„Man ist ja selber auch ein Schrank“

Afrikakeller, Theaterkeller, Polenkeller … Die passionierte Reisende und Sammlerin Ursula Ziebarth hütet ihre Schätze in einer Einraumwohnung und sieben Kellerräumen. Ein Gespräch über die Freude an schönen Dingen und das Gute an ihrem Besitz

VON REINHARD KRAUSE (INTERVIEW) UND TITUS GEORGI (FOTOS)

Eine einladende Einzimmerwohnung im alten Westberlin. Bereits im Korridor raumgreifende plastische Menschendarstellungen in naivem, südamerikanischem Kolorit, an den Wänden europäische Druckgrafik des 20. Jahrhunderts. Schon der erste Blick zeigt: Die 82-jährige Gastgeberin lebt gern auf Tuchfühlung mit ihrer über Jahrzehnte zusammengetragenen Sammlung. In der Stube ist eine Wand ganz und gar mit Büchern bedeckt, auf allen möglichen Simsen und Vorsprüngen stehen Gruppen von geschnitzten, bunt bemalten Holzfiguren. In der winzigen Küche gibt es einen flachen Einbauschrank nur für Puppengeschirr aus aller Welt. Wo mag das Geschirr für den Hausgebrauch untergebracht sein? Ursula Ziebarth weist dem Gast den einzigen Stuhl in der Wohnung zu, lässt sich selbst auf die andere Sitzgelegenheit, ein mit einer Tagesdecke abgedecktes Bett, gleiten – samt Schuhen – und nimmt eine Pose ein, die an eine Odaliske denken lässt.

taz.mag: Frau Ziebarth, Sie sind eine passionierte Sammlerin und – so muss man schon sagen: Globetrotterin. Wie haben Sie eigentlich die Objekte, die ja zum Teil sehr groß sind und meist von weit her kommen, nach Hause gebracht?

Ursula Ziebarth: Im Kampf mit Stewardessen, einem zähen Kampf!

Also im Handgepäck?!

Ja, das musste bisweilen sein. Wissen Sie, wenn ich zum Beispiel ein großes Holzskelett aus Mexiko unterm Arm hatte – man konnte das ja gar nicht richtig einpacken –, dann waren die Stewardessen schon etwas … na ja …! Und dann haben sie das schnell in ihrer Kombüse versteckt. Ich muss sagen, ich bin eine große Verehrerin aller Stewardessen geworden. Weil die sehr lieb waren mit mir – immer große Augen zuerst machten, aber dann ausgesprochen hilfsbereit waren.

Sie genießen hohes Ansehen als Sammlerin von altem Spielzeug. Wenn ich mich bei Ihnen umsehe, bin ich mir nicht ganz sicher, ob es sich tatsächlich um Spielzeug handelt oder nicht eher um Schutzgeister.

Mit Spielzeug habe ich angefangen. Heute kaufe ich nur selten noch Spielzeug. Rein numerisch macht Spielzeug jetzt vielleicht noch ein Zehntel meiner Sammlung aus. Später bin ich auf Kunst und Volkskunst gekommen. Insgesamt habe ich fast 36.000 Objekte und etwa achttausend Bücher. In der Hauptsache sammle ich Menschendarstellungen. Menschen und Tiere sind das, was mir am wichtigsten ist und am liebsten. Wie der Mensch sich selber darstellt und die Dinge, die ihn umgeben, die für ihn wichtig sind.

Man fühlt sich ein wenig beobachtet, wohlwollend beobachtet.

Nicht wahr? Ich freue mich immer, wenn ich nach Hause komme und diese ganzen Leute hier sehe. Man möchte denen ja direkt Guten Tag sagen.

Wann haben Sie mit dem Sammeln angefangen?

Ich würde sagen, ich habe allerspätestens mit drei, vier Jahren angefangen. Kinder sammeln übrigens häufig, Steinchen, Murmeln und so. Ich habe zuerst Bälle gesammelt, so richtig schöne, bunte. Ich mochte es gar nicht gerne, dass die Farben abgestoßen wurden. Deshalb habe ich die Bälle lieber durch die Wohnung über die Teppiche getrieben, wie eine Schafherde. Natürlich hatte ich auch Bälle für draußen, etwas später kamen Kreisel dazu. Die peitschten wir auf der Straße. Ich hatte besonders schön bemalte, die ich nicht mit auf die Straße nahm, für die schlug ich den Teppich zurück und peitschte sie auf dem Parkett.

