Sekretärin im Käfig

Von der Subversion in Zeiten der Remixkultur: Das Filmprogramm der 6. Werkleitz Biennale in Halle zeigt „Strategien des Dissenses“. Vom DDR-Amateurfilm bis zum aktuellen Popvideo ist alles dabei

VON MADELEINE BERNSTORFF

„Software kann man nicht stehlen, Ideen sind frei!“, das singen die drei von der Band Der Plan in einem Animationsvideo. Sie fahren in einem simplen kastenförmigen rotgrün-karierten Cabrio durch Stadtkulissen und werfen ab und an eine Bombe auf verschiedene Copyright- und Patentinstitutionen. Eigentlich ist alles sehr einfach. Die letzte Bombe zerfetzt ein Gebäude, die Zerstörung gibt den Blick auf eine waldige hügelige Landschaft mit See frei.

Das Video „Copyright Slavery“ (2004) läuft in dem Programm „Strategien des Dissenses“ der diesjährigen 6. Werkleitz Biennale. Diese widmet sich mit Ausstellung, Film- und Videoprogrammen und mehreren Panels dem Themenkreis Allgemeingut/Common Property, dem sich Fragen wie Copyright und Strategien gegen Privatisierungstendenzen anschließen, und bietet Material für Diskussionen über partizipative und kooperative Wissenspolitik: Subversion in Zeiten der Remix-Kultur. Veranstaltungsort ist – seit dem Umzug der 1993 gegründeten Werkleitzgesellschaft aus den kleinen sachsen-anhaltinischen Dörfern Werkleitz und Tornitz – das Areal des Volksparkgeländes in Halle. Finanziert wurde dieses Gelände 1906 durch eine Sammlung bei SPD-Mitgliedern, man wollte einen repressionsfreien Raum für Partei- und Gewerkschaftsversammlungen schaffen, ebenso wie für gemeinwesenfreundliche Bildungsveranstaltungen. Die Bismarck’schen Sozialistengesetze gegen die „gemeingefährliche Sozialdemokratie“ waren zwar längst schon nicht mehr in Kraft, aber doch nicht vergessen. Hinter einer Jugendstilfassade verbergen sich verschiedene Veranstaltungsräume, ein ehemaliges Restaurant, eine Turnhalle und ein großzügiges Foyer, das seit der Renovierung in den 80er-Jahren von Clustern eckiger Glaslampions beleuchtet wird. Und im Park befindet sich die hinreißende weiße Konzertmuschel.

Die Filmkuratorin Karin Fritzsche wird in Halle ein Programm mit Filmen vom vorbildlichen Amateurfilmclub des Chemiekombinats Bitterfeld präsentieren. Bitterfeld war Vorreiter dieser Filmbewegung, die in den Fünfzigerjahren begann und schon bald massenhaft die DDR-Betriebe erreichte. Die Filmclubaktivisten der Filmfabrik Wolfen waren sogar neidisch auf das, was in Bitterfeld geschah, man hatte dort bessere Räume und viel Unterstützung vom Kombinat, die Aktivisten wurden von der Arbeit freigestellt. Die Filme sind auf 8 oder 16 Millimeter gedreht und wurden mit Musik von Tonbändern und eindringlichen Sprecherstimmen nachvertont, da es keinen Synchronton gab. Im Laufe der Jahre verloren die Filme das Interesse an konkreten Arbeitsprozessen und sozialen Verbesserungsvorschlägen aus der Aufbruchszeit und wurden immer mehr zum ideologischen Parteiwerkzeug. Erstaunlich ist es, so Karin Fritzsche, dass diese Filme überhaupt erhalten sind, denn als kollektives Eigentum waren sie noch viel eher Dispositionsmasse für die allgemeine Nachwendegeschichtsvergessenheit und DDR-Entsorgung.

Kolonial-kapitalistische Aneignungsprozesse ironisiert der gemeinschaftlich entwickelte Film „Petit à Petit“ (1969) von Jean Rouch, gedreht in Niger und in Europa. Die Firma Petit à Petit ist spezialisiert auf Import-Export. Wenn schon ein Wolkenkratzer in der Hauptstadt Niamey gebaut wird, warum dann nicht auch ein solches Hochhaus im Dorf Ayorou? Um zu studieren, wie man in so einem Haus lebt, geht der Chef Damouré Zika nach Paris. Das Drehbuch des Films beruht auf einem Tagebuch des Hauptdarstellers, das wiederum Grundlage der mit begeisterter Ironie gespielten Improvisationen ist. Man wollte eigentlich im Mai 68 drehen, aber da geschah bekanntlich anderes. Deshalb fing man im September an, im „bizarren Klima“ nach den Mai-Ereignissen. Die Protagonisten treffen sich mit Corbusier-Schülern, die in Afrika bauen, und bereisen Italien, um weitere Hochhäuser zu besichtigen. Damouré wird in Paris immer mehr zum beharrlichen Spezialisten einer „umgekehrten Ethnografie“. Er spricht Passanten auf der Straße an und nimmt Schädelvermessungen und Zahnbegutachtungen vor. Zurück in Niger, wird ein Hochhaus im International Style gebaut und die mitgebrachte Sekretärin muss in einem Käfig arbeiten, ganz im Stil kolonialer Arbeitsverhältnisse. Zu guter Letzt entdecken die Beteiligten des Films, dass es keinen Spaß macht, sich durch Handel zu bereichern, sie kritisieren den Kapitalismus und schließen ihre Firma.

Wovon die affektiven Kräfte im postfordistischen Dasein durchfurcht sind, ist nur eine der vielen Fragen, die der Film „Chain“ (2003) des Bolexfilmers und Videoclipregisseurs Jem Cohen aufwirft: Shopping-Mall-Spiegelungen, Game-Park-Impressionen und Börsenberichte akkumulieren Bilder einer zu Architektur geronnenen Globalkonsumkultur, in der eine Japanerin erzählt, wie sie die Statuten ihrer Firma auf Englisch singt, um die Sprache zu lernen, das Ganze in einer Computerstimmen-Stimmlage.

Wie eng die Handlungsspielräume in einer von Lobbyisten geprägten parlamentarischen Demokratie sind, zeigt der Dokumentarfilm „Mais im Bundeshaus“ (2003) von Jean-Stéphane Bron. Das Filmteam wartet in der Lobby des Berner Bundeshauses ein Jahr lang auf das, was eine Gruppe von Schweizer Abgeordneten, die sich mit der Fassung eines Gesetzes zur Regelung von Gentechnik herumschlagen, zwischen ihren Sitzungen und Beratungen verlautbart. Es geht um Beschimpfungen, Komplizensuche, Abstimmungstaktiken. Der Abgeordnete der liberalen Partei kommt aus der chemischen Industrie und hat immer noch ein Büro in der Firma, der er mal angehörte. Sie ist Marktführerin beim gentechnisch veränderten Saatgut.