theorie und technik
: Was heißt heute subversiv?

Die Dissidenz ist flüchtig –denn was heute ein Widerspruch gegen das System ist, das ist morgen ein Geschäft

Im Grunde ist es höchst erstaunlich, dass in den vergangenen Jahren Theoriecommunities und Protestmilieus wieder eng zusammengewachsen sind. Noch vor zehn Jahren war das ganz anders. Man war entweder altväterlich siebzigerjahrehaft „engagiert“ – oder aber man interessierte sich für moderne sozialphilosophische Tendenzen, las französische poststrukturalistische Theorie, hörte avancierten Pop, guckte experimentelle Filme, kleidete sich in Schwarz und hatte dunkel umrahmte Brillen auf, die ästhetisch den Kassengestellen nachempfunden, dafür aber sündteuer waren. Heute dagegen wird an Staatstheatern über Kommunismus nachgedacht, Marx mit Foucault verrührt, und im Rahmenprogramm zu Kunstschauen wird über die Chancen „radikaldemokratischen Aktionismus“ (documenta 11) räsonniert. Zwar gibt es natürlich immer noch diesen leicht elitistischen Blick avancierter Diskursjockeys auf all jene, die nicht so tolle Trash-Chic- und Designer-Outlet-Klamotten tragen und die den Sound aus Differenz, Multitude, Postfordismus und Biomacht nicht so gut drauf haben. Aber doch ist die Welt der, sagen wir einmal, Attacies auf der einen und der Heiner-Müller-Lookalikes auf der anderen Seite nicht mehr durch einen Graben getrennt, sondern mit vielen kleinen Stegen verbunden.

An den Orten, an denen auf raffiniertere Weise links nachgedacht wird, ist nun die Frage nach den Möglichkeiten von Subversion das große Thema geworden – auch wenn es im leise melancholischen, selbstreflexiv ironischen Ton abgehandelt wird. Je nach Anlass ist man entweder der Meinung Slavoj Žižeks, dass in der Postmoderne „der Exzess der Überschreitung seine Schockwirkung“ verliert und völlig integriert wird; oder man ist im Gegensatz dazu der anderen Meinung Slavoj Žižeks, dass es nämlich keineswegs so ist, „dass der Kapitalismus die endlose Fähigkeit besäße, alle Sonderwünsche zu integrieren und ihnen die subversive Spitze zu nehmen“.

Ganze Kohorten drehen „dem System“ den Rücken zu, wandern aus in die Subkultur, machen „ihr Ding“ und theoretisieren das zu einem neuen Eigensinn (übrigens auch, weil „das System“ mit Prekarisierung und verstopften akademischen Aufstiegskanälen innerhalb des Establishments zuvor ihnen den Rücken zugekehrt hat). Sie versuchen eine Art widerständige Existenz zum konsumistischen Glitzeruniversum zu etablieren, eine demonstrative Abkehr zum Mainstream. Damit, da kann man mäkeln, so viel man will, schaffen und erweitern sie Freiheitsräume. Andererseits ahnen sie aber immer auch schon, dass sie damit „das System“ auch nur bestätigen und am Laufen halten. Weil der subversive Exzess von heute der Trend von morgen ist. Subversion ist heute eine Produktivkraft des Systems und deshalb ist, in den klugen Worten Katja Diefenbachs, „die Dissidenz flüchtig“. Was heute Widerspruch ist, ist morgen ein Geschäft. Kritik ist, dort wo sie eine größere Menschenmenge erreicht, auch nur Entertainment, Konsumgut – und das Rebellischsein ist auch eine der möglichen Unique Selling Propositions. Die Typen, die ihr Ding machen, die auf Verkaufbarkeit, Marktgängigkeit und Mainstream scheißen, sind selbst zum Role-Model geworden. Einerseits. Andererseits sind ihre Lebensentwürfe immer belagert vom Druck der Total-Ökonomisierung.

Diese Ambivalenzen sind auch der Humus für die jüngste Foucault-Kontroverse, die anlässlich des 20. Todestages des Großdenkers durch die Feuilletons wehte. Ist der Foucault-Hype, wurde da gefragt, Ausdruck für einen neuen kritischen Trend oder doch nur die Begleitmusik zur täglichen Selbstdressur des neoliberalen Selbst, das sich kritisch gibt, regelmäßig neu erfindet und gerade deshalb die paradigmatische Gestalt unseres Zeitalters ist. „Erneuert Foucaults Denken eine Kritik an unserer Gegenwart oder steht es für ein Sich-Einrichten in den Verhältnissen?“, fragte beispielsweise Ulrich Brieler in der taz.

Womöglich sind die scharfen Entweder-oder-Fragestellungen falsch. Womöglich sollten wir es eher mit einem Sowohl-als-auch versuchen, mit Blick auf Möglichkeiten, aber nicht blind für Risiken und Nebenwirkungen. Die alte Linke war auf Staat und Macht orientiert und hat, in dem, was sie für einen Befreiungskampf hielt, die Praktiken von Macht nur zu oft reproduziert. Modernes linkes Denken müsste wohl eher auf Eigensinn und gutes Leben orientiert sein, läuft damit aber immer Gefahr, bloß die Avantgarde urbanisierten Mittelstands-Individualismus zu werden – eine Gefahr, die immer dann wächst, wenn die Akteure öffentliche Wirksamkeit erlangen. Wirklich „sauber“ bleibt nur der Subversive, dessen Subversion keiner bemerkt. ROBERT MISIK

Robert Misik und Isolde Charim schreiben von nun an abwechselnd eine Kolumne zur Theorie – jeden ersten Dienstag im Monat