Zahl der toten US-Soldaten vierstellig

Im Irak ist der 1.000. US-Soldat ums Leben gekommen – aber eine Kehrtwende der US-Politik leitet diese Zahl nicht ein. Lediglich im US-Wahlkampf wird der Irakkrieg wieder zum wichtigen Thema. Rumsfeld: Über große Landesteile keine Kontrolle

AUS WASHINGTONMICHAEL STRECK

Seit Tagen wiesen die US-Medien darauf hin, dass im Irak bald eintausend US-Soldaten ums Leben gekommen sein werden. Sie suggerierten, dass sich dann im Umgang mit dem Krieg und in seiner Wahrnehmung etwas ändern könnte, dass diese numerische Grenzüberschreitung – als solche wurde die Zahl offenbar aufgefasst – möglicherweise den Wahlkampf noch einmal durcheinander wirbeln könnte.

Am Dienstag war es dann so weit. Die Nachricht flimmerte über die Bildschirme. Und der Krieg, den die US-Regierung in den letzten Tagen so gerne zu verdrängen suchte, war plötzlich nicht mehr abstrakt, sondern konkret: Er hatte wieder Namen und Gesichter von Toten.

Ob die Zahl 1.000 nun eine Schallmauer darstellt, deren Durchbrechen einen wachrüttelnden Knall in der Wählerschaft auslösen wird, ist mehr als fraglich. Kommentatoren der führenden Zeitungen schwiegen. Weißes Haus und Pentagon spielten das Thema erwartungsgemäß herunter. Für Präsident George W. Bush ist die Zahl der Toten eher ein Grund weiterzumachen: „Wir werden unsere Mission erfolgreich beenden, damit die Kinder, Ehemänner und -frauen nicht umsonst gefallen sind“, sagte Bush auf Wahlkampftour in Missouri. Und Verteidigungsminister Donald Rumsfeld meinte lakonisch, würden die Verluste der USA auf anderen Schlachtfeldern im globalen Krieg gegen den Terror berücksichtigt, seien längst mehr als 1.000 gefallen. John Kerry, Präsidentschaftskandidat der Demokraten, sprach hingegen von einem „tragischen Meilenstein“, gelobte, die Truppen im Zweistromland so schnell wie möglich nach Hause zu bringen, und nutzte die Gelegenheit, scharfe Geschütze gegen die Irakpolitik der Regierung aufzufahren.

Immerhin entfachte die vierstellige Opferzahl die Debatte zwischen Bush und Kerry über den Krieg neu, die beide auf den Parteitagen von Demokraten und Republikanern gemieden haben wie der Teufel das Weihwasser. Beide aus ihren eigenen guten Gründen. Kerry hat Probleme, seine eigene Position zu erklären. Er unterstützte die Kriegsresolution im Kongress, kritisierte später heftig die Nachkriegsplanung und ist nun der Ansicht, dass die Invasion eine „außenpolitische Katastrophe“ darstelle. Die Republikaner verspotten ihn daher als „Flip Flopper“, als jemand, der seine Fahne in den Wind hängt und somit untauglich ist für den Job des Präsidenten in Kriegszeiten.

Doch Bush ist ebenso verwundbar aufgrund seiner eigenen Widersprüchlichkeit. In der Irakfrage änderte er seine Haltung mehrfach. Die ursprüngliche Kriegsbegründung, der Irak bedrohe die Welt mit ABC-Waffen und verfüge über Verbindungen zum Terrornetzwerk al-Qaida, war nach erfolgloser Waffensuche nicht mehr zu hören. Stattdessen wollte Bush die Iraker von der Diktatur befreien und im Nahen Osten ein Saatkorn für die Demokratie legen.

Lange war von der Opposition zum Thema „Kriegsmanipulation“ nichts mehr zu hören. Das dürfte nun im hitzigen Wahlendspurt vorbei sein. Kerry, im Bemühen, sich aus der derzeitigen Defensive herauszumanövrieren, könnte überdies gezwungen sein, endlich seine komplexere Sicht auf den Krieg darzulegen – ein Schritt, der die Auseinandersetzung um die Irakfrage bereichern könnte. Ihm böte sich so die Gelegenheit, sich deutlicher und für den Wähler nachvollziehbarer von Bush abzugrenzen. Nicht auszuschließen, dass einige von ihnen dies honorieren werden, glaubt doch mittlerweile eine Mehrheit der US-Bürger, dass der Irakkrieg ein Fehler war.

Fokussiert auf den Schlagabtausch zwischen den Kontrahenten, ging am Dienstag in der US-Öffentlichkeit das Eingeständnis des Pentagons fast unter, dass Aufständische im Irak mittlerweile wichtige Regionen im Landesinneren kontrollieren würden. Nach Informationen der New York Times aus dem Hause Rumsfeld sei derzeit unklar, wann die US-Streitkräfte diese Gebiete, darunter die Rebellenhochburgen Ramadi, Falludscha, Bakuba und Samarra, zurückerobern könnten. Die prekäre Sicherheitslage, räumen US-Generäle ein, könnte sogar den für Januar angesetzten Wahltermin gefährden, der eine irakische Regierung legitimieren soll.