Ein Zeichen erfreulichen Eigensinns

Untergegangen in der Rechtschreibdebatte: Was wird aus dem Binnen-I?

Kalte KriegerInnen klang gut, AsylantInnen hingegen nicht. Die Opfer von Tschernobyl brauchten auch kein Binnen-I. In der feministischen Debatte über Mittäterinnen machte es keinen Sinn. Die Duden-RedakteurInnen mochten das Majuskel-I nicht. Das hat 1986 aber noch niemanden interessiert, weil eine Rechtschreibreform nicht in Sicht und die vorstöße für eine radikale kleinschreibung, deren erfolg dann auch das binnen-i verhindert hätten, längst vergessen waren.

Das Binnen-I wurde auch damals, als die taz-Redaktion noch Gelder für Waffen für El Salvador sammelte, nicht durch basisdemokratischen Kollektiv-Entscheid beschlossen. Es war auch kein Bestandteil strategischer Pläne, wie sie die noch machtlose Chefredaktion (die noch nicht einmal so heißen durfte) in Kreuzberger Kneipen konzipierte. Die Einführung des von der Schweizer WOZ importierten Binnen-I war Ergebnis einer informellen Kooperation vor allem der Nachrichten-Redaktion mit den Zeitungs-Setzern. Und sie war, wie sich das für ein selbst verwaltetes Alternativprojekt gehört, auch in den eigenen Reihen höchst umstritten.

Einige Kollegen nutzten die Unverbindlichkeit des internen Rechtschreibreformprojekts als Chance, die allgemein gültigen Sprachkonventionen lieber nicht frontal zu attackieren. Ihr Binnen-i blieb klein. Das große Binnen-I, eine Art frühes Gendermainstreaming-Projekt, war also nicht nur politisch, sondern auch ästhetisch und demokratiepraktisch zumindest in Deutschland ein typisches Projekt der 1980er-Jahre: Weil der Geschlechterkampf schon etwas in die Jahre gekommen war und leicht ermattet geführt wurde, sollte wenigstens die Sprache als Trutzburg für Hinweise auf eine bessere Welt dienen. Die taz, sonst oft genug Trendsetter, schaffte es mit diesem Projekt aber nicht, den Mainstream umzuleiten.

Im Ergebnis ist das wohl zu begrüßen. Denn so überzeugend das große Binnen-I vielfach ist – es verführt, wie viele einfache Lösungen, auch zu Gedankenlosigkeit und stumpfer Routine. Nicht allzu lange Zeit nach meinem Abschied von der taz – ich engagierte mich gerade für das Projekt, auch in Konkret mithilfe des großen Binnen-I der Geschlechterdiskriminierung in der Sprache Einhalt zu gebieten – setzte ein Text über den „Widerstand von JüdInnen gegen die deutsche Besatzung“, der die Redaktion erreichte, diesen Bemühungen ein Ende. In Konkret wurde die Karriere des großen Binnen-I durch einen kollektiven Beschluss von Herausgeber und angestellten Redakteuren des Herausgebers beendet, bevor sie begonnen hatte.

In der weniger an Formalien interessierten taz verschwand das Binnen-I dagegen im Lauf der Zeit ohne weitere Erklärungen fast wie von selbst. Dafür – das hat Ute Scheub, die ebenfalls taz-Redakteurin war, herausgefunden – hat das Binnen-I heute nicht nur weiterhin auf Schweizer Zeitungsseiten seinen Platz. Selbst manche deutsche Behörden und ihre MitarbeiterInnen räumen dem großen Binnen-I noch immer einen festen Platz in ihren Texten ein.

Ob das nun für oder gegen das Binnen-I oder für oder gegen die Behörden spricht, möchte ich hier, wie die JuristInnen schreiben, dahingestellt sein lassen. Auch heute lese ich jedenfalls lieber einen Text, in dem ein etwas unflexibles, nicht so elegantes Binnen-I plötzlich wie ein Riff herausragt, als eine Abhandlung, deren Autor beim Schreiben nicht einmal aufgefallen sein wird, dass sich in seiner Welt wie selbstverständlich nur Lehrer, Jäger, Professoren, Ärzte, Politiker und Chefredakteure tummeln.

Doch auch für Schreibende, die dem Binnen-I nichts abgewinnen können, gibt es Möglichkeiten, geschlechtsneutral zu schreiben – indem sie aus Studenten Studierende und aus Lehrern Lehrkräfte machen oder nach einem modifizierten Zufallsprinzip weibliche und männliche Formen mischen. Und wenn sich dann trotz allem noch das eine oder andere großes Binnen-I darunter mischt, sollte das in einer Zeit allgemeiner Emanzipation vom Duden, in der alle ihre eigenen Schreibweisen und -formen kreieren, als Zeichen erfreulichen Eigensinns verstanden werden. OLIVER TOLMEIN

Oliver Tolmein war von 1986 bis 1989 taz-Redakteur