Peitschen musste also doch sein?

Tanzen mussten sie ja! Nur auf dem Pflaster, wo man sie aus ’ner Ritze rausschlug, das wollte ich nicht. Sammeln ist Freude an irgend etwas Schönem, das einen fasziniert. Damit wird man geboren. Für mich waren es immer Farben. Mehr noch als Formen. Das heißt, so ein schöner, runder Ball ist ja etwas Wunderbares, die Kugel ist eine vollkommene Form – wir leben auf einer Kugel, das wusste ich damals allerdings noch nicht. Dann kommt anderes Spielzeug, Aufstellspielzeug. Im Erzgebirge hat man so wunderbare Figuren gemacht, ganz winzige Miniaturen. Das war Pfennigware damals. Ich wurde nicht überschüttet damit. Meine Mutter kam die Treppe hoch und sagte: „Es wiehert in meiner Tasche!“ Dann kriegte ich ein kleines Pferdchen von höchstens zwei Zentimeter Länge. Ich habe mich darüber gefreut wie der Bauer, wenn er ein neues Pferd hat.

Hatten Sie Geschwister?

Nein.

Dann gab es also keine Konkurrenz.

Nein. Wissen Sie, Geschwister haben Vorzüge und Nachteile. Heute hätte ich gerne Geschwister, damals habe ich sie nicht vermisst. Es waren so viele Kinder in unserer Straße. Wir wohnten damals mit meinen Großeltern zusammen, und am Wochenende haben wir nach dem Essen das Tischtuch abgezogen und auf diesem blanken, braunen Holz – das war wie Erde – das Spielzeug aufgebaut. Das regte die Erwachsenen auch zum Erzählen an. Meine Großmutter ist 1867 geboren, und die erzählte natürlich von ihrer Kindheit, von ihrem Hund, den sie gehabt hat, und so reiste man mehr als fünfzig Jahre zurück. Auf diese Weise fing ich an, mich für die Sachen zu interessieren, die meine Großmutter noch besaß, alte Holzlöffel, Töpfe, Kannen. Da hieß es: „Gib Acht, das hat mal jemand sorgfältig gemacht.“ Dass man die Arbeit anderer Menschen hütet, spielt bei einer Sammlung auch eine Rolle.

Haben Sie noch Ihr Kinderspielzeug?

Nein, das ist alles weg. Das wurde alles bei einem Bombenangriff auf Berlin zerstört. Meine Familie ist dabei umgekommen. Ich war gerade in der Universität und bin als Einzige übrig geblieben. Man stellt auch sein Leben um, wenn es so einen harten Einschnitt gab. Ich habe später aber wieder angefangen, Kugeln zu sammeln. Auch Kreisel, in Japan. Japan ist das Kreiselland schlechthin. Meine Kinderbücher habe ich wieder gekauft, auch erzgebirgisches Spielzeug. Nicht zuletzt aus Respekt davor, dass mir als Kind so schöne Dinge gegönnt wurden. Man kann es nicht ernst genug nehmen, Kindern schönes Spielzeug zu schenken, das ist eine sehr wichtige Investition nicht nur in die Erziehung des Kindes, sondern mehr noch, würde ich sagen, der Menschheit. Ich habe durchaus Sinn für Männer, die an ihrer Eisenbahn hängen und immer noch was dazupuzzeln. Das sind so friedfertige Tätigkeiten.

Was sammelten Sie, als Sie kein Kind mehr waren?

Das Nächste ist, dass man Dinge von Reisen mitbringt, auch von seinen Kinderreisen schon, Muscheln, Steine. Und später, wenn man größere Reisen macht, völkerkundliche Dinge. Also bitte: Kant ist nicht aus seinem Königsberg rausgekommen und wollte das auch gar nicht. Das ist die eine Methode. Ich wollte raus. Ich wollte Leute in Afrika sehen, in Australien. Und dann bringt man aus dem Land auch etwas mit. Irgendwann hat man dann die Welt um sich herum.

Wie wählen Sie die Dinge aus, die Sie für Ihre Sammlung erwerben?

