PETER UNFRIED über CHARTS
: Goodbye, Woody

Tagebuch eines 40-Jährigen: Der Abschied von den Allen-Filmen ist ein teilgesellschaftlicher Fortschritt

Es war ein kalifornischer Junitag, ein Freitag, um genau zu sein. Freitags laufen die Filme an, und so rannte ich – wie es sich ja wohl gehört – um Elf in der Früh in die Stadt. Um einen Platz in der ersten Vorstellung des neuen Woody-Allen-Films zu kriegen. Auf der Pacific Avenue: riesige Schlangen vor den Kinos. Einsetzende Rührung. Na, bitte: Der Amerikaner ist nicht so. Wie man immer sagt.

Ich saß dann allein im kleinsten Vorführungssaal des Hauses, die anderen drängten sich alle bei „Spiderman“. Es lag übrigens nicht an den doofen Kaliforniern. Wie die New York Times meldete, blieben auch jene Kinosäle in New York leer, die im Sommer von 2002 „Hollywood Ending“ zeigten. Ein Film, dessen Schlusspointe darin besteht, dass ein erblindeter Regisseur (Allen) einen unnötigen Film dreht, der in den USA floppt, aber in Europa ein großer Erfolg ist, weil speziell die Franzosen das blinde Zeug für Kunst halten.

Ich lachte ausgiebig. Aber als das Licht anging, ahnte selbst ich es. Die Welt musste sich verändert haben! Verdammte Scheiße. Und wo immer ich später über „Hollywood Ending“ erzählte, gähnten Menschen. Der Film lief dann in Deutschland erst gar nicht mehr an.

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Die Charts der späten Allen-Filme:

1. Mighty Aphrodite (1995) 2. Small Time Crooks (2000) 3. Hollywood Ending (2002) 4. Deconstructing Harry (1997) 5. Manhattan Murder Mystery (1993). Die anderen Filme der letzten Jahre hießen „The Curse of the Jade Scorpion“ (2001), „Sweet and Lowdown“ (1999), „Celebrity (1998), „Everyone says I love you“ (1996), „Bullets over Broadway“ (1994). Die meisten Leute erinnern sich aktiv höchstens an drei.

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Das Problem war nie, dass Allen „nicht mehr so gut ist wie früher.“ Er ist FRÜHER. Sein Inventar, einschließlich der Nazi-Witze, hatte noch in den 80ern etwas Kathartisches. Heute ist es immer noch lustig. Aber ein bisschen so, als würden sich Reich-Ranicki und Jens „versöhnen“, um dann zusammen etwas über Thomas Mann zu machen.

Allerdings ist im Moment ja wieder eine ganze Reihe auf dem langen Weg nach Gestern unterwegs. Von der absurden Energieverschleuderung durch die Rechtschreib-Reaktionäre gar nicht zu reden: Aber warum schreiben ständig vernünftige, mittelalte oder sogar junge Leute neue Bücher über Gestern? Arbeiten sich verstärkt ab an den 68ern (Deutschland), den Hippies (USA), den 80ern, erledigten Politikern, ja sogar an ihrer Zeit bei der Bundeswehr? Vergeuden letztlich ihre und unsere Zeit. Sicher auch aus Verzweiflung (vgl. Hartz IV, die angebliche Deklassierung der Mittelklasse). Aber auch: Weil ihnen zu Morgen nichts einfällt. Weil es kein Material in Archiven dafür gibt. Weil Morgen ein großes, schwarzes Loch ist. Dagegen erstrahlt selbst der Führerbunker in warmem Licht. So gesehen hat es etwas Beruhigendes, wenn Fest in Bild mal wieder aufdeckt, wie Blondi vergiftet wurde.

Leider muss heute, das hat mir ein Kollege erklärt: „auf dem Platz gespielt werden“. Aktivismus statt Eskapismus? Die Folgen für unsere Bequemlichkeit sind noch nicht abzusehen, doch ich fürchte, er hat Recht. Woody Allen jedenfalls stand immer für kritisches, gebildetes, lustiges Parlieren aus der Distanz. Insofern ist es fortschrittlich, sich immerhin schon mal von ihm verabschiedet zu haben. Allerdings darf man sich nicht davon schleichen wie bei einer Freundschaft, die eingeschlafen ist. Es war also keineswegs sentimentale Loyalität, dass ich gestern Abend in „Anything Else“ gerannt bin. Sein 34. Film. Mein letzter. Danke. Und ade. Wir müssen uns um Morgen kümmern! W-I-R.

Ich würde gerne noch mehr darüber erzählen, aber jetzt muss ich erst mal meine „Eagles“-Platte umdrehen: „On the Border“. Von 1974. Die habe ich nach jahrelanger Suche bei „Amoeba“ in Berkeley gefunden. Don Felders Gitarre auf „Good Day in Hell“ transformiert den Countryrock der Eagles in jenen grauenhaften Sound, der in die Geschichte als Westcoast einging. Wahnsinn.

Fragen zum Abschied? kolumne@taz.de Morgen: Jenni Zylka PEST & CHOLERA