Die Trauben tiefer hängen

Mit der „Syro-aramäischen Lesart des Korans“ löste der Sprachwissenschaftler Christoph Luxenberg eine heftige Debatte aus. Ein Sammelband fasst nun den „Streit um den Koran“ zusammen

VON EDITH KRESTA

„Die entscheidende Frage ist doch: Warum beschäftigen sich so viele Leute mit dem Islam? Warum beschäftigen sie sich nicht mit der Armut und dem Elend in diesen Ländern?“ Christoph Burgmer wehrt sich vehement gegen den verengten Blick auf die islamischen Länder. Dass diese sich in erster Linie über den Islam definieren sollen, hält er „schlicht und ergreifend für eine ideologische Vorstellung“.

Trotzdem hat der Islamwissenschaftler eine Sammlung von Texten und Interviews herausgebracht, die sich ausgerechnet mit einer Textkritik des Korans beschäftigen. Den Anstoß gab eine Studie des Sprachwissenschaftlers Christoph Luxenberg, der mit seiner „syro-aramäischen Lesart des Korans“ die Zunft der Islamwissenschaftler nicht nur anregte, sondern auch erregte: Manche warfen dem Autor Populismus oder gar „Islamfeindlichkeit“ vor. Sein Versuch einer Übersetzung des Korans mit Hilfe der aramäischen Sprache, die heute kaum mehr gesprochen wird, aber zu Zeiten des Propheten in der Umgebung von Mekka und Medina die Verkehrssprache war, wurde ein wissenschaftlicher Bestseller. Nach dem 11. September erfuhr das Buch größte Aufmerksamkeit, dekonstruierte es doch mit den Methoden der Philologie auch Vorstellungen vom islamischen Paradies, auf die sich manche Selbstmordattentäter berufen: Nicht Jungfrauen, sondern weiße Trauben warteten auf die Märtyrer im Paradies, lautete eine der Pointen der Luxenberg’schen „Lesart des Korans“.

Für Laien war die Arbeit des Sprachwissenschaftlers allerdings nur schwer zu lesen. Das Buch „Streit um den Koran. Die Luxenberg-Debatte“ will die Hintergründe der Debatte nun einer breiteren Leserschaft zugänglich machen. In dem Sammelband wird nicht nur die Methode Luxenbergs erklärt, sondern auch darauf eingegangen, welche Relevanz eine Neuinterpretation des Korans für die islamische Welt heute hat. Denn in vielen islamischen Ländern wird die Religion noch immer zur ideologischen Rechtfertigung, als Mittel zum Machterhalt oder als Argument gegen Modernisierungen herangezogen. Den Koran einer historischen Kritik zu unterziehen, bedeutet, jenen Islamisten die Grundlage zu entziehen, die im Koran eine Mao-Bibel für alle Lebenslagen sehen wollen.

Diverse Beiträge des Buchs beleuchten die zarten Versuche einer kritischen Koran-Exegese. Solche Versuche werden nicht nur von westlichen Islamwissenschaftlern und Arabisten unternommen, sondern auch von kritischen Wissenschaftlern aus der islamischen Welt wie Nasr Hamid Abu Zaid. Der Ägypter, einer der bedeutendsten islamischen Philosophen der Gegenwart, fordert dazu auf, den Islam neu zu denken, indem er den Koran nicht als Text, sondern als Diskurs betrachtet. In ihrer Vielstimmigkeit aber offenbare die Diskursstruktur des Korans ihre Entstehung aus dem Gespräch mit den Gläubigen, so Zaid. Er geht davon aus, dass der Koran das Ergebnis eines dialogischen Prozesses aus Diskussionen, Hinzufügungen und Streichungen ist, und wehrt sich damit gegen fundamentalistische Auslegungen des Korans. In seiner Heimat hat ihn das in Gefahr gebracht: Seiner provokanten Thesen wegen wurde der Ägypter 1995 von einem ägyptischen Richter von seiner Frau zwangsweise geschieden, er lebt heute mit seiner Frau in Holland.

Ebenfalls in Europa zu Hause ist Soheib Bensheik, der Großmufti von Marseille und einer der streitbarsten Rechtsgelehrten des Islams. In einem Interview im Buch plädiert er für einen offenen, französischen Islam. Sein Anliegen: vor allem junge Muslime „gegen radikale islamistische Interpretationen immun machen“. Da der Koran nicht nur religiös erbauliche Passagen, sondern auch politisch brisante Formulierungen enthält, zum Beispiel über die Juden, könne er auch dazu herangezogen werden, Kritik an Israel oder dem Westen religiös zu untermauern. Umso wichtiger ist es, den Koran in historischem Licht zu betrachten und damit seine Aussagekraft für die Probleme der Gegenwart zu relativieren.

Mit seiner syro-aramäischen Lesart des Korans hat der Wissenschaftler Luxenberg genau dies gemacht: Er hat versucht, den Koran aus den Sprachen seiner Zeit, aus den historischen Gegebenheiten heraus zu verstehen. Und er zeigt dabei auf, wie eng islamische und christliche Legenden beieinander liegen. Damit weist er auch auf die christlichen Anteile bei der Entstehung des Islams hin.

Christoph Burgmer: „Streit um den Koran. Die Luxenberg-Debatte. Standpunkte und Hintergründe“. Hans Schiler Verlag, Berlin 2004, 16 Euro