Ich habe nie gesammelt, um damit zu handeln. Ich will die Sachen unbedingt behalten. Mich interessiert der Schönheitssinn einfacher Menschen sehr viel mehr als manche Künstler, die schon neurotisch werden, wenn ein anderer als sie selbst einen Preis bekommt. Mich fasziniert die Erinnerung an das Land, an die Leute. Man hat etwas in Peru gekauft oder Gott weiß wo, in irgendeiner Hütte, und hat eine Erinnerung an diesen Menschen mitgehoben ins Flugzeug und mit rübergebracht, etwa wenn jemand direkt vor meinen Augen für mich etwas geschnitzt oder geflochten hat. All diese Naturmaterialien finde ich ganz wunderbar, Holz, Gräser, Palmfasern.

Gibt es überhaupt ein Material, das Sie nicht sammeln, nicht mögen?

Ich hatte früher nicht viel Sinn für Metall. Metall hat etwas Kaltes, und die Bearbeitung kann ich nicht so verfolgen. Aber als ich dann in China war, wo es diese herrlichen Bronzen gibt und wo man heute noch zusehen kann, wie die gegossen werden, da bekommt man einen Sinn für das Material. Auch Jade ist so ein Beispiel. Sie ist sehr kostbar. Die Konkubinen durften Brillanten, Saphire, Rubine tragen, aber Jade durften nur der Kaiser und die Kaiserin tragen. Die Moleküle sind so dicht, dass man Jade auch nicht fälschen kann: Wenn man sie an die Wange hält, fühlt sich das kalt an. Es gibt ganz verschiedene Farben, von Mondlichtjade, die praktisch durchsichtig ist, bis zu fast schwarzer Jade.

Wie oft reisen Sie heute noch?

Inzwischen bin ich etwas laufbehindert, da muss ich kürzer treten.

Bereiten Sie sich auf Ihre Reisen immer gut vor?

Überhaupt nie! Das hasse ich! Ein Ticket kaufe ich mir. Ich mag es gar nicht, wenn man schon ein Hotel gebucht hat. Im Jemen bin ich zum Beispiel nachts um zehn in der Dunkelheit angekommen, ohne ein Hotelzimmer bestellt zu haben. Und hab doch eins gefunden, in einem kleinen, sympathischen arabischen Hotel. Es macht keinen Spaß, wenn man vorher schon weiß: Ich muss in dieses oder jenes Hotel.

Sie lesen auch keine Reiseführer?

Bitte, ich nehme so einen kleinen Polyglott-Führer mit, mehr nicht. Mein Vater bereitete Reisen immer vor – das Grässlichste, was es für mich gibt! Man ist ja auch nicht unwissend, man weiß ja doch eine Menge. Das ist nicht zu verhindern. Man weiß, dass das Tadsch Mahal nicht in Südamerika liegt. Im Übrigen warte ich ab, was kommt.

Sie sind eine Abenteurerin!

Ach, so würde ich das nicht nennen. Das sind ja alles Länder, in denen schon mal jemand vor mir gewesen ist, ja? Sicher gerät man manchmal in Situationen, in denen man unsicher ist und nicht weiß, was passieren wird. Ich wollte einmal in Indien zu einem entlegenen Kloster fahren. Das Kloster war nach meiner Karte etwa 25 Kilometer entfernt. Ich hatte mein ganzes Gepäck dabei, und weil es zum Kloster keinen Bus gab, nahm ich eine Taxe. Nach einer Weile dachte ich, wir müssten doch schon lange da sein, und der Bambuswald wurde immer dichter. Der Weg war eigentlich auch gar keine Straße mehr. Da fiel mir blitzartig ein: Entweder bringt der Fahrer mich um, oder er wirft mich irgendwo raus und haut mit dem Gepäck ab. Und ich sitze da, und keiner findet mich. Kurz: Ich fand meine Situation nicht richtig gut. Also guckte ich mir den Mann an und kam zu dem Schluss: Wenn er keine Waffe hat, werde ich mit ihm fertig. Aber was mache ich, wenn ich ihn fahruntauglich haue? Ich kann schließlich nicht Auto fahren. Ich fantasierte blühend! Dann fasste ich mir ein Herz und fragte ihn von hinten, wie weit es denn noch sei. Keine Reaktion. Da war mir sonnenklar, dass er etwas Böses mit mir vorhatte. Ich nahm meinen ganzen Mut zusammen und lehnte mich nach vorne, um ihn noch einmal anzusprechen und ihm ins Gesicht zu sehen. Aber zu meiner Bestürzung sah ich, dass er weinte. Ich sagte: „Please, stop the car. Tell me why are you weeping?“ Er hielt das Auto auch tatsächlich an, drehte sich um zu mir und schluchzte: „I’ve lost the way!“ Er schämte sich so furchtbar, dass er diesen großen Auftrag bekommen und sich verfahren hatte. Ich tröstete ihn, das sei doch gar nicht schlimm und dass wir jetzt erst einmal eine ganze Strecke zurückfahren würden. Als wir schließlich beim Kloster ankamen, gab ich ihm erstens vor Glück, dass ich nicht ermordet worden war, und zweitens aus Scham, dass ich etwas Schlechtes von ihm gedacht hatte, ein sehr reichliches Trinkgeld, was ihn völlig verblüffte. Er fand sichtlich, dass er das nicht verdient hatte.

