Hamburg kann Schule machen

Schulforscher Wilfried Bos stellt Ergebnisse der KESS-Studie vor: Viertklässler sind ein halbes Schuljahr weiter als die 1996 getesteten Schüler. Große Klassen mit wenig Lehrern schaden doch. Sozial schwache Schüler sind weiter benachteiligt

von Kaija Kutter

Nun ist es amtlich, was kürzlich bereits von Berliner Schulforschern kolportiert wurde: Die im Frühsommer 2003 erhobene Grundschulstudie KESS bescheinigt Hamburgs Schulen gute Leistungen. Zwar liegt Hamburg in den Bereichen Lesen, Mathematik und naturbezogenes Lernen nur im Bundesdurchschnitt. Doch das sei für eine Metropole mit hohem Migrantenanteil „relativ gesehen nicht schlecht“, sagte Schulforscher Wilfried Bos, der die Studie geleitet hat. Verglichen mit im Jahr 1996 getesteten Schülern haben Hamburgs Viertklässler im Lesen einen Vorsprung von einem halben Jahr, in Mathematik sogar von einem Jahr.

Soweit die positive Nachricht. Die schlechte Nachricht ist, dass es in Hamburg zwischen Schülern aus oberen und unteren Schichten einen Lernabstand von einem Schuljahr gibt. „Hamburg gelingt es nicht, den Nachteil für Kinder mit Migrationshintergrund adäquat auszugleichen“, sagte Bos. Da dieser Effekt aber im Bundesschnitt noch größer sei, könne man „davon ausgehen“, dass die seit 1996 getroffenen Maßnahmen wie Lese- und Deutschförderung greifen würden.

Bos hat auch die KESS-Leistungen mit den Gymnasialempfehlungen verglichen und kommt dabei zu erschreckenden Zahlen: Für ein Kind aus der „oberen Dienstleistungsschicht“ ist es selbst bei gleicher Leistung und Intelligenz 2,5 mal wahrscheinlicher, fürs Gymnasium empfohlen zu werden, als für ein Kind aus der unteren Schicht. „Die Lehrer machen das durchaus bewusst“, sagt Bos. Sie wüssten halt, dass der Chefarztsohn vom Elternhaus genügend Unterstützung erhalten kann, „die Tochter der türkischen Putzfrau aber spätestens an der zweiten Fremdsprache scheitert“.

Bos, der die Ergebnisse im Beisein von Bildungssenatorin Alexandra Dinges-Dierig vorstellte, betonte, dass Länder mit guten Ergebnissen bei Schulstudien auch eine gute Schüler-Lehrer-Relation für Fördermaßnahmen haben. Dies traf zum Zeitpunkt der KESS-Erhebung zum Ende des Schuljahrs 2002/2003 auch auf Hamburg zu. Damals kam in Klassenstufe 4 ein Lehrer auf 16,2 Schüler. Allerdings hat sich dieses Verhältnis nach einer Erhebung des Schulleiterverbands seither um neun Prozent verschlechtert, die 22-prozentige Kürzung bei der Sprachförderung eingeschlossen.

Auf Nachfrage schloss die parteilose Senatorin weitere Kürzungen bei der Sprachförderung aus: „Wir werden aufgrund dieser verlässlichen Analyse die knappen Ressourcen so einsetzen, dass wir diesen Weg weiter beschreiten können“, erklärte sie und lobte ihre SPD-Vorgängerin Rosie Raab. Deren 1996 getroffenen Richtungsentscheidungen wie die Einführung von Vergleichsarbeiten und Verlässlicher Halbtagsschule seien ein „hervorragender Weg“ gewesen.

Quasi als „Abfallprodukt“ der KESS-Studie erhielt die Bildungsbehörde einen neuen Sozialindex für die 230 Grundschulen. Diese wurden in sechs Gruppen unterteilt von 48 besonders belasteten Schulen bis hin zu 32 im oberen Bereich, die keiner Förderung mehr bedürfen.

Abseits dieser Eingruppierung gibt es laut Bos jedoch 50 Schulen, die „erwartungswidrig gut“, und 50 Schulen, die „erwartungswidrig schlecht“ abgeschnitten hätten. Die Standorte werden nicht veröffentlicht, doch riet Bos der Behörde, sich diese Schulen genau anzuschauen, um aus Fehlern und Erfolgen zu lernen.