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: Eine Konsequenz aus der Tragödie von Beslan ist sicher: Hass und noch mehr Hass

Es war eine vorhersagbare, erwartbare, von den allermeisten befürchtete und nichtsdestotrotz erschütternde Tragödie, die sich gestern Vormittag im nordossetischen Beslan abspielte. Nach zwei Tagen nervenaufreibender Geiselnahme kam es zum großen Showdown zwischen Geiselnehmern und russischen Spezialtruppen. Zurück blieben eine zunächst noch unbekannte Zahl von Toten und Verletzten und eine ebenfalls unbekannte Anzahl zumindest äußerlich unverletzter Menschen, die halb nackt in völliger Verwirrung um ihr Leben rannten.

Haben die russischen Einsatzkräfte den Zeitpunkt zur Stürmung selbst bestimmt oder wurden sie überrascht? Einige Augenzeugenberichte legen nahe, dass sie sich nach einer schweren Explosion und der anschließenden Flucht einiger Geiseln zum Zuschlagen gezwungen sahen.

Es wird sich noch zeigen, ob Präsident Wladimir Putin selbst das Signal zum Sturm gab oder seine Kommandeure vor Ort zum Eingreifen nach eigenem Ermessen befugt hatte. Es ist auch noch zu früh, zu beurteilen, ob es eine Chance gegeben hätte, die Geiselnahme in Nordossetien auf friedliche Weise zu beenden. Selbst wenn Putin keine substanziellen Zugeständnisse machen wollte: Eine Geiselnahme ist immer ein Nervenkrieg, bei dem es darum geht, Zeit zu gewinnen und möglichst viele Menschenleben zu retten.

Doch wie immer die Strategie des russischen Präsidenten und seiner Militärs auch aussah: Im Ergebnis ist wieder eine Geiselnahme durch tschetschenische Terroristen und deren Sympathisanten mit einem Blutbad beendet worden – dieses Mal mit noch mehr Toten als vor zwei Jahren bei der Erstürmung des von Tschetschenen besetzten Musical-Theaters von Moskau.

Die Konsequenz aus der Tragödie von Beslan ist so vorhersehbar, wie es der Sturm auf die Schule war: Hass und noch mehr Hass. Mit der Geiselnahme von Kindern hat sich der tschetschenische Widerstand nachhaltig diskreditiert. Der Hass der russischen Mehrheitsgesellschaft auf die „Schwarzen“ aus dem Kaukasus wird zunehmen und Putin Rückendeckung für neue Gewaltexzesse in Tschetschenien geben. Mit jedem weiteren Toten aber sinkt die Wahrscheinlichkeit einer politischen Lösung des Kaukasuskonflikts.

Wenn die Toten in Beslan gezählt sind, ist das Drama keineswegs beendet. Die Gewaltspirale wird sich weiter drehen. Für Russland bedeutet das Ende in Beslan in jedem Fall: Fortsetzung folgt. JÜRGEN GOTTSCHLICH