Das klingt aber doch abenteuerlich.

Überraschungen erlebt man immer wieder! Ein anderes Mal bin ich – zu einer Zeit, als es in China noch kaum Privatgeschäfte gab – in Xian in einen Laden mit Jadearbeiten geraten. Ein alter Chinese, der Französisch sprach, sagte mir, nachdem ich alles angeschaut hatte, ich solle mal abends um zehn kommen, dann würde er mir etwas zeigen. Das kam mir natürlich schon recht komisch vor, aber hin- und hergerissen zwischen Befürchtungen und Neugier, habe ich mich doch auf den Weg gemacht. So ein kleiner, alter Chinese wird dir schon nichts tun, dachte ich, aber wer weiß, wer da sonst noch ist. Ich trug einen leichten Staubmantel, und darunter versteckt und an einem Gürtel befestigt, habe ich einen Knüppel aus Platanenholz mitgenommen. Ich wurde mit Verbeugungen empfangen. Der Händler bedeutete mir, ich möge einen Augenblick warten, und kam kurz darauf mit einer großen, ganz dünn geschliffenen Schale aus weißer Mondlichtjade zurück. Was mir bis dahin gar nicht in den Sinn gekommen war: Es war Vollmond. Der Chinese riet mir, die Schale in die Hände zu nehmen und gegen den Vollmond zu halten. Das war ein so überirdischer, so wunderbarer Anblick, wie der Mond durch diese Schale kam, durch dieses luzide Material – unglaublich schön! Ich hielt diese Schale mit beiden Händen hoch – da fällt mir der Knüppel aus dem Gürtel!

Wie peinlich!

Der Chinese begriff natürlich sofort. Ich legte die Schale wieder in seine Hände und sagte, als alte, allein reisende Frau hätte ich einfach Angst gehabt in der Nacht – und der Weg sei doch weit … Ich sei eine furchtsame Europäerin und er möge bitte entschuldigen. Er lächelte nur, hob den Stock auf und stellte ihn an die Hauswand. Er hat dann noch weitere Objekte aus dem Haus geholt und mir gezeigt. Später verabschiedeten wir uns mit Verbeugungen, er holte den Stock, gab ihn mir zurück, und ich sagte zu ihm: Ich brauche hier keinen Knüppel. Ich hätte jetzt doch so viel confidence, so viel Vertrauen zu dem, was hier auf den Straßen passiert, dass ich den nicht mehr brauchte. Es war ein schöner Knüppel aus gutem Holz.

Wie sammeln Sie? Nach Lust und Laune oder nach Prinzipien?

Nee, Prinzipien habe ich schon mal gar nicht. Prinzipien sind mir ein Gräuel – auch wenn ich ein Buch schreibe zum Beispiel. Schreiben ist ja auch das Ergebnis von Sammeln. Es gibt Schriftsteller, die an die Wand ein großes Blatt Papier hängen mit den ganzen Handlungssträngen darauf. Das würde ich nie tun. Ich gehöre nicht zu denen, die einen Zettelkasten haben und Sätze sammeln oder Stichworte. Überhaupt nicht! So wie ich bestimmte Dinge in Schränken sammele, so ist man ja selber auch ein Schrank. Der Kopf oder auch das Empfinden, das ist eine Sammlung. Da hat man Erfahrungen gesammelt, auch körperlicher Art. Ich würde sagen, ich schreibe aus angesammelten Erfahrungen, aus nichts, das vorher katalogisiert ist. So wie ich auf Sachen gucke, wenn ich einen Schrank aufmache, so schreibe ich aus dem Schrank, der ich selber bin.

