Das graue Füchslein

Trotz Bedenken erteilten die Experten auf dem 45. Deutschen Historikertag dem Film „Der Untergang“ ihre Absolution

Eigentlich wollten die Historiker „Das schlaue Füchslein“ sehen. In der harmlosen Oper des Tschechen Leoš Janáček, die man zu Weihnachten gern den Kindern zeigt, sollten sich die Besucher des 45. Deutschen Historikertags von den anstrengenden Vorträgen erholen.

Doch die Kieler Oper wurde mit den Proben nicht rechtzeitig fertig, und so mussten sich die versammelten Geschichtsforscher auch des Abends noch mit ihrem ureigenen Metier befassen. Zwei Tage vor dem offiziellen Kinostart bekamen sie im größten Kino der Stadt den „Untergang“ zu sehen, dessen Hauptfigur den gleichen Namen trägt wie die heimliche Hauptfigur der deutschen Historiografie in den letzten sechs Jahrzehnten: Adolf Hitler.

Während aber die versammelten Professoren von ihren Büchern über den deutschen Sonderweg oder die Dynamik nationalsozialistischer Herrschaft im Schnitt ein paar tausend Exemplare verkaufen, spekuliert der Film auf ein Millionenpublikum. Und während sich die Historiker schon über ein paar tausend Euro an Forschungsmitteln freuen, operierte Produzent Bernd Eichinger mit dem höchsten Filmbudget seit „Das Boot“.

Zumindest in einem Punkt waren sich die Zeithistoriker, die im Anschluss über das Monumentalwerk diskutierten, schnell einig. „Ein Film dieses Aufwands ist ein geschichtspolitisches Ereignis“, stellte der Kölner NS-Experte Jost Dülffer fest. Nicht ohne leicht zerknirscht hinzuzufügen: „In einer freien Gesellschaft darf Herr Eichinger selbstverständlich Geschichtspolitik machen.“

Schon beim Titel – „Der Untergang“ – setzte Dülffers Kritik freilich ein. Hatten wir nicht vor kurzem noch debattiert, ob wir die fraglichen Tage im Mai 1945 lieber „Die Befreiung“ nennen sollten? Dülffer stellte den Film in den Kontext der jüngsten Debatten um Deutsche als Opfer von Vertreibung oder Bombenkrieg. Der Film präsentiere nun plötzlich eine Fülle solcher Opfer, im Bunker wie auch draußen im umkämpften Berlin. Bis auf Hitler selbst und seinen Propagandaminister Joseph Goebbels fielen am Ende alle vom Glauben ab und bekämen so „etwas Sympathisches“. Immerhin räumte Dülffer ein, der Film sei ohne Fehler „im engeren Sinne“.

Kein Wunder: Schließlich ließen sich Produzent Eichinger und Regisseur Oliver Hirschbiegel vom Münchener Zeithistoriker Christian Hartmann beraten. Hartmann lobte denn auch, das Filmteam habe ihn „sehr ernst genommen“, und ein paar Mal sei es ihm sogar gelungen, „die Produktion anzuhalten“.

Bei dem, was man als Fehler im weiteren Sinne bezeichnen könnte, zeigten sich die Filmemacher indes beratungsresistent. Schließlich lebt ihr Spielfilm vom Kontrast aus Gut und Böse, und bei seriöser wissenschaftlicher Betrachtung wäre von den angeblich Guten wenig übrig geblieben.

Der 76-jährige Hermann Graml, Doyen der deutschen Zeitgeschichtsforschung, mochte sein Lob dadurch nicht trüben lassen. „Ich fand den Film ganz hervorragend“, stellte er rundheraus fest, „er lässt die Vergangenheit geradezu quälend wieder lebendig werden.“ Eine breite Mehrheit des Fachpublikums freilich schien eher erleichtert zu sein, dass sich der Film um Volkspädagogik bemüht, wo die Historiker schon ein Heldenepos befürchtet hatten. „Der Film will politisch korrekt sein“, sagte der Kieler Medienwissenschaftler Jan-Oliver Decker. Gerade deshalb aber erfahre man über Hitler „in keinster Weise“ etwas Neues. So gesehen, hätten die Gelehrten genauso gut ins „Schlaue Füchslein“ gehen können. RALPH BOLLMANN