Die Zukunft ist veraltet

25 Jahre Ars Electronica in Linz: Zwar glaubt niemand mehr an die revolutionäre Kraft elektronischer Medien, doch das Verhältnis Mensch/Maschine wird noch immer künstlerisch interessant verarbeitet

VON BJÖRN GOTTSTEIN

„Der Mensch spielt nur, wo er in voller Bedeutung des Worts Mensch ist, und er ist nur da ganz Mensch, wo er spielt.“ Sollte Schiller richtig gelegen haben, dann sind wir der Menschwerdung am Wochenende in Linz einen gehörigen Schritt näher gekommen. Die Ausstellungsräume sind mit Modelleisenbahnen und Knetgummi, mit Carrerabahnen und Joysticks übersät. Und das Publikum lässt sich mit naiver Spielzeugfreude auf die Exponate ein. Wir sind auf der Ars Electronica 2004 – dem teuersten Spielplatz der Welt.

Das Linzer Festival ist 25 Jahre alt. Heute, wo es Medienkunstfestivals allerorts hagelt, mag man an einer solchen Veranstaltung nichts Außergewöhnliches finden. 1979 hingegen galten elektronische Speichermedien als revolutionär. Die Veranstalter ließen es sich so auch nicht nehmen, Verdienst und Pioniergeist eines Festivals aufzuarbeiten, das vom Datenhandschuh bis zum Cybersex die technischen Fantasien der Moderne künstlerisch reflektiert hat.

Um nicht zu viel zurückblicken zu müssen, hatte man die Zukunft zum Leitmotiv erklärt: „Timeshift – Die Welt in 25 Jahren“. In einem zweitägigen Symposium orakelten deshalb einige in die Jahre gekommene Futurologen wie Marvin Minsky ein wenig vor sich hin. Die meisten erlagen der Versuchung des historischen Strahlensatzes: Wenn das Jahr 2004 sich zu 2029 verhält wie 1979 zu 2004, dann lässt die Zukunft sich aus der Gegenwart herauslesen, wenn man nur die Gegenwart an den Zukunftsvisionen der Vergangenheit misst. Könnte man meinen. Die Ergebnisse blieben mager, und man gewann eigentlich nur das Gefühl, dass die Zukunft als Idee selbst veraltet ist.

Sherry Turkle, die das emotionale Verhältnis zwischen Mensch und Maschine in den Blick nahm, kam immerhin zu der Einsicht, dass wir längst in der Zukunft angekommen sind, sofern fühlende Maschinen nicht auf komplexe Software angewiesen sind, sondern auf Menschen, die bereit sind, ein emotionales Verhältnis zu diesen Maschinen aufzubauen – eine Entwicklung, die gerade zu einem Quantensprung im menschlichen Gefühlshaushalt führt.

Mengos „Ah_Q“ gehört zu den Arbeiten, die mit einer „Goldenen Nica“ oder einer „Distinction“ ausgezeichnet wurden. Bezeichnenderweise haben die Jurys sich weniger von Spaß- und Designfaktor blenden lassen, sondern in erster Linie Stücke prämiert, die den Freiraum künstlerischer Autonomie nutzen. Der Saal, in dem Mark Hansen und Ben Rubin ihren „Listening Post“ eingerichtet haben, wird zum Ort sakraler Weihe. Über die dunkle Wand aus hunderten von LED-Anzeigen laufen Beiträge aus aktuellen Internet-Chats, denen eine sonore Computer-Stimme die Würde priesterlicher Salbung verleiht.

Quasireligiöse Züge prägen auch Thomas Köners Installation „Banlieue de Vide“. Videostills skandinavischer Verkehrsüberwachungskameras zeigen schneeverhangene Straßen, die von harmonisch angereichertem Rauschen und verhaltenen Alltagsklängen begleitet werden. Die witterungsgedämpfte Stimmung des Stücks fordert die auf Sekunden getaktete Aufmerksamkeit der Besucher heraus und fokussiert die Randstellen unserer Wahrnehmung.

Der Musik fällt bei alldem häufig eine zweifelhafte Rolle zu. Kaum eine Arbeit, die nicht wohlig pluckert und Klang zum Möbel degradiert. Dass die elektronische Musik über eine wüste und rebellische Kraft verfügt, erfährt man erst, als Musiker wie Christian Fennesz, das Duo Skoltz_Kolgen oder Granular Synthesis die verrauschten Residuen der Popmusik zum akustischem Albdruck steigerten und die Zuhörer vor den Geräuschwänden fast ein wenig hilflos zurückließen.

Natürlich konnte man auch etwas lernen. Dass, wo Scanner und Touchscreen als virtueller Pinsel und virtuelle Leinwand dienen, die Welt zur Farbpalette wird. Dass elektronische Fußfesseln auch als spaßige Kontaktbörse missverstanden werden können. Und dass die einst gerühmte Linzer Klangwolke, ein bombastisches Open-Air-Event, sich in eine speckige Klangwurst verwandelt hat. Am späten Abend bleibt man vor einem Werbebildschirm der Hotellobby stehen. Während man mit dem Finger über das Glas fährt, flimmern die Angebote an einem vorbei. Man rätselt, warum die Bilder so schlecht auf Berührungen der Scheibe reagieren, bis man das Schild „not a touchscreen“ entdeckt und einem klar wird, dass man es sich in der Welt interaktiver Medien schon recht gemütlich gemacht hatte.