„Der Kampf ist entschieden“

Heute beginnt in Halle das Medienkunstfestival Werkleitz Biennale. Es stellt die Frage nach dem Sinn des Urheberrechts im Zeitalter der digitalen Kopie. Für den Internet-Aktivisten Sebastian Lütgert ist der Begriff des geistigen Eigentums überholt

INTERVIEW NIKLAUS HABLÜTZEL

taz: Im Verzeichnis des Servers www.textz.com sind Namen wie Adorno oder Benjamin zu finden, aber auch Namen noch lebender Autoren. Wie viele Texte stehen dort zum Abruf bereit?

Sebastian Lütgert: Zwischen 700 und 800. Theorie, Romane, Kurzgeschichten, kurze Texte, lange Texte, in Deutsch, Französisch, Englisch und Spanisch. Und etwa ebenso viele stehen in der Warteschlange zum Hochladen.

Alles ist umsonst zu lesen, von den Kosten für die Internetleitung abgesehen. Wovon sollen denn die Autoren leben?

Ich glaube, dass der angebliche Zusammenhang zwischen der Verbreitung von Kulturgütern im Internet und möglichen Einbußen beim Einkommen der Autoren eine reine Erfindung ist. Tim O’Reilly, ein Verleger von Computerbüchern in den USA, hat einmal gesagt, dass er das Kopieren von Texten oder von was auch immer für eine Form von progressiver Besteuerung hält. Verluste gebe es höchstens bei Bestsellern, die längst ihre Kosten eingespielt haben. Und bis heute ist in keinem einzigen Fall belegt, dass das Kopieren den Verkauf eines Buches oder einer Schallplatte verhindert hätte. Geschweige denn deren Autoren ruiniert. Man kann im Internet nun mal kein Geld verdienen. Selbstverständlich ist alles, was bei textz.com zu lesen ist, in den File-Sharing-Netzen auch zu bekommen – komplette Werkausgaben, mehr als man jemals lesen kann. textz.com ist nur ein Symbol, es macht öffentlich sichtbar, dass es diese Praxis längst gibt.

Trotzdem brauchen auch Autoren ein Einkommen. Woher soll es denn kommen, wenn nicht aus dem Verkauf ihrer Produkte?

Die Figur des kleinen Autors, der einsam und verarmt in seiner Kammer sitzt und der jetzt wegen des Internets den Gürtel noch enger schnallen muss, das ist eine pure Fiktion. Es geht in Wirklichkeit um eine viel allgemeinere Frage. Nämlich zum einen, wie wir den Zugang zu kulturellen Gütern in der Gesellschaft verteilen, zum anderen, wie wir die Produktion solcher immaterieller Güter entlohnen sollen. Heute steht die bezahlte, angeblichen Mehrwert schaffende Arbeit in keinem Verhältnis mehr zur sonstigen Produktivität, insbesondere zur immateriellen Produktion und Reproduktion. Der Begriff des geistigen Eigentums ist ein Kampfbegriff, der gegen die kollektive Organisation von Arbeit und Eigentum gerichtet ist. Das ist der Versuch, ein Zeitalter zu verhindern, das überall schon angebrochen ist.

Kann das Internet etwas zur Lösung dieses Problems beitragen?

Man hat das Internet mit vielen Hoffnungen beladen, die fast alle gescheitert sind. Das Internet kann sehr wenig zur Lösung irgendeines Problems beitragen. Es kann aber die Leute an den jeweiligen Enden zusammenbringen, es macht eine Art der Zusammenarbeit möglich, die vorher schwer vorstellbar war. Ich halte zwar nichts von dem Gerede über „vernetzte Arbeit“, und als Geschäftsmodell ist die „Community“ ein sehr fragwürdiges, neoliberales Konzept. Trotzdem entstehen Kollektive, die früher nicht möglich waren. In diesem Rahmen kann über die Entlohnung der immateriellen, kreativen Arbeit gut diskutiert werden. Und man wird wohl an einem von der bezahlten Arbeit unabhängigen Grundeinkommen nicht vorbeikommen.

Nicht nur Autoren, auch Verleger sind an der Produktion von Büchern beteiligt. Und zwar mit realem Geld. Wie reagiert textz.com auf den Vorwurf der Urheberrechtsverletzung?

Textz.com ist kein Prozesskunstwerk und kein Kamikazeunternehmen. Wenn jemand wirklich etwas findet, was er oder sie partout weghaben will, aus welchen Gründen auch immer, empfehle ich eine formlose E-Mail, die sehr schnell ihren Empfänger erreicht. Das ist bisher aber nur selten vorgekommen. Die Verlage und ihre Anwaltsfirmen überlegen sich doch auch, ob sich eine Klage rechnet und ob sie wirklich geschädigt werden.

Die Musikindustrie kann nachweisen, dass ihre Umsätze zurückgegangen sind. Wäre textz.com ähnlich populär wie die bekannten Tauschnetze für Musikdateien, verhielten sich wohl auch die Buchverlage weniger friedlich als bisher.

Die Musikindustrie kann nachweisen, dass sie das Internet nicht verstanden hat. Die Verlage brauchen sich weniger Sorgen zu machen. Die Idee, Bücher digital zu verbreiten, ist vollkommen gescheitert. Niemand will Bücher immer nur am Bildschirm lesen. Bei Musik ist das anders. Aber Texte auf CD oder aus dem Internet werden fast nur zum Nachschlagen benutzt, als Zubehör zum Buch. Dafür sind sie praktisch, für sehr viel mehr aber nicht. Es wird also weiterhin gedruckte Bücher geben, mit denen man Geld verdienen kann.

Nur betrifft das Urheberrecht nicht das Papier, sondern den Inhalt. Im Internet wird es zumindest unterlaufen. Wie also wird das Urheberrecht der Zukunft aussehen?

Ich bin kein Hellseher, und eigentlich ist es mir ziemlich egal. Zurzeit wird es gerade verschärft, das ist eine Reaktion darauf, dass immer mehr Leute die produktiven und kreativen Möglichkeiten des digitalen Datenaustauschs nutzen. Trotzdem liegt es mir persönlich eher fern, mich im Kampf gegen die verschiedenen Urheberrechtsnovellen zu engagieren, die zurzeit beraten werden, zum Beispiel der so genannte zweite Korb in Deutschland, mit dem die EU-Vorgaben umgesetzt werden sollen. Denn ich glaube, dass die eigentliche Auseinandersetzung unterhalb des Rechts stattfindet, in der tatsächlichen Praxis des Kopierens. Ich finde es viel interessanter zu beobachten, wie sich die File-Sharing-Techniken entwickeln, die dafür nötigen Protokolle, aber auch die Motivation der Leute, die damit arbeiten. Interessant ist dann eher die Rechtsprechung, nicht das Gesetz als solches. Es wird von Fall zu Fall entschieden, manchmal zugunsten des Kopierens.

Auch in Deutschland sind jetzt Leute wegen der Teilnahme an Tauschnetzen verurteilt worden. Jan Philipp Reemtsma hat textz.com untersagt, Texte von Adorno zur Verfügung zu stellen. Die Stiftung zur Förderung von Kultur und Wissenschaft, deren Vorsitzender er ist, besitzt die Urheberrechte.

Ich sehe keinen Grund zur Panik. Im Amerikanischen würde man von einer downhill battle reden. Der Kampf ist technologisch längst entschieden. Auf dem Computer, der universellen Touring-Maschine, die wir seit 50 Jahren benutzen, beruhen heute Wirtschaftskreisläufe, die man nicht einfach ausknipsen kann, nur um das Urheberrecht an ein paar Texten oder Musikstücken zu schützen. Den Polizeistaat, der dazu nötig wäre, kann zum Glück niemand bezahlen. Der Fall Reemtsma gibt am Ende doch nur all denen Recht, die ohnehin glauben, dass gerade die Texte von Autoren wie Adorno oder Benjamin frei kopierbar sein sollen. Denn sie sperren sich schon ihres Inhalts wegen dagegen, selbst zur Ware zu werden. Lange vor dem Internet war Benjamin der Ansicht, dass die Massen ein Recht auf die Kopie künstlich verknappter Originale haben, ein universales Recht auf technische Reproduktion.

Fotohinweis: Die neuen digitalen Medien erweitern den alten Begriff des Gemeingutes. Weitere Infos unter www.werkleitz.de/events/biennale2004/index.html  FOTO: VERSION.SCHNITTHOLZ