Blicke vom Beckenboden

Wenn man das eigene Leben nach Werbespot-Drehbuch gestaltet: In der italienischen Komödie „Casomai – Trauen wir uns“ sucht ein junges Paar das Glück immer dort, wo es nicht ist

von MARGARETH OBEXER

„Wer unglücklich ist, konsumiert mehr.“ So kommentiert der Pfarrer eine nicht ganz gewöhnliche Hochzeitsfeier, die dem Paar die Gelegenheit gibt, in ihr künftiges Leben zu schauen. Sie sollen offen entscheiden, ob sie das Leben wollen, für das sie sich vor dem Traualtar eingefunden haben, oder ob sie es doch lieber vorziehen, die Kirche zu verlassen und getrennt nach Hause zu gehen. Gehen können auch die geladenen Gäste, denn die haben einen nicht unerheblichen Anteil am Verlauf dieser Ehe.

Ungewohnt scharf sind die Fragen, die Alessandro D'Alatri in der Komödie „Casomai – Trauen wir uns“ an die italienische Gesellschaft und ihre artgestylten Begriffe von Liebe, Beruf und Familie stellt. Stefania (Stefania Rocca), die Visagistin, und Tommaso (Fabio Volo), Art Director einer Werbefirma, lernen sich in einem der Studios kennen, in denen die Bilder vom Glück, von der Liebe und der Familie geschaffen werden, um die Kaufkraft anzuregen. Mit ihrer Liebe meinen sie es ernst: Fragil befragen sie sich und den anderen nach der Größe des Gefühls, tasten es danach ab, ob es der Idee standhält, dem Format für ein ganzes Leben.

Dennoch wirken sie immer eine Spur zu spät, denn Freunde, Kollegen, Eltern und Werbung scheinen schneller im Entwerfen ihrer Zweisamkeit. Noch bevor sie sich den ersten Kuss geben, sind sie Verliebte. Lange, bevor es zur ersten Nacht kommt, sind sie ein Paar. Und während sie noch den Anfang ihrer eigenen Erzählung suchen, scheint ihr Leben schon erzählt.

Sie beschreiben dem Pfarrer, wie sie sich ihre Ehe vorstellen: wie Eiskunstläufer als ein gleitendes, perfekt aufeinander eingespieltes Paar: Später zeigt sich, dass dieses Bild einem Werbespot für Eiscreme entnommen war.

Mit dem Erfinden ihres gemeinsamen Glücks und der an sie herangetragenen Mär verhält es sich wie mit der Geschichte von Hase und Igel: egal, wie schnell sie sind, die Vorlage ist schneller.

Schneller als sie denken können, werden Stefania und Tommaso erfasst vom ewig gleichen Ablauf, der ihnen als Überblick maximal die Erinnerung an eine große Liebe zurücklässt. Fortwährend übermüdet, vom Alltag zum ständigen Entscheiden, Organisieren und Durchführen gezwungen, steuern sie atemlos und gut meinend, älter werdend, rettungslos auf das Scheitern zu. Das Leben sehen sie fortan von unten – wie die Kamera vom Boden eines Schwimmbeckens aus, an dessen blauer Oberfläche das Kind gerade schwimmen lernt.

Ein Innehalten gewährt dieser Vollzug nicht, ebenso wenig wie die Kamera, die in ständiger Bewegung ist, einzelne Bilder fokussiert wie zufällig entstandene Arrangements mit Menschen und Waren, Produkten. Nirgends, auch nicht beim Bergsteigen, gewährt sie eine Gesamtschau. Sie zeigt Wegabschnitte, nie den ganzen Weg. Die Figuren hängen in der Wand, am gemeinsamen Seil, sich gegenseitig sichernd. Wenn sie sich umdrehen und aufschauen, erblicken sie sich auf einem Werbeplakat: das eigene Leben als Produkt von Glücksversprechungen, an denen Tommaso selbst mitschreibt.

Der Blick reicht gerade so weit, um festzustellen, was ihnen gerade abhanden gerät: die Lust aufeinander, die Zeit füreinander, das Gespräch miteinander. Beinahe fehlt ihnen auch die Gelegenheit, um sich zu trennen.

Der Film verrät einiges über die untrennbaren Zusammenhänge von Privatheit und Öffentlichkeit. Tommaso und Stefania sind durchwirkt von den Vorstellungen von Glück und Familie, denen sie nacheilen; sie selbst schreiben mit, was ihnen eingeschrieben ist. Nur, dass sich irgendwann die Wege scheiden und das Werbeplakat, für das sich Stefania als glückliche Mutter von vier Säuglingen ablichten lässt, als blanke Lüge erkennbar wird. Der Untergang war nicht vorgesehen. Dabei birgt genau derselbe Entwurf vom glücklichen Leben ihr unentrinnbares Scheitern.

Die Wahl, die der Film ihnen rhetorisch aufgibt, haben die beiden nicht wirklich. Zu sehr sind sie durchwachsen von einem Modell eines gelungenen Lebens, wie es sich in der modernen italienischen Gesellschaft abspielt. Die Idee vom Glück bleibt alternativlos, in Konventionen gefangen – erfolgreich, wohlhabend mit Familie. Und vom Alleinsein ist im Film noch niemand glücklich geworden: „Allein sein, wie Hunde“, heißt es einmal. Dieses Fehlen von Alternativen kann man dem Film einerseits vorwerfen. Andererseits ist nicht die Alternative das Thema. Der Film fokussiert an diesem einen Glücksversprechen dessen Unbrauchbarkeit.

Beweglich, wie es Menschen nicht sein können, die an den ersten grauen Haaren die Unumkehrbarkeit ihres Lebens erfahren, bleiben zuletzt Freunde, Kollegen und Werbung. Die ersten wechseln bruchlos von der Liebesgeschichte zur Erzählung einer Ehe, die langweilt, und sehen bald auch die Scheidung kommen. Für sie scheint die Wende zur Tragödie fester Bestandteil zu sein, um die Geschichte am Laufen zu halten. Auch steuerrechtlich empfiehlt sich die Scheidung, lange bevor sie ernsthaft gewollt wird. Als der Pfarrer den Hochzeitsgästen die gemeinsame Unterstützung ihrer Ehe als Versprechen abverlangt, winken die müde ab: der eine, weil er als Rechtsanwalt von Scheidungen lebt, die anderen, weil sie die Ehe nun doch zur privaten Angelegenheit erklären. Die Werbung hingegen zieht aus jedem Untergang einen Nutzen. Ein neuer Spot wirbt für ein Auto mit 120 Pferdestärken. „Wer unglücklich ist, konsumiert mehr.“