Konsumiere und kuschel!

Die langweiligen Zeiten sind vorbei, der neue Ikea-Katalog ist da – und mit ihm auch ein neues Ikea-Image: alles wie immer, nur weniger liebenswert, dafür aber drastisch im Preis reduziert und wirtschaftspolitisch korrekt. Zudem sind jetzt sogar die Möbel per du mit dem Kunden

VON SUSANNE LANG

Der Besuch beginnt mit einer Verheißung: „Träum dein Schlafzimmer ein!“ Sie währt wie viele Verheißungen nicht lange. „Unsere gesenkten Preise halten dich garantiert wach!“, so schreit Werner Weber, Ikea-Chef Deutschland, den potenziellen Kunden auf der Innenseite des neuen Ikea-Katalog-Covers schriftlich entgegen, adrett umrahmt von satt dunkelroten und zart roséfarbenen, geblümten Kissen- und Deckenbergen. Kaufen und Kuscheln, ein hoffnungsvolles Doppel – und ganz auf Höhe der Zeit, wie eine zweite Botschaft, etliche Seiten weiter, zugunsten der pinkpoppigen Wanduhr Fejig verkündet: „Die langweiligen Zeiten sind vorbei.“

Selbst in einem Ikea-Katalog klingt das eher nach Drohung denn Verheißung. Es sind zu viele alte Zeiten, die im jetzigen Agenda-Leben plötzlich vorbei sein sollen, wegreformiert, ausrangiert, aufgekündigt. Bis man sich zu Fejig geblättert hat, schleicht sich eine ganz andere Ahnung ein: Die Zeit in der heimeligen Wohnwelt, in die Ikea jeden September aufs Neue lockt, scheint auch in den rauen, kalten „Zeros“ angekommen zu sein – trotz all der grellbunten Spaßaccessoires, wie sie die Uhr Fejig repräsentiert: Ikea hat die Preise gesenkt. Ikea ist jetzt noch günstiger. Der allseits kultivierte und propagierte Geiz wohnt nun auch im schwedischen Möbelparadies, zumindest in den deutschen Filialen, die sich auch im vergangenen Geschäftsjahr in stetig steigender Anzahl in Stadtzentren und Peripherien niedergelassen haben (siehe Kasten). Und eine Enttäuschung ist gleich mit eingezogen: Ikea, das war eine kollektive Wohnerzählung, immer günstig, immer bunt, anfangs nur praktisch, später schön geformt. Nie billig.

Aber, so versichert Ikea doch zugleich den preisnervösen Kunden und besorgten Nestbauern: Ikea bietet trotzdem ein kuscheliges Zuhause. Auf Ikea ist Verlass. „Träum dein Schlafzimmer ein!“ eben – eine beruhigende Einladung, auch in die neue Ikea-Welt. Da klingt es wieder durch, das eigentliche Ikea-Versprechen auf schönes, praktisches und für alle erschwingliches Design, mit dem der Konzern einst in den 70er-Jahren mit seinen ersten Filialen die deutsche Wohn- und Schlafzimmerkultur vom biedermeierlichen Mief entrümpelt hat. Möbel waren plötzlich Saisonware und nicht mehr für die Ewigkeit. Keine massiven Statussymbole gutbürgerlicher Häuslichkeit. Die Eichen-Schrankwand verwandelte sich in den Naturburschen „Ivar“ oder charming „Billy“, aus Wohn- und Einrichtungsgegenständen wurden personifizierte Mitbewohner, die sich der Lieblingskleider oder Lieblingsbücher vertrauensvoll annahmen – bis sie irgendwann wieder auszogen.

Das Wohnzimmer war mal die Keimzelle der Revolution …

Selbstbestimmung und Emanzipation nahm ihren Anfang eben auch in der unmittelbaren Privatsphäre, im intimen Nahbereich rüstete man sich zum Kampf gegen alle unerwünschten Umstände. Dass der Ikea-Konzern skandinavischer Herkunft ist und sein Gründer Ingvar Kamprad ein undurchsichtiger, wenngleich pfiffiger und cleverer Unternehmer, der den großen Möbelimperien stur mit kleinen Ideen trotzte, kam dem Prozess nur entgegen. Das Wohnzimmer, die kleine Urzelle der Revolution. Die langweiligen Zeiten, damals waren sie tatsächlich vorbei. Heute tickt Fejig.

Wer das gesellschaftliche Lebensgefühl in Deutschland bemessen möchte, ist mit einem Blick in den Ikea-Katalog, dem größten und für manche Kreise prototypischen deutschen Wohnzimmer, immer noch am besten beraten. Ikea, die Ur-Soap unter den Wohnerzählungen, die längst in den TV-Kulissen der Seifenopern kopiert wird. Ikea selbst war es, das mit dem Claim „Wohnst du noch oder lebst du schon?“ das Wohnen ein für alle Mal mit dem symbolischen Eingerichtet-Sein im Leben gleichsetzte und den Wohnraum von einem Ort in eine genormte, aber zu individualisierende Erlebniswohnwelt verwandelte. „Entdecke die Möglichkeiten“, auch wenn sie regelmäßig schon beim Möbelaufbau wieder zusammenbrachen.

