„Ich werde Bush nicht mehr wählen“

Bau auf, bau auf, Staatengemeinschaft, bau auf: Francis Fukuyama, Vordenker der US-Konservativen, über das Ende der Geschichte, den 11. September und sein Zerwürfnis mit seinen neokonservativen Gesinnungsfreunden. Schwache Staaten sind für den Politikwissenschaftler das große Problem der Zeit

INTERVIEW ROBERT MISIK

taz: Herr Fukuyama, 1989 verkündeten Sie in einem großen Essay das „Ende der Geschichte“ und wurden damit schlagartig weltberühmt. Seither werden Sie praktisch identifiziert mit dieser Idee. Ist das eigentlich mehr ein Vorteil oder mehr ein Nachteil?

Francis Fukuyama: Naja, es hat ein paar negative Konsequenzen, unter anderem, dass ich immer wieder danach gefragt werde …

so wie jetzt, beispielsweise …

… andererseits, wäre ich damit nicht berühmt geworden, würde nicht so wahrgenommen, worüber ich mir sonst so Gedanken mache.

Sie wurden seinerzeit nicht nur kritisiert, sondern auch mit Spott überzogen: Sie verkünden das Ende der Geschichte, und was folgt – historische Ereignisse!

Ich habe längst aufgegeben, darauf zu hoffen, dass diese Kritiker meine These wirklich ernsthaft diskutieren. Was ich nicht verstehe, ist, dass es nicht wenige ehemalige Marxisten waren, die mich so demonstrativ nicht verstehen wollten. Die hätten sich doch noch daran erinnern sollen, dass sie der Idee anhingen, die Geschichte habe ein Ziel, es gäbe einen Fortschritt zu immer vollkommeneren Gesellschaftsformationen. Was ich gesagt habe, ist, dass die Evolution menschlicher Gesellschaften ihr Ziel erreicht hat: die liberale westliche Demokratie. Mit dem Untergang des Kommunismus ist die marktwirtschaftliche, pluralistische Demokratie zum konkurrenzlosen Modell für die Welt geworden. Große Ideenkonflikte gibt es nicht mehr. Ich meine, dass meine These noch immer stimmt.

Die Geschichte ist zu Ende, doch es gibt große Ereignisse, historische Ereignisse. Wie passt das zusammen? Was ist mit dem 11. September?

Natürlich war der 11. September ein historischer Einschnitt. Aber meine These, dass der Modernisierungsprozess überall in der liberalen Demokratie mündet, wird davon nicht berührt.

Stellt der Islamismus nicht eine neue große Idee dar, die mit der liberalen Demokratie in Konflikt steht?

Der Islamismus ist eine antiwestliche Doktrin. Er stellt eine direkte Attacke auf die Prinzipien der liberalen, westlichen Demokratie dar. Aber der Islamismus hat nicht viel Anziehungskraft auf Leute, die nicht schon Muslime sind. Und selbst unter den Muslimen hängt nur eine kleine Minderheit dieser Doktrin an. Die meisten Muslime würden gerne in einer modernen, westlichen Gesellschaft leben.

1989 feierten Sie den Sieg des Kapitalismus, von Privatisierung und Marktwirtschaft. In Ihrem neuen Buch, „Staaten bauen“, betonen Sie die Bedeutung funktionierender, starker staatlicher Institutionen. Ziemlich erstaunlich für einen Reagan-Konservativen wie Sie.

Man hat mich immer falsch eingeschätzt. Ich war nie ein Reagan-Mann in dem Sinn, dass ich der Meinung gewesen wäre, weniger Regierung sei immer gut. Und ganz gewiss hat sich in den vergangenen Jahren gezeigt, dass schwache Staaten das eigentliche große Problem unserer Zeit sind.

Sie sind eine der schillernsten Figuren der amerikanischen Neokonservativen. Jetzt haben Sie sich mit Ihren Gesinnungsgenossen angelegt und in einem Essay den Irakkrieg kritisiert, die Illusionen und Fehler der Bush-Regierung. Die Europäer hätten mit ihrer skeptischen Haltung so ziemlich in jeder Hinsicht Recht gehabt, schreiben Sie. Das werden Ihre Freunde nicht gerne hören.