Sie sammeln also auch nicht auf Vollständigkeit?

Nein, nein! Ich sammle, was ich gern habe oder worauf ich neugierig bin. Manchmal habe ich nach Themen gesammelt, zum Beispiel Vogelgruppen zusammengestellt. Ich habe auch einen Schrank mit Tonpfeifen aus allen Ländern, ein urtümliches Kinderinstrument. In meinen Sammlungsräumen gibt es alte Schränke – keine kostbaren Schränke, sondern alte, nicht kostbare Schränke –, da hab ich dann Peru drin oder Portugal, Indien, Mexiko, Russland. Es ist sehr schön, einen Schrank aufzumachen, und plötzlich kommt einem ein Land, sein Stil, seine Atmosphäre entgegen.

Wissen Sie immer genau: Diesen Gegenstand muss ich jetzt kaufen, auch wenn er vielleicht teuer ist?

Wenn man etwas hinreißend findet, soll man es kaufen. Wenn man es nämlich nicht gekauft hat, ärgert man sich ewig darüber. Vor allen Dingen: Es wird dann immer schöner, weil man es nicht hat. „Was war das für ein herrlicher Holzlöwe – und so schön bemalt! Und ich hab ihn nicht gekauft, ich blöde Kuh.“ Man soll unbedacht sammeln, über Geld kommt man hinweg – allerdings muss man es haben, und manchmal hat man es eben leider nicht. Es gibt Leute, die auf Wiederverkäuflichkeit Wert legen, das finde ich ganz schrecklich, aber sollen sie alle, wie sie wollen. Manche kaufen sich gerne schrecklich teure Schuhe. Meinetwegen.

Habenwollen kann also durchaus etwas Gutes sein?

Ohne dass man etwas haben will, hat man ja keine Sammlung. Oder ohne dass man sich in einen Gegenstand verliebt. Und selbstverständlich möchte man ihn dann nicht irgendwo in Japan in einem Laden stehen lassen, sondern mitnehmen, ist doch klar!

Sie sollen einmal einem Sammler gesagt haben: „Dieses Spielzeug hat nur einen Fehler. Es gehört nicht mir.“

Ja, ja! Das passt zu mir.

Trennen Sie sich gelegentlich wieder von Dingen?

Was einmal Hausrecht hat bei mir, bleibt. (Pause) Manchmal habe ich Bücher, die ich gekauft habe oder (senkt die Stimme) die ich geschenkt bekommen habe und die mir richtig missfallen haben … ja, die kommen aus der Wohnung wieder weg!

Das also doch?!

Ja, die will ich nicht bei mir haben! Da sind auch ein paar berühmte Bücher darunter, die ich grausam finde. Und Krimis lese ich überhaupt nicht. Anderer Leute Tod und Mord dienen meiner Unterhaltung nicht. Und dann muss man Sachen, die man sammelt, natürlich auch pflegen, nicht? Weil man die Arbeit anderer Menschen hütet. Von Goethe, der ja ein leidenschaftlicher Sammler war, gibt es den sehr schönen Satz: „Wer beschützet und erhält, hat das schönste Los gewonnen.“ Diese Dinge bleiben bei einem und sind nicht schnell verbraucht wie irgendeine Bluse aus einer Boutique – auf die kann ich richtig gut verzichten.

Stellen Sie nach einer gewissen Zeit des Besitzens nicht manchmal auch eine Abnutzung fest? Dass die Bindung an das Objekt wieder schwindet?

Nee, erstens bin ich von Natur ein treues Tier. Es gehört alles zur Biografie, und irgendwann kommt immer, wie meine Großmutter gesagt hat, die Stunde für jedes Buch. Ich habe zweimal ein Buch weggegeben, weil ich dachte, das will ich nun wirklich nicht mehr haben, das brauche ich nicht mehr. Und dann habe ich es nach drei, vier Jahren wieder gekauft für viel mehr Geld. Man soll sich ruhig mit dem umgeben, was einem wichtig war, das wird auch wieder wichtig. Wenn man – sagen wir mal – in Island war und kommt nach Hause, dann sind einem Sachen, die man aus Marokko mitgebracht hat, in dem Moment nicht so nah. Man ist dann so auf Island fixiert. Aber irgendwann kommt man auch wieder nach Marokko! Man dreht sich in seiner Wohnung um die Welt. Da kommt einem immer wieder ins Bewusstsein, wie hingerissen man von etwas war, oder der alte Mann fällt einem wieder ein, der einem das verkauft hat.

