Der Räuber und der Prinz

Die Libertines spielt noch einmal das große Drogen-, Rock- & Selbstzerstörungsprogramm durch: Schlägereien, Abstürze, Gefängnisaufenthalte, Entzugskliniken, großartige, weil berührende Musik

VON HARALD PETERS

Das Cover sagt schon alles. Es mag zwar sein, dass die beiden Libertines Carl Barat und Pete Doherty darauf nur ihre Arme aneinander halten wollten, um mit selbst gekratzten „Libertine“-Tätowierungen ihre tiefe Verbundenheit fotografisch festzuhalten. Doch was man tatsächlich sieht, ist die Armbeuge des heroinsüchtigen Doherty, der abwesend neben Barat sitzt und seinen Freund eigentlich kaum noch registriert. Mit ihrem Debüt „Up The Brackets“ stellten sich die Libertines 2002 der Öffentlichkeit vor, mit dem neuen, zweiten Werk „The Libertines“ begehen sie nun schon ihren offenbar unvermeidlichen Abschied – ohne in den 18 Monaten dazwischen jemals als funktionstüchtige Band existiert zu haben. Stattdessen versorgten sie die Musikpresse die gesamte Zeit mit Meldungen über geplatzte Konzerte, Schlägereien und Drogenexzesse, die bald derart gravierend wurden, dass man Doherty mit schöner Regelmäßigkeit vom Dienst suspendierte und zur Therapie schickte.

Die letzte führte ihn in ein fernöstliches Kloster, in dem es ihn aber nur wenige Tage hielt, weil sein Interesse für die Betäubungsmittelszene von Bangkok wohl weitaus größer war. Aber Doherty nahm nicht nur Drogen, sondern gründete aus Protest eine zweite Band, die Bambyshambles, raubte zwischendurch Barats Wohnung aus und verhökerte dessen Inventar, musste deshalb kurzzeitig in den Knast, versöhnte sich dann mit Barat, wurde wieder von den Libertines aufgenommen, wurde rückfällig, um dann für eine heikle Woche zu den Aufnahmen des neuen Albums überredet zu werden. Zwei Leibwächter an der Studiotür sorgten schließlich dafür, dass die Aufnahmen unter Aufsicht des ehemaligen Clash-Gitarristen Mick Jones ohne den störenden Einfluss von Dealern durchgeführt werden konnten.

Überraschenderweise ist dabei eine der besten, berührendsten und schönsten Rockplatten der jüngeren Vergangenheit herausgekommen. Es ist das letzte Lebenszeichen einer Band, die unausweichlich zerfällt und mit allen Mitteln gegen den Zerfall kämpft, obwohl sie ahnt, dass der Kampf längst verloren ist.

Man muss sich die Libertines als den Lebenstraum zweier Freunde vorstellen, die einst ausgezogen sind, um mit dem Schiff Albion, wie sie ihre Musik in hoffnungslos romantischer Verstrickung nennen, das gelobte Land Arkadien anzusteuern. Auf hoher See tut sich vor ihnen dann ein Sturmtief auf, weshalb Barat vorschlägt, man möge es sicherheitshalber umschippern, während Doherty darauf besteht, mitten hindurch zu müssen, weil es einerseits so angenehm schaukelt und man andererseits ohnehin nichts zu verlieren hat. Also kommt es zum Streit, wobei jeder dem anderen vorwirft, den gemeinsamen Traum verraten zu haben.

Mit dieser Stimmung ging man ins Studio, und was dabei herauskam, ist der unverstellte Blick auf eine Band, die mit Schuldzuweisungen, Liebeserklärungen und einer gehörigen Portion Trotz um eine zweite Chance fleht. Die jeweiligen Songs drohen dabei stets in alle möglichen Richtungen auseinander zu fallen, so prekär, desolat und fragil sind die Bedingungen, unter denen sie entstehen. „You twist and tore our love apart“, singt Barat in „Can’t Stand Me Now“, und Doherty antwortet mit heiserer Stimme: „You know you’ve got it the wrong way round“. In „Road To Ruin“ bittet Barat dann: „Trust in me/take me by the hand“, doch die Antwort hat Doherty ihm schon längst gegeben: „No, no, I ain’t got problem“, singt er in „The Saga“, „It’s you with the problem“. So zieht es sich durch das gesamte Album. Immer wieder wird ein Ausweg gesucht, nie wird einer gefunden.

Und tatsächlich ist das alles bitterernst gemeint und gar nicht so glamourös, wie es durch die intensive mediale Bespiegelung scheint. Man kann sich daher glücklich zeigen, dass Doherty mit Barat einen halbwegs vernünftigen Gegenpol hat, der ihn davor bewahrt als weiterer lichtscheuer, genialer und unverstandener Held die lange Liste der Drogenopfer in der Rockmusik zu bereichern. Allerdings muss man Doherty zugestehen, dass die Libertines ohne ihn niemals ein derartiges Album zustande bekommen hätten. Derzeit tourt die Band ohne ihn durch Europa, während er mit seiner Konkurrenzband England bereist. Vor wenigen Tagen wurde er wegen unerlaubten Waffenbesitzes zu einer Bewährungsstrafe verurteilt. Und kurz davor beim Überqueren einer Straße von einem Auto angefahren. Manche Leute machen nicht nur alles falsch, manche haben auch noch Pech.

The Libertines: „The Libertines“ (Rough Trade/Rough Trade)