt eine fließend portugiesisch sprechende Kosmetikerin zurück nach Nürnberg, wo ihre Eltern ein gut gehendes Geschäft für antiquarische Bücher und CDs führen. Sauerei, gleich mal beim Europäischen Menschenrechtsgerichtshof Klage einlegen. Oder die bedauernswerte Medienpädagogin mit Publizistikstudium, die nach Regensburg zum Arbeiten muss – und was tut die UNO? Nichts!

Noch grausamer: Der Cousin der Kosmetikerin muss die Apotheke seiner Eltern nahe Nürnberg übernehmen, und auch die Absolventin des Lette-Vereins macht erst mal etwas anderes, harrt aber wacker aus. Wir weinen gleich und greifen uns zum Trost einen Bildungsroman.

Die dunkle Unterseite der Berliner Ökonomie sieht allerdings ganz anders aus und trägt eher pikareske Züge. Die bisher nämlich noch mit einiger Organisationskunst und einer gehörigen Portion Glück zu bewerkstelligenden Existenzen der Drop-outs und Geringqualifizierten, zu denen sich auch bald welche gesellen werden, die noch gar nicht ahnen, was ihnen droht, werden nun nämlich hochgradig prekär. Von Luxus zu sprechen, wenn sich die Betroffenen organisieren und nun die Einhaltung von Mindeststandards einfordern, ist absurd.

Und unser gemeiner Friedrichshainer? Er hat sich, um der nervigen Diskreditierung als „Straße“ zu entgehen, zu Demonstrationszwecken sein einziges Kaschmirjackett übergeworfen – das er vor zehn Jahren in Zeiten materieller Bedürftigkeit von seinem großherzigen ehemaligen Kunstlehrer geschenkt bekam. Weil er so gute Laune hatte, gönnte er sich zwei Tropfen des Helmut-Lang-Parfums, das ihm seine aktuelle Angebetete, ein mit russischem Akzent, amerikanischem Pass, italienischer Sonnenbrille und New Yorker Summa-cum-laude-Abschluss ausgestattetes Exmodel aus Connecticut, aus dem KaDeWe mitgebracht hatte. Das Louis-Vuitton-Armband im Marukami-Design jedoch, das er ihr seinerseits unlängst als Zeichen seiner Aufmerksamkeit hatte zukommen lassen, war so dermaßen unluxuriös erworben, wie man es sich nur vorstellen kann: Der einzige Grund, eine mit diesem Freebie veredelte Veranstaltung im Quartier 206 zu besuchen, war nämlich sein nachhaltig knurrender Magen. GUNNAR LÜTZOW