Die Geschichte der Aneignung.

Genau. Ich schreibe gerade an einem Buch, das heißt „Die Herberge der stummen Rede“. Die Dinge reden ja alle mit einem, auch wenn sie stumm sind. Dass sie keinen Krach machen, ist sehr angenehm, aber sie erzählen doch Geschichten.

Hatten Sie nie Angst, dass Ihnen das Sammeln über den Kopf wächst?

Nein.

War Ihre Sammellust nicht gelegentlich ein Problem für Ihre Partner?

Ich habe immer gleich klar gemacht, dass daran nicht zu rühren ist. Einer meiner Lebenspartner hat mal zu mir gesagt: Das Beschwerliche an deiner Sammlung ist, dass sie so groß ist! Und ich sagte: Das ist doch gerade das Schöne an ihr!

Würden Sie Sammler auch psychologischen Mustern zuordnen?

Wissen Sie, etwas, was ich nie studiert hätte, ist Psychologie. Das hat etwas sehr Indiskretes, das ist mir sehr unsympathisch. Immer andere Menschen interpretieren zu wollen finde ich ganz widerwärtig. Über Sammler gibt es Interpretationen, die reichen von Habgier bis sonst wohin. Ich würde denken, dass allen Sammlern eins gemeinsam ist: Freude an dem, was Menschen machen oder Freude an dem, was es auf der Welt so gibt. Mich interessiert der angeborene Schönheitssinn, das Bedürfnis, etwas schön und sorgfältig zu machen. Er gehört zu den sehr sympathischen Eigenschaften der Menschen. Ich finde, dass Sammeln auch etwas Soziales ist – die Leute leben ja auch von ihrer Arbeit, davon, dass jemand sie ihnen abkauft. Wollen wir jetzt nach Afrika gehen?

Gerne!

Halt, erst will ich noch schnell diese afrikanische Maske katalogisieren, die ich gestern gekauft habe. Können Sie mir die mal gerade reichen? (nimmt die Maske in Empfang, an der auf dunklem Holzgrund ein fast viereckiges Mundloch mit blitzenden weißen Zähnen auffällt; sie wird später ihren adäquat expressiven Platz zwischen zwei glänzenden Pappmaché-Totenköpfen aus Mexiko finden)

Ein bisschen Systematik muss also doch sein?

Na ja, sobald ich etwas erworben habe und nach Hause bringe, wird es katalogisiert. Das ist schon erforderlich. (Pause) Ist es das wirklich? Ich erinnere mich eigentlich auch so, nicht unbedingt an das Datum, aber an den Laden in der hintersten Türkei. Aber es ist durchaus wichtig, allein schon für andere einmal, damit sie sehen, woher etwas kommt. Das hier ist jetzt mein achtes Katalogheft, ein reines Zugangsbuch. Also (schreibt sehr kleine Ziffern auf ein sehr kleines Klebeetikett): Fünfunddreißig neunhundertsechzehn. Wissen Sie, manchmal erinnert man sich an eine Reise. Man war auf Kuba meinetwegen, und man fragt sich: Was hab ich denn eigentlich so alles mitgebracht aus Kuba? Und das sieht man dann ganz schnell anhand des Katalogs, da taucht das Erlebte wieder auf.

Und was haben Sie aus Kuba mitgebracht?

