Der Deal mit Gott

Der Dogma-Film „In deinen Händen“ schickt eine junge Pfarrerin ins Frauengefängnis – und in die Glaubenskrise

Normalerweise macht man das nicht. Man schickt keine frisch gebackene Theologieabsolventin als Pfarrerin ins Gefängnis. Auch nicht, wenn es ein Frauengefängnis ist. Der alte Pastor war einer mit weißem Haar und Brille, einer mit Autorität. Anna (Ann Eleonora Jorgensen) wird es um einiges schwerer haben, den abgebrühten Knastschwestern den Glauben an die Erlösung zu vermitteln. Oder zumindest den Glauben an sich selbst. Fast alle hingen oder hängen an der Nadel. Da ist der nächste Schuss allemal wichtiger als der Deal mit Gott.

Als Problem könnte sich auch herausstellen, dass die Enddreißigerin einen eher intellektuellen Zugang zum Thema hat. Dass Jesus übers Wasser lief, erklärt sie als Metapher für den Glauben, der alles bewirken kann. Doch das Mädchen, das danach fragte, glaubt es wirklich. Denn da ist noch eine andere Insassin, die ebenfalls wundersame Kräfte besitzt. Durch Handauflegen hat Kate (Trine Dyrholm) sie von ihrer Drogensucht geheilt, ganz ohne Entzug. „Die hat was mit Gott“, sagt das Mädchen im hier üblichen Sprachgebrauch, aber ohne das ebenfalls übliche süffisante Lächeln. Anna hat nichts mit Gott – ihr fehlt eine Erfahrung, die Kate ihr voraushat. Die Wärter nennen es Drogenpsychose, Theologen eine Epiphanie.

Der zweifelnden Pastorin wird die Offenbarung zuteil, mit aller Gewalt, die Annette K. Olesens superrealistisches „Schlechtfühlkino“ – so nennt sie selbst ihren, den 34. Dogmafilm – ins Metaphysische transzendiert. Zunächst scheint alles gut zu gehen. Die gefangenen Frauen tragen ihre eingefallenen Junkieaugen in Annas Gottesdienst und lassen sich über Schuld und Vergebung aufklären. Der dänische Knastalltag wird zwar Dogma-gemäß schlecht ausgeleuchtet, aber als erträglich dargestellt. Die Wärter sind nett, aufgeschlossen und hilfsbereit und werden zum Dank mit anonymen Briefen bedroht. Manchmal nehmen sie sich dann gegenseitig in den Arm. Irgendwann hat die verschlossene Kate was mit einem der Wärter, das auch zart ist und schön, aber verboten. Das Drama jedoch besteht in Annas unerwarteter Schwangerschaft. Das Kind könnte missgebildet auf die Welt kommen.

Nun wird die Sache mit dem Glauben zur Frage von Leben und Tod. Und wieder wird deutlich, dass die Dogma-Bewegung nicht umsonst so heißt. Nicht nur ringt sie schon immer mit den letzten Dingen, mit Religion, Krankheit, Tod. Es ist auch egal, woran man glaubt, an Geister, den Menschen, den bösen lieben Gott oder die spirituellen Kräfte einer schizoiden Strafgefangenen. Entscheidend ist der Glaube, etwas bewirken zu können. Die hektische Betriebsamkeit hatte stets ein Ziel – die Wahrheit in „Das Fest“, Selmas Seelenheil in „Dancer in the Dark“. Ihm diente das mönchische Gelübde der Gründer, vom persönlichen Geschmack Abstand zu nehmen und von den Mitwirkenden und Szenerien die Wahrheit einzufordern. Es ist diese Forderung, der sich Anna und ihr Mann stellen müssen. Wollen sie das Kind oder nicht?

Anna trifft die Entscheidung, die ihrem Zweifel Rechnung trägt. Doch dieser Zweifel vermag hier noch mehr. Er vernichtet einen anderen Menschen.

Mit ihrem Pessimismus will sich Annette K. Olesen absetzen gegen die Dogma-„Komödien“ der letzten Zeit, also auch gegen das eigene Debüt „Kleine Missgeschicke“. Ruhig und intensiv wie ein Vaterunser hat sie ihren Film um Annas Entscheidung herum inszeniert und dabei auf die Dogma-üblichen Reißschwenks verzichtet. Sie deuteten einmal an, dass man sich über die Brüchigkeit seines Glaubens durchaus im Klaren war. Nun scheint er ganz verloren, existiert nur noch als hilfloses Trotzdem im Stillstand. PHILIPP BÜHLER