Der tausendjährige Witz

Der Film „Der Untergang“ hat Deutschland wieder mit einer medialen Hitleritis infiziert. Privat dürfen wir uns dabei heimlich langweilen, öffentlich gilt immer noch: Spaß beiseite, der Führer kommt!

VON ARNO FRANK

„Nicht der Zorn, das Lachen tötet“ Friedrich Nietzsche

Titten, Titten und wieder Titten auf dem Titel. Als Konzession an Menschen mit Titten gibt’s hin und wieder eine athletische Männerbrust. Erotik ist deutschen Magazinen von Geo über Stern bis zur Bunten seit Jahren ein bewährtes Mittel zur Steigerung der Auflage. Nur der Spiegel spielt da nicht mit, spielt ein eigenes Spiel und setzt auf ein anderes Pferd. Das ist zwar seit dem 30. April 1945 tot, zieht aber auch nach fast 50 Jahren zuverlässig Auflagen und Quoten aus dem Keller: Adolf Hitler.

Kürzlich war es wieder so weit. Der Dämon! In Farbe! Gestochen scharf! Dabei war der Schauspieler Bruno Ganz als Hitler auf dem Spiegel-Titel zum Kinofilm „Der Untergang“ nur die Vorhut einer neuen medialen Hitleritis. Wie eine Grippewelle rollt sie durchs Land, begleitet vom Schnupfen reflexhafter Mahnungen und Warnungen auf allen Kanälen. Es ist nicht auszuhalten. Oder doch?

Im Feuilleton der Süddeutschen rät ein nachdenklicher Gustav Seibt, wie wir uns gegen die persönliche Auseinandersetzung mit Hitler „wappnen“ können – mit aufklärendem Durchdringen des Phänomens, mit Thomas Mann, Elias Canetti, Joachim Fest oder Sebastian Haffner. Norbert Korzdörfer, unter dem schicken Pseudonym „Blieswood“ bei der Bild-Zeitung für die „In und Out“-Listen zuständig, ist ganz besoffen vom gravitätischen Grusel des Films und schwärmt von der Authentizität: „Wir hören Originalzitate, Worte, die wirklich gesprochen wurden (90 % authentisch).“ Zwar vermisst der Genießer „die Monstrosität“, erklärt Hitler aber dennoch für en vogue: „Deutschland kann und muss diesen Film aushalten.“ Oder, wie es Produzent Bernd Eichinger ausdrückt: „Die Zuschauer sollten nicht unbedingt bedrückt sein, aber nachdenklich.“

Klar ist also, was „Deutschland“ nach Meinung der professionellen Betroffenheitsverwalter „kann“, „muss“ und „sollte“, nämlich mal wieder betroffen oder nachdenklich dreinschauen, je nach Gemüt und individuellem Schnittmuster des Büßergewandes. Privat dürfen wir uns sogar heimlich langweilen oder klammheimlich am Entsetzen laben. Öffentlich halten wir uns tunlichst an die ernsten Regeln, mit denen eine im Kern nicht zu bewältigende Vergangenheit bewältigt werden will. So weit, so gut. Was aber können, müssen und sollen wir unter gar keinen Umständen?

Die Antwort auf diese wesentlich interessantere Frage weiß Blieswoods Kollegin Christiane Hoffmann. Sie ist bei der Bild-Zeitung unter dem Titel „Ich weiß es!“ für Promi-Klatsch zuständig. Bei der Premiere hat sie im sozial kontrollierten Kino genau aufgepasst und kolportiert, dass „nur viermal“ während des Films gelacht worden sei, und das auch nur „verhalten“. Danke, Frau Hoffmann!

In Ernst Lubitschs Film „To Be Or Not To Be“ von 1942 plant eine polnische Schauspielgruppe ein Stück namens „Gestapo“, das sich über Hitlers Schergen lustig macht. Der Theaterdirektor ist sauer, weil der Hitler-Darsteller nicht authentisch ist, gar nicht wie der „Fjuhrer“ aussieht – sondern nur wie ein Mann mit einem kleinen Schnauzbart. Der Schauspieler antwortet: „Aber auch Hitler ist bloß ein Mann mit einem kleinen Schnauz.“ Und Charles Chaplin ging mit seinem „Großen Diktator“ von 1940 sogar so weit, aus der dem bedrohlich schäumenden Gebaren des Führers komische Funken zu schlagen. Das war’s auch schon mit dem unterhaltungsindustriellen Gelächter über eine beispiellose Barbarei. In Deutschland verbietet die Demut vor den Opfern automatisch jeden Witz über die Täter. Leider!

Der Witz leitet sich etymologisch vom altdeutschen „wizzi“ ab und bedeutet „wissen“, „verstehen“. Das Lachen ist laut dem französischen Philosophen Henri Bergson eine soziale Geste zur Korrektur einer Unvollkommenheit und würde „seinen Zweck verfehlen, wenn es von Sympathie und Güte gekennzeichnet wäre“. Und wahrnehmungstheoretisch betrachtet, ist die Pointe eine unerwartete Wendung der Geschichte, die den weiteren Fortgang der seriösen Informationsverarbeitung in einen Reflex auflöst: in Lachen.

Joachim Fest schreibt in „Der Untergang“, dass das Ende Hitlers und des Dritten Reiches für viele Deutsche tatsächlich eine „unerwartete Wendung“ war; dass dahinter das blanke Nichts stand; dass sich die Deutschen plötzlich ihrer individuellen Unvollkommenheit bewusst wurden, mehr noch, dass sie die kollektive Verkommenheit ihrer politischen Führer erkannten.

Ein lächerlicher Spieler konnte die Welt in den Abgrund reißen? Das ist ein Witz, so monströs wie die Vorstellung eines Tausendjährigen Reiches selbst. So aberwitzig, dass er uns den Atem verschlägt, den wir fürs Lachen brauchen. Aber es bleibt die Pointe, auch wenn eine düstere Messe wie „Der Untergang“ sie absichtlich vermasselt. Das ist dumm. Immanuel Kant sah in der Dummheit zunächst einen „Mangel an Urteilskraft“ und beschrieb sie als Gebrechen, dem „gar nicht abzuhelfen“ sei. In seinen Schriften zur Anthropologie korrigierte er sich später. Und definierte die Dummheit als „Mangel an Urteilskraft ohne Witz“.

Dass eine kollektive Erheiterung eine Gesellschaft erhellen kann, zeigt die spanische Komödie „Buen Viaje, Excelencia“ (2003), die den greisenhaften Diktator Franco als lebenden Kadaver vorführt – und mit ihm eine Gesellschaft, die sich mit dieser faschistischen Witzfigur arrangiert hat.

Es wird Zeit, dass der deutsche Witz endlich erzählt wird – wenn auch nicht unbedingt von Bully Herbig.