Der glücklichglückliche Freundfreund

Macaulay Culkin war der Kinderstar des Mainstream-Kinos. Culkin war „Kevin, allein zu Haus“. Mit „Saved“ ist er jetzt nach zehn Jahren wieder im deutschen Kino zu sehen: lässig, böse, kettenrauchend, aber mit demselben Lachen. Eine Annäherung an den Seelenfreund aus Kindertagen

VON HENNING KOBER

Es ist das Bild eines kleinen Prinzen. Blonde Strähnen fallen an die schmalen Augenbrauen. Ein Freudenschrei streckt Augen und Mund weit. Der hübsche Schelm heißt Macaulay Culkin. Das ist die eine Geschichte. In der anderen, die zuerst erzählt werden muss, trägt der Junge auf dem Bild den Namen Kevin McAllister.

Kevin ist der achtjährige Junge, der damals, Anfang der Neunziger, vielen jungen Augen ein guter Freund wird. Denn was ihm passiert, kennen die, die ihm dabei zusehen, leider gut: Eltern und ältere Geschwister, die Sätze sagen, die dich wie ein Messer ins Herz treffen, dass dein Atem schleudert und du mit taumeligen Füßen in die Einsamkeit deines Zimmers stolperst. Dein Globus zeigt seine böse Seite. Das ist noch neu und du reagierst instinktiv und einzig richtig. „Ich – will – euch – nie – wieder – sehen!“, schreit Kevin. Und plötzlich ist da eine gute Fee, erhört den kleinen Prinzen, und weg ist die Familie. Ohne Kevin auf dem Weg zum Weihnachtsflug nach Paris. Wer weiß noch, ob man sich das wirklich so gewünscht hätte, damals, 1990, als Achtjähriger. Nach einer Schauersekunde aber hätte vieles sehr viel Spaß gemacht: der Rutsch durch die Kurven des Treppengeländers, der Rückstoß des Luftgewehrs und vielleicht auch die Bunny-Bilder in Bruders Playboy. Kevin McAllister war der Seelenfreund, der sich in der Nachbarschaft nicht finden ließ.

Macaulay Culkin hat wahnsinnig lange Wimpern. Seine Hände fliegen, zünden eine neue Marlboro light an. Er trägt ein Strokes-T-Shirt. Wir treffen uns während der Berlinale im letzten Jahr, und jetzt ist das Gespräch bei Kevin gelandet, bei diesem Kevin-Bild, das da im Kopf geblieben ist. „Es ist sehr, sehr lange her, dass ich mir das angesehen habe.“ Tief verschwindet der Zigarettenfilter zwischen seinen Lippen. Auf dem angespannten Unterarm treten die Venen hervor. Es schmerzt noch immer. Das Bild erzählt jetzt seine zweite Geschichte, und die handelt vom kleinen Prinzen, dessen Lachen verkauft wurde, der mit fünf für Gillette wirbt und, als er sieben ist, weint. Da dreht er gerade mit Burt Lancaster eine Szene für „Rocket Gibraltar“. Sein erster Kinofilm, dem in nur sechs Jahren vierzehn weitere folgen. Sie machen ihn zum bekanntesten Kind der Welt und zu einem der vermögendsten. Vor allem aber zu einem der traurigsten. „Zum Schluss waren die Tage nur noch eine endlose Abfolge des Gleichen. Morgens in der Limo zum Dreh, Make-up, Sätze aufsagen, abends neuen Text lernen“, so Culkin.

1994 tut er etwas sehr Mutiges für einen Vierzehnjährigen, um den eine bizarre Industrie aus Bettwäsche, Stoffpuppen und Computerspielen gebaut wurde: Er zieht die Handbremse. Culkin spielt in keinem Film mehr, verbietet seinem Vater, der ihn als Kind geschlagen hat und ehrgeizig seine Karriere vorantrieb, gerichtlich den Kontakt. „Von ihm habe ich gelernt, wie ich meine Frau und meine Kinder bestimmt nicht behandeln möchte“, sagt er.