Vor allem Schiffe! In Kuba gibt es fantastische Schiffbauer. Mein kleinstes Schiff ist vielleicht einen halben Zentimeter lang und mein größtes, sagen wir mal, zwei Meter dreißig. Aus dem Mitgebrachten erschließt sich plötzlich ein Land. Kuba ist ein Schiffemacherland. Und jetzt auf! (man begibt sich nach „Afrika“, einem vielleicht sechs Quadratmeter kleinen Kellerraum) Schon wenn mir der Geruch von Afrika entgegenkommt, das ist wunderbar. Ein so herrlicher Erdteil mit so wunderbaren Menschen. Es ist ein solches Unglück, was dort alles passiert, gerade wieder im Sudan, auch zwischen den Stämmen, dass sie sich so verkrallen in Hass oder der Hass ihnen eingepflanzt wird. Da ist es ein solcher Trost, wenn sie dann auch so schöne Sachen machen und sich beschenken. In Afrika gibt es große Ehrfurcht vor den Ahnen und die Vorstellung, dass die noch vorhanden sind, dass man sich an sie wenden kann.

Und diese Vorstellung schlägt sich nieder in Figuren?

Auch in Masken oder in Opfern. Es macht mich glücklich, einen Raum – und dies ist wirklich ein sehr simpler Raum – aufzuschließen und in Afrika zu stehen. Ich bin gerne in Südafrika gewesen, auch in Namibia und in Nordafrika.

Hier haben Sie ja auch einige eher comicartige, neuere Figuren.

Da ist überhaupt nichts Comicartiges dran! Und die sind auch nicht neuer, sondern sind alt, aus der Kolonialzeit, da haben die Afrikaner französische Ordnungskräfte dargestellt. Da ist nix von Comic dran.

Aber im Vergleich zu den ganzen sehr ethnologisch wirkenden Figuren wirken sie moderner, glatter.

Ja, sie haben Weiße porträtiert – und vielleicht auch ein bisschen karikiert, da mögen Sie recht haben. Die sind so um 1900 gemacht worden.

Hier sieht alles nach Handarbeit aus. Sammeln Sie auch industriell hergestellte Gegenstände?

Ja sicher. Zum Beispiel die Bücher.

Hm, okay. Was für Gerätschaften sind das in dem Korb?

Das sind Keulen, als Thema. Da sind Keulen von den Tongainseln dabei.

Alle aus Holz?

Ja. Alle. Nehmen Sie die da mal.

Aus schwerem Wurzelholz, liegt gut in der Hand. Die möchte man nicht über den Schädel kriegen, weder als Tier noch als Mensch.

Na ja, wir gehen halt zum Schlachter und kaufen Fleisch, und die mussten sich das erst erjagen. Das sind nicht nur Kampfkeulen Mensch gegen Mensch, sondern auch Keulen zur Nahrungsbeschaffung. Oder dazu gedacht, von den Bäumen Äste runterzuhauen.

Diese hier ist sehr reich geschnitzt!

Das ist eben das Wunderbare: Der Sinn der Menschen für Schönheit. Das ist sehr aufwendig und kostbar gemacht.

Für so einen rohen Zweck ein so filigranes Werkzeug!

Na ja, natürlich! Es ist ja auch die Ehre, die sie diesem Tier, das sie damit töten, antun. Und im Übrigen, auch wenn sie es als Waffe gegen Menschen benutzen: Bedenken Sie, wie kostbar früher auch unsere Gewehre gemacht wurden, mit Schildpatt- oder Elfenbeineinlagen.

Und was ist das da für ein Objekt?

Das ist eine Seychellennuss, die wird von den Seychellen in Indien angetrieben. Die hat natürlich eigentlich gar nichts mit Afrika zu tun, aber irgendwo musste ich sie unterbringen, und sie passt in den Farben gut hier rein.

Das stimmt. Sie wirkt sehr skulptural, fast wie moderne Kunst. Wozu dient diese merkwürdige Öffnung in der Mitte? Ist die von Natur aus so, oder wird die noch bearbeitet?

Nein, die ist schon so. Das Meerwasser wird ausgeschüttet, fertig.

Und was ist ihre Funktion?

Die Seychellennuss wird in indischen Tempeln als Symbol des Weiblichen sehr verehrt.

Oh, hm, ja. Da hätte ich vielleicht auch selbst drauf kommen können.

Nun ja …!

REINHARD KRAUSE, 43, ist taz.mag-Redakteur. Seine Briefmarkensammlung aus Kindertagen hat er rechtzeitig verbraucht, dafür bereiten seine Keramiken langsam Platzprobleme TITUS GEORGI, 34, ist Regisseur in Berlin. Er hat Ursula Ziebarths Sammlungsbestände fotografisch dokumentiert. Selbst sammelt er nichts, ist aber auch „kein Wegschmeißer“