Anmerkungen über das Herumhitlern

Naturalismus für Doofe: In und mit Bruno Ganz entdecken die Deutschen „den Menschen Adolf Hitler“

Mit Hitler, so viel ist klar, lässt sich in Deutschland jede Menge Geld verdienen

Rational ist das nicht zu begreifen. Alles, was man über Adolf Hitler wissen muss, hat Sebastian Haffner in seinen „Anmerkungen über Hitler“ geschrieben. Das kluge, klare Buch ist gut und verständlich geschrieben, es ist lieferbar, es ist schmal genug, um niemanden abzuschrecken – jeder Deutsche könnte es gelesen haben, und gut wäre es mit dem Thema.

Stattdessen wird herumgehitlert, dass es kracht. Großes, dunkles Geraune erhebt sich, „Das Böse“ wird beschworen und, weil die Deutschen sich damit besonders gern aufpumpen, „Das Dämonische“. Es ist alles Tüneff, aber der Tüneff hat Konjunktur. Mit dem von Bernd Eichinger produzierten Film „Der Untergang“ erreicht die Hitlerverehrung der Deutschen einen neuen Höchststand.

Eichingers Hauptdarsteller Bruno Ganz hitlert nach Kräften mit. Ganz, der als Schauspieler einen kompletten Schlafsaal ersetzen kann, stellt im Interview mit der Weltwoche (37/04) unter Beweis, dass Schauspieler besser nur Texte sprächen, die andere, Kundigere ihnen vorher schrieben. Sobald sie anfangen, ihren eigenen Text zu sprechen, wird es fürchterlich. „Hitler“, sagt Bruno Ganz, „war ja keine brutal-dümmliche SS-Charge, sondern ein Mann, der eine ganze Welt umgekrempelt hat. Und das sind schon mal mächtige Daten für ein interessantes Leben.“ „Interessantes Leben“ ist schön gesagt und liegt ganz auf der Linie, die Spiegel, Bild, ZDF und der Historikerdarsteller Guido Knopp seit Jahren vorgeben und durchsetzen: Den Weltumkrempler Hitler interessant finden und, mit leichtem Schaudern selbstverständlich, für ihn schwärmen. „Die Bücher von Albert Speer, sehr interessant!“, quakelt Ganz, der auf dem Ticket des innerlichkeitstrunkenen Schwerblütigkeitsschauspielers da angekommen ist, wo Deutschland am tiefsten ist: beim Führer, bei „dem Menschen Adolf Hitler“, den die Deutschen nun ganz dringend entdecken wollen, weil sie, wie zu behaupten sie nicht müde werden, das ja nicht durften, schluchzbuhu.

Dabei hilft ihnen Bruno Ganz, brav leckt er seine Deutschen: „Ich bin sehr früh nach Deutschland gekommen. Ich liebe dieses Land und habe sehr viel mit ihm zu tun.“ Was dieses Bekenntnis in einem Interview zu seiner Rolle als Hitler zu suchen hat, muss Bruno Ganz ganz allein wissen. Sein künstlerisches Credo ist intelligenzfeindlich; Ganz propagiert einen mutterbodenblöden Naturalismus: „Für mich war von Anfang an klar: Es geht nur ohne Parodie und ohne jede Ironie.“ Schauspielern Dummheit und Eitelkeit zu attestieren, ist müßig – es sind die Bedingungen ihres Gewerbes. Bruno Ganz aber setzt auch hier neue Maßstäbe. „Ich musste mich ja gleichzeitig auch um seine Parkinsonkrankheit kümmern, das Zittern seiner linken Hand, die er immer hinter dem Rücken versteckte. Das alles zusammen hinzukriegen, war handwerklich anspruchsvoll.“ Dann ist ja alles in Butter.

Mit Hitler, so viel ist klar, lässt sich in Deutschland jede Menge Wirbel verursachen und jede Menge Geld verdienen. Wenn es nur das wäre, was die Deutschen so an Hitler fasziniert, es wäre schon unangenehm genug, aber relativ harmlos. Hitler ist den Landsleuten aber mehr als ein Aufmerksamkeitsgarant und eine Gelddruckmaschine – hier geht es ans Eingemachte, an das, was die Deutschen so gern ihre Identität nennen. Ob sie ihn nun verehren oder verabscheuen, Hitler ist ihnen heilig. „Keine Witze über Hitler!“, verfügte Joachim C. Fest, als der Zeichner Achim Greser ihn fragte, ob Hitler nicht auch eine witztaugliche Figur sei. Nein, Witze über ihren Führer mögen die Deutschen nicht – sie nehmen Hitler so todernst, wie er sich selber nahm.

Achim Greser hat in seinem Buch „Der Führer privat“ unter anderem einen betrunkenen Hitler am Kneipentresen gezeichnet, der dem Wirt die Ohren volljammert: „Heil Hitler, Heil Hitler, Sie machen sich überhaupt keine Vorstellung, wie mich das manchmal ankotzt, dieses ewige Heil Hitler.“ Das war ein Schritt in die richtige Richtung – nicht Hitler verharmlosend, wie die Fraktion der bräsigen Mahnerundwarner argwöhnte, sondern Hitler seiner eigenen Lächerlichkeit preisgebend. Womit dann auch die Abermillionen von Deutschen erledigt sind, die sich einem aufgeblasenen, pathetischen Brülleimer zu Füßen legten beziehungsweise das noch heute tun.

Haffners „Anmerkungen über Hitler“ wollen die Deutschen nicht lesen, über Gresers Hitlerwitze wollen sie nicht lachen, die fantastische Anti-Nazi-Filmkomödie „Sein oder Nichtsein“ von Ernst Lubitsch ignorieren sie seit 60 Jahren – vielleicht hülfe es, wenn sie einmal einen ganzen Tag lang „Hitler!“ riefen, immerzu „Hiitlò! Hiitlò! Hiitlò!“, bis ihnen das dumme Wort zu den Ohren herauskäme? Solange die Deutschen kein von klarem Verstand geprägtes Verhältnis zu Hitler, zu ihrer Geschichte und zu sich selbst entwickeln, sondern bei jeder sich ihnen bietenden Gelegenheit das Hierumhitlern anfangen, das Sichwälzen in Faszination und Dämonie, bleibt es dabei: Lieber Gustav Gans als Bruno Ganz, lieber Entenhausen als Deutschland. WIGLAF DROSTE