Ein Prinz auf Plateauschuhen

„Richie Rich“ heißt sein letzter Film. Darin spielt er einen superreichen Jungen, der Claudia Schiffer rumkommandiert, fremde Kinder in seinen eigenen McDonald’s einlädt und sie mit einer Achterbahn, die durch das Kinderzimmer fährt, beeindrucken will. Ein sehr einsamer, trauriger Charakter. Vor und hinter der Kamera. Um das Bild vom kleinen Schelm zu retten, mussten alle erwachsenen Schauspieler mindestens 1,80 Meter groß sein. Es wird sein letzter Auftritt als Kevin. „Lass uns bitte nicht über diesen schrecklichen Streifen reden“, sagt er. Er zündet sich eine neue Zigarette an. Der Mann raucht Kette.

Auch in „Saved“, dem neuen Macaulay-Culkin-Film, der diese Woche im deutschen Kino angelaufen ist – der erste nach über zehn Jahren. Produziert von Michael Stipe, persifliert Regisseur Brian Dannelly den für europäische Augen schwer begreifbaren Wahnsinn einer christlichen Highschool, an der All American Girls ihre Tage damit zubringen, schwulen Freunden und schwangeren Freundinnen den Satan auszutreiben. Macaulay spielt den im Rollstuhl sitzenden Bruder der Oberheiligen. Sehr lässig radiert er am Steuer eines Mustangs eine dicke Spur auf den Asphalt. Eine irritierend interessante Rolle für einen jungen Mann, der aussieht wie ein etwas größer gewordener Kinderfreund. Was ist nur mit Macaulay Culkin passiert?

Während der Berlinale 2003: Es ist Nacht. In der Stadt toben die Premieren- Partys neuer Filme. Die meisten Gesichter feiern irgendwo „Good bye, Lenin!“, Klaus Wowereit lässt sich mit Nicolas Cage fotografieren. Am fröhlichsten ist es aber im Riverside-Club in der Friedrichstraße auf der „Party Monster“-Feier. Irgendwann mitten in der Nacht zerspringt auf der völlig überfüllten Toilette ein Spiegel. Eine große Person, gekleidet als Krankenschwestern-Drag, hat ihn effektvoll auf den Boden geschmettert. Tausend und eine Scherbe. Alle strahlen.

In der Mitte leuchtet ein junger Mann, der sein Lachen zurückerobert hat. Sein Name ist Macaulay Culkin, ein junger, äußerst talentierter Schauspieler. In seinem Comeback-Film „Party Monster“, der in Deutschland (wie viele gute Filme) keinen Verleih findet, spielt er Michael Alig, eine Legende der New Yorker Nacht und Ikone der Clubkids. Es ist sein erster Film, bei dem er zuvor das Drehbuch las. Die Rolle dürfte ihm also etwas bedeutet haben. Der Kinderstar des Mainstream wandelt sich zum hoffnungsvollen Stern des Avantgarde-Kinos. Ein Bild vom Set zeigt: Auf riesigen Plateauschuhen steht ein kleiner Prinz. Am Körper nur eine tiefsitzende weiße Unterhose und ein zerfetztes Shirt. In der einen Hand ein Cocktail, in der anderen die Crackpfeife. Breites Grinsen im Gesicht.

Culkin spielt Alig als klassischen Außenseiter. Aufgewachsen in einer kleinen Stadt im mittleren Westen, seiner verdrehten Wahrnehmung wegen unverstanden, zieht er mit Anfang 20 nach New York. Erfindet sich selbst als Veranstalter der Disco 2000 und wird bald als Andy Warhols Nachfolger gefeiert. Ein Superfreak. „Diese unglaubliche Kraft, mit der Alig seine eigene bunte Welt erschaffen hat, ist faszinierend“, erklärt Culkin: „ ‚Ich bin ein Stern in dieser traurigen Welt‘ zu sagen und es zu sein, weil du dran glaubst …“

