Als die Körper pinseln lernten

Blau, blau, blau sind alle meine Bilder: Yves Klein, dem Vorreiter von Body-Art und Aktionskunst, widmet die Frankfurter Schirn Kunsthalle eine Retrospektive. Eine Schau, die nach dem roten Faden in der „blauen Revolution“ sucht und den Künstler als großen Experimentator entdeckt

VON HORTENSE PISANO

Die Anweisungen gibt nach wie vor der Maler: Das Modell fixiert einen Punkt außerhalb des Filmbildes. Ihr Blick gilt Yves Klein. Der Zuschauer beobachtet gleichfalls, wie die junge Frau ihren Körper erst rhythmisch mit Farbe einschmiert, dann lasziv über eine Papierrolle robbt. „Heartbeat of France“ nannte Klein seinen 1961 gedrehten Film über die Entstehung einer „Anthropometrie“. Der Schwarzweißfilm entbehrt des für Klein so synonym gewordenen blauen Farbeffekts. Umso mehr sticht das Spiel zwischen provokant zur Schau gestellter Nacktheit und theatraler Zeremonie ins Auge. Auch der zweite Film hat diesen feierlichen Grundton: Drei Modelle streichen mit einem Schwamm Farbe auf die Haut, hinterlassen ihre Körperabdrucke auf Papierrollen an Wand und Boden. Diesmal ist das Publikum live dabei. Streicher spielen Kleins „Symphonie monotone“. Der Künstler selbst dirigiert im smarten Smoking das Gesamtkunstwerk aus Musik, Malerei und Performance. Kleins Filmwerk wie auch die „Anthropometrie“-Vorführung von 1960 waren beides Aufsehen erregende Spektakel.

Ausschnitte der Filmperformances zeigt die Frankfurter Schirn im Rahmen ihrer jetzt eröffneten Yves-Klein-Retrospektive. Es ist die erste umfassende Werkschau nach Köln vor zehn Jahren. Zwei Jahre Vorbereitungszeit hat die mit 100 Arbeiten großteils aus privaten Sammlungen und internationalen Museen bestückte Ausstellung benötigt. Ein nach Schirn-Chef Max Hollein „ehrgeiziges Projekt“, das Unterstützung bei Peugeot, BASF und, das sollte bei dem medienwirksamen Akteur Klein niemand wundern, bei Vogue Anklang fand. In sieben Räumen stellt die streng chronologisch aufgebaute Ausstellung das Oeuvre des bereits mit 34 Jahren beim Filmfestival in Cannes verstorbenen Malers vor.

Kleins Filme, projiziert im Schirn-Foyer, verweisen gleich eingangs auf ein Grundproblem: Wie lässt sich das Werk eines Künstlers ausstellen, dessen Leben wie eine analoge Inszenierung seiner Arbeiten wirkt? Ein exzentrischer Selbstdarsteller, der sich „Yves le Monochrome“ taufte. Statt gestalterisch einzugreifen, experimentierte er in sieben Jahren mit immer neuen Materialien – ließ weibliche Modelle als „lebende Pinsel“ agieren oder setzte die Leinwand Feuer und Regen aus. Das Resultat eines der „Regenbilder“ von 1961 hängt nun in der Schirn. Nach Kleins Beschreibung hat er das Bild auf das Dach seines Autos gespannt und ist derart bepackt durch den Regen gefahren. Ein genialer Schwindel? Die Leinwand scheint dafür viel zu gleichmäßig mit blauen Tupfen gesprenkelt. Alles ein Spiel mit der Erwartung des Betrachters, wie Kleins Ausstellung „Le Vide“ (1958), zu der 3.000 Gäste in die Pariser Galerie Iris Clert kamen, wo sie unter Aufsicht zweier Wachen 10 Minuten lang im leeren weißen Raum meditierten?

Anders als bei der einzigen zu Kleins Lebzeiten stattgefundenen Museumsschau 1961 im Haus Lange, Krefeld erwartet die Schirn-Besucher keine klaustrophobisch „weiße Zelle“. Die Aktion „Le Vide“ streift die Ausstellung lediglich in Form von Originalaufnahmen. Als „Seiltänzer zwischen Genie und Scharlatan“ habe Klein, so Hollein, die Kunstwelt in seinen Bann gezogen. Es wäre falsch, das Werk nur mir Ironie zu betrachten. Und die Kuratoren Ingrid Pfeiffer und Olivier Berggruen betonen, dass der Judoka und Autodidakt Klein die Monochrome mit dem Wissen um die klassische Moderne produziert habe.

In der Tat wirken die Farbtafeln von Rosé bis Grün, die in mehreren Formaten die Wände des ersten Raumes überziehen, wie eine Hommage an Mondrians „Boogy-Woogy“. Das parallel ausgestellte Buchprojekt, das Vorstudien des1955 entstandenen Erstlingswerkes zeigt, ist aber der einzige in die Schau integrierte konzeptuelle Quellenfund. Es folgen sieben I.K.B.s – jene intensiven Ultramarine-Farbbilder, deren Pigmentierung sich Klein patentieren ließ. Wie der nächste Raum der „Anthropometrien“ verdeutlicht, bricht Klein aus der Abstraktion der Blauen Bilder bald schon aus. Faszinierend sind die Körperabdrucke heute dann, wenn sie Bewegung und ihre schnelle Umsetzung transportieren. Lebensgroße Figuren, deren Umriss Klein durch gesprühte Farbe betonte etwa bei „Vampire“ (1961), rangieren nahe am Kitsch. Einen ähnlichen fotorealistischen Effekt hatte Robert Rauschenberg übrigens schon 1949/50 mit blauen Körperabdrucken erzielt.

Anbindungen an parallele Entwicklungen in der amerikanischen Malerei legt die Präsentation im letzten Raum der großformatigen Monochrome nahe: Die fünf blauen Farbtafeln im strahlend weißen Cube der Schirn sind ein „erhabenes“ Erlebnis, das an Barnett Newman erinnert. Doch mit Newman hat Kleins Malerei ebenso wenig gemeinsam wie mit der nachrückenden Minimal Art. Auf Kleins mystische Suche nach dem Sichtbaren im Unsichtbaren antwortet Judd: „Kunst ist, was man sieht.“ Klein bleibt auch in der Schirn eine singuläre Erscheinung. Damit liefert die Retrospektive keine überraschend neuen Erkenntnisse. Die hochