Diesen Migranten findet wohl selbst Otto Schily gut

Lidokino (2): In „The Terminal“, dem Eröffnungsfilm von Venedig, begibt sich Steven Spielberg in die Transitzone. Tom Hanks spielt einen glücklichen Homo Sacer

William Kentridges Umgang mit dem Medium des Zeichentrickfilms ist so bemerkenswert, weil er die Kontur zum Zittern bringt. In seinen Arbeiten beben die Linien, die einen Körper oder einen Gegenstand vom Hintergrund abgrenzen. Sie weiten sich nach rechts, obschon der Körper nach links drängt, und ziehen sich gleich darauf zurück, nur um in eine andere Richtung auszuschlagen. Das unablässige Hin und Her erweckt den Eindruck, das Bild poche. Da zudem die Figuren und Gegenstände einer konstanten Metamorphose unterworfen sind und die Veränderungen des Bildausschnitts wie durch das Auge einer agilen Kamera präsentiert werden, sind Kentridges Arbeiten eine Hommage an Bewegung und Wechsel.

Zur diesjährigen Mostra hat der südafrikanische Künstler einen Kurzfilm beigesteuert, „Tide Table“, und er hat den offiziellen Trailer besorgt, die Visitenkarte des Festivals. Darin sieht man einen Löwen hinter Gittern. Traurig geht er auf und ab, bis das Bild um 180 Grad dreht; nun sieht man eine Kamera, und da bei Kentridge keine Form von Dauer ist, befindet man sich innerhalb von Sekunden im Inneren des Objektivs. Dort brüllt der Löwe, und schon wachsen ihm Flügel: Aus dem kümmerlichen Zootier ist ein stolzer Markuslöwe geworden – das Wahrzeichen der Republik Venedig. Ein Schriftinsert am unteren Bildrand verweist dann jedoch darauf, dass Südafrika vor zehn Jahren das Apartheidregime überwunden hat: eine merkwürdige Kreuzung aus venezianischem Selbstbewusstsein und der Freude über die Befreiung Südafrikas.

Ein Machtwechsel hat im Eröffnungsfilm, „The Terminal“ von Steven Spielberg, stattgefunden. Hinter den Kulissen, denn die Hauptfigur, der von Tom Hanks gespielte Viktor Navorski, befand sich im Flugzeug, als in seiner Heimat Krakhozia, einem fiktiven Land in Osteuropa, der alte Präsident geschasst wurde. Als er am New Yorker J. F. K. Airport ankommt, erkennen die USA die neue Regierung nicht an. Die wiederum anerkennt Navorskis Pass nicht mehr. Der Mann ist mithin staatenlos, unacceptable, wie ihn die Einreisebeamten bescheiden. Er darf nicht ein- und nicht ausreisen, und also wird der Transitbereich sein Zuhause – jene Zone, deren Wesen es ist, dass man sie passiert, anstatt darin zu bleiben (wobei dem Wort terminal durchaus die Konnotation „Endstation“ innewohnt). Spielberg inszeniert diese Geschichte aber nicht als düstere, sondern als heitere Fabel: Ein Mann mit Charme, smart und erfindungsreich, trotzt der Unwirklichkeit dieser Zone Wirtlichkeit ab. So geschickt, wie er sich anstellt, wollte ihn vermutlich noch Otto Schily als Einwanderer haben.

Oder vielleicht doch nicht. Denn Navorski, der pittoreske Held, tritt gegen einen echten Schurken an: gegen Dixon (Stanley Tucci), den Mann, der über Sicherheit, Ordnung und die Einhaltung aller Einreisebestimmungen wacht. Es ist dies der Kampf der Menschlichkeit gegen die finstere Macht der Bürokratie. In der Szene, die Navorskis Sieg über Dixon besiegelt, sitzt dieser unterhalb einer Vielzahl von Überwachungsbildschirmen. Spielberg wandelt hier die monarch-of-all-I-survey-Szene ab, die als Trope in der kolonialen Literatur so wichtig ist. Der Eroberer steigt auf den Berg, und alles, was er vom Gipfel aus übersieht, unterliegt seiner Macht. Dixon sieht von unten zu den in umgekehrter Pyramidenform angeordneten Bildschirmen empor, dabei wähnt er sich als Herrscher über all das, was er beobachtet. Doch er ist machtlos: Weil er so weit weg von den Geschehnissen ist, kann er nicht eingreifen; und weil er als Mächtiger einsam ist, kann er Navorski, der sich mit anderen verbündet, nicht daran hindern, den entscheidenden Schritt zu tun.

Am meisten überrascht an „The Terminal“, wie bedingungslos Spielberg an das Gute glaubt: So wie zum Märchen die Gewissheit des glücklichen Ausgangs gehört, so weiß man in dem Film in jeder Sekunde, dass der Film seinen Helden nicht im Stich lässt. In den düsteren Entwürfen Giorgio Agambens wäre Navorski ein Homo Sacer; bei Spielberg darf er am Ende sagen: „I want to go home.“ CRISTINA NORD