Nach seinem Abschied vom Kinderstar-Geschäft lernte Macaulay Culkin etwas ihm bis dahin Unbekanntes kennen: Freiheit. Er färbt sich die Haare bunt und hat wochenlang grellen Spaß an einem antiken Gehstock aus Ebenholz mit Silberknauf, gekauft mit seiner ersten Kreditkarte. Bald versucht er zum ersten Mal so etwas wie Gewöhnlichkeit in sein Leben zu pflanzen, er besucht eine normale Schule. Doch das geht nicht lange gut. Sein Gesicht ist zu berühmt. Das verkaufte Lachen ist ein Fluch. Überall wird er erkannt, fotografiert, beobachtet. Wie soll er auch funktionieren, der Wechsel auf die Spur des Normalen? Sein bester Freund ist Michael Jackson, ein Mann mit ähnlich verdrehter Kindheit. Culkin ist Patenonkel von Jacksons Kindern Prince Michael und Paris. „Michael ist nach wie vor ein Kind. Ich bin es auch. Es scheint, als würden wir beide immer acht Jahre alt bleiben, weil wir nie acht sein konnten, als wir es wirklich waren“, erklärt er sich das.

Lust an der eigenen Spucke

Eines Tages ruft CNN bei seinem Anwalt an: Ob es stimme, dass Macaulay den Drogentod gewählt hat? „Alles Quatsch, ich war nie selbstzerstörerisch“, sagt er. Ein, zwei Joints raucht er gern. Die meiste Zeit sitze Macaulay in seinem Apartment im New Yorker Greenwich Village und schaue fern. Er hat alle Folgen der „Simpsons“ gesehen, sein Lieblingsfilm ist „Frühstück bei Tiffany“. „Ich saß rum und überlegte, was ich mit dem Rest meines Lebens anfangen möchte.“ Geld spielt dabei keine Rolle. An seinem 18. Geburtstag kann er über ein Vermögen von 17 Millionen Dollar verfügen. Im gleichen Jahr heiratet er die Schauspielerin Rachel Miner. Sie sind inzwischen wieder geschieden.

Ein Fehler? „Oh nein“, seine Stimme kratzt empört, „das war eine große Liebe, ich habe so viel über mich gelernt.“ Es ist ihm wichtig zu bekräftigen, dass er „nichts, aber auch gar nichts“ in seinem Leben bereut. „Wäre alles nicht so passiert, ich wäre heute nicht der, der ich bin.“ Glücklich sei er – oder „glücklichglücklich“. Culkin sagt die Worte zur Bekräftigung gern doppelt.

Nächstes Frühjahr erscheint sein erster Buch. „Junior“ heißt es und ist ein zum Teil autobiografischer Roman. Wertvollster Trumpf seiner guten Laune aber ist die wiedergewonnene Freude an seinem größten Talent, der Schauspielerei. Der Sicherheit, mit der er inzwischen seine Rollen wählt. Richtige Freunde haben ihm dabei geholfen. Harmony Korine, einer der intelligentesten Filmemacher Amerikas, veröffentlichte ein Fanbuch („The Bad Son“). Es ist Macaulays dunkler Wesensseite gewidmet, die freudig mit der dunklen Kraft seiner Seele spielt. In einem Video der New Yorker Band Sonic Youth kreist er minutenlang seine Zunge zwischen den wie aufgestochen glänzenden roten Lippen hin und her. Auf einer Terry-Richardson-Fotoserie dokumentiert er seine Lust an der eigenen Spucke.

„Die dunklen Seiten interessieren mich“, sagt er. Ich frage ihn: „Böses zu tun ist wie Fliegen, die totale Freiheit?“ (Das ist ein Macaulay-Culkin-Zitat aus dem besten seiner frühen Filme, „Das zweite Gesicht“, in dem er einen Kinderpsychopathen spielt). Macaulay Culkin lacht und kontert ironisch. Erzählt von der Freude, die er empfindet, wenn er mit seinem Onkel auf der Jagd in North Dakota ein Gewehr abfeuert. „Waffen abzufeuern erregt mich. Da hast du deine Überschrift!“ Er lacht dieses typische Macaulay-Culkin-Lachen. Die schräg nach oben geschraubten Oktaven füllen einen Raum.