Wissen Sie, die Neokonservativen stehen für ein paar Dinge: dass die Demokratie ein universales Modell ist, dass wir unsere Außenpolitik an Werten orientieren müssen und die amerikanische Macht in diesem Sinn einsetzen sollen. Daraus folgt aber doch keineswegs, dass wir in den Irak haben einmarschieren müssen. Europäer und Amerikaner zeichnen zunehmend Karikaturen von der jeweils anderen Seite. Es gibt in Europa einen ziemlich geistlosen Antiamerikanismus, aber gleichzeitig verzerren viele meiner neokonservativen Freunde die Einwände und Bedenken der Europäer. Ich habe ein paar Dinge in Erinnerung rufen wollen: etwa, dass es wichtig ist, Verbündete zu haben. Ich habe nie verstanden, warum sich die Bush-Regierung richtiggehend bemüht hat, alte Freunde gegen sich aufzubringen.

Nach dem 11. September hatten die USA die Unterstützung der Welt und die Bush-Regierung ist im Vorfeld des Afghanistankrieges auch mit viel Bedacht vorgegangen. Warum hat sie eigentlich dieses Kapital so leichtfertig zerstört?

Bush dachte wirklich, dass die Gefahr groß ist, dass Saddam Hussein Massenvernichtungswaffen an Terroristen weitergibt. Andere in der Regierung haben einfach ziemlich zynisch die gute Möglichkeit nicht auslassen wollen, die Amerikaner in einen Krieg gegen den Irak zu führen. Und sie haben sich einfach nicht gedacht, dass Europa und auch andere Teile der Welt so aufgebracht reagieren würden. Schließlich haben sie wohl erhofft, dass die Kritiker schon verstummen würden, wenn der Regimewechsel im Irak zu einem Erfolg würde. Wären dann auch noch Massenvernichtungswaffen gefunden worden, würde die Invasion heute sicher legitim erscheinen. Sie haben sich einfach grandios verrechnet. Es ist fast absurd: Sie haben den Irak zu einem Hafen für Terroristen gemacht. Sie haben mit dieser Anti-Terror-Strategie die Terrorgefahr nur größer gemacht.

Ein haarsträubendes Pokerspiel?

Ja und nein. Es gab auch in den vergangenen Jahrzehnten eine Tradition amerikanischen Unilateralismus. Vergessen wir nicht, wie oft die USA auch in der Ära des Kalten Krieges vorangestürmt sind, die Europäer ein bisschen gedrängt, ein bisschen erpresst haben und durch den Erfolg ihrer Politik erst später die öffentliche Meinung in Europa auf ihre Seite brachten. Leute wie Verteidigungsminister Donald Rumsfeld sind einfach sicher, dass die Europäer unfähig sind, Problemen und Gefahren zu begegnen, und dass man sich von ihnen am Handeln nicht hindern lassen darf. Aber noch einmal: Ich halte das für grundfalsch. Indem die Regierung aufgehört hat, anderen Meinungen überhaupt nur Gehör zu schenken, hat sie Amerika großen Schaden zugefügt.

Würde sich das nicht mit einem demokratischen Präsidenten schnell ändern?

Der stilistische Aspekt würde sich ändern. Die raubeinige Art, mit der Bush sich Freunde entfremdete, würde John Kerry etwa sicher nicht an den Tag legen. Aber es ist auch ein bisschen naiv zu glauben, dass mit einem demokratischen Präsidenten in Washington all die grundlegenden Spannungen schon beigelegt wären. Die Amerikaner und die Europäer denken einfach unterschiedlich über Fragen wie den Einsatz militärischer Gewalt, über die Legitimität internationaler Institutionen.

Inwiefern?

Amerikaner sehen Demokratie als einzige Quelle der Legitimität. Deswegen schätzen sie die Vereinten Nationen auch nicht so wie die Europäer. Sie sehen nicht ein, welche Legitimität eine Institution haben soll, in der Libyen der Menschenrechtskommission vorsitzen kann. Die Europäer wiederum haben die Erfahrung gemacht, dass nationale Souveränität ihren Kontinent in ziemliche Probleme gebracht hat, und schätzen daher internationale Institutionen besonders hoch. Daraus ergeben sich immer wieder Reibereien.

Eine persönliche Frage: Haben Sie Bush vor vier Jahren gewählt?

Ja.

Und werden Sie ihn wieder wählen?

Nein, ich werde ihn nicht mehr wählen.

Also stimmen Sie für Kerry?

Auch das fällt mir schwer. Er ist einfach so ein schwacher Typ, so ein unentschiedener Opportunist. Jetzt ist er plötzlich dafür, innerhalb von vier Jahren aus dem Irak abzuziehen. Aber jeder weiß, dass er damit kommt, weil es in den Umfragen schlecht für ihn aussieht. Sie sehen also: Es ist wirklich schwer, zwischen Bush und Kerry zu wählen.