Gerade in der heimwerklichen Tätigkeit – preiswert, praktisch, persönlich montiert – lag auch das Geheimnis, mit dem Ikea die breite Masse deutscher Kunden köderte. Während der Konzern bei seiner andauernden Expansion nun auch im asiatischen Raum, in Japan, eine ernorme Hemmschwelle überwinden muss (Möbel selbst montieren gilt dort als sehr geringer Kaufanreiz), stand und steht Ikea in Deutschland für eine Gemütlichkeit, die vom Ruch des Biedermeier befreit im ökobewegten Familien- und Kinderparadies erst so richtig konsensfähig wurde.

Heute senkt Ikea die Preise, erklärt auf Doppelseiten, dass dies wirtschaftspolitisch maximal korrekt durch günstige Masseneinkaufspreise und ökonomisch effiziente Produktion ermöglicht werde und eben nicht durch Kinderarbeit, Produktion in Billigländern oder Ausbeutung der Filialarbeiter. In Dänemark riskierte Ikea sogar einen Tarifstreit, als der Konzern den Lohn des Kassenpersonals unabhängig von Tarifverträgen dem der Facharbeiter nach oben anglich. Dauerhaft.

… heute tickt Fejig, und bei Billy wird der Preis reduziert

Ist das noch Ikea? Wie fühlt sich der „du“-Besucher einer Wohnung, in der ihm jedes Möbelstück und Accessoire entgegenschreit: „Mein Preis wurde gesenkt, mach’s dir gemütlich“ oder „Träum dich schön, meine Matratze wird es dir lohnen, eben weil sie dich wenig gekostet hat“ und „Gestatten, das ist Billy, der gute alte Billy, jetzt preisgesenkt!“ Bisher gründete Ikea seine Erlebniswohnwelt auf einen einfachen Deal: Wir exportieren die neusten Luxus-Design-Trends erschwinglich in die eigene Wohnung, mit einer schlichten, wenn auch unausgesprochenen Gewissheit: Wir bieten das Preiswerteste. Die Kunden trauten den Versprechen.

Und jetzt: Träum dich ein, während die Preise dich garantiert wach halten! Konsum und Romantik, diese beiden nur scheinbar paradoxen Pfeiler einer kapitalistisch strukturierten Gesellschaft, erobern immer offensichtlicher Werbe- und Marketingkonzepte – auch bei Ikea, dem „unmöglichen Möbelhaus“, das schon so oft ganz vorne mit dabei war, wenn es darum ging, neue Produktstrategien zu etablieren. „Entdecke die Möglichkeiten!“, das galt von jeher auch und vor allem für den Konzern selbst. Ikea war auf dem besten Weg, sich als „Lovemark“ zu inszenieren, wie sie Kevin Roberts, Chef von Saatchi&Saatchi, in seinem bisher nur auf Englisch erschienenen Buch „Lovemarks. The future beyond brands“, als neues Überlebensmodell von Marken ausruft.

Liebe, nicht mehr Angesagt-Sein, heißt Roberts großes Stichwort. Die Liebe der Konsumenten zur Marke müsse genährt werden, wobei im Kampf um das knappe Gut Aufmerksamkeit nicht mehr die Marke, sondern der Kunde ins Visier genommen werden soll. Vertrauen müsse er erwerben, langsam und langfristig verführt und gezogen werden, bis er mit einem regelrechten Urvertrauen seiner Lieblingsmarke treu bleibt, ganz so, wie es der weltweit operierende Fastfood-Riese McDonald’s in seinem patentierten Claim gerade vorführt: „Ich liebe es.“

Zwar ist Ikea von dieser neuen Wohnsaison an denn prompt auf du und du mit seinem liebesbedürftigen Wohnwelt-Besucher. Bisher hat der Konzern seine potenziellen Kunden nur in seinen Werbespots und -claims geduzt. Wie aber spricht uns nun die Form der Möbel an? Wie begehrenswert ist das Design? Womit lockt die Erlebniswohnwelt, abgesehen von einer „Kleinen Anleitung für deinen Ikea-Besuch“ in sechs Punkten? Mit nicht viel mehr als mit der Botschaft: Alles ist wie immer. Nur eben preisgesenkt. Angeblich, denn Verbraucherschützer warnen bereits, dass das Spiel mit den Preisen eine heimliche Verteuerung ist, rechnet man den Aufschlag auf viele andere Produkte mit ein. Das gewohnte Patchwork an Design für einen guten Entwurf des Lebens, egal ob mit oder ohne Hartz-Einbußen, wird wohlfeil angeboten. Das Alte im neuen Preisgewand, retro, wie es oft schon, ein bisschen neo, wie es immer war: ein wenig Landhausstil mit skandinavisch entspannendem Fichtenholz, gewohnte Ikea-Klassik mit bauhausaffinem, also schlichtem, klarem und luftigem Design und ein bisschen Pop im bunten, schrillen Plastikgewand.

Produkte wie die Uhr Fejig lügen auf sehr charmante Weise: Die langweiligen Zeiten sind, wenn überhaupt, nur in der Welt des Designs vorbei. Wohin die Form sich schwingt, das zeigt ein Blick aufs Avantgarde-Design: zurück zu den 60er-Jahren, zu irgendwie Future, aber als Retro, zum neuen alten Kitsch und organischen Formen, wie es der New Yorker Designer Karim Rashid im „Internationalen Design Jahrbuch 2003/04“ vorführt.

Die Form hat ihre Lust auf Produktivität verloren. Funktionales Design hat ausgedient, die organische Form darf bleiben. Ikea bietet das alles, von Anfang an, in Massenproduktion. Fejig ist pink, bunt, grell, unfunktional, preisgünstig – nur nicht besonders liebenswert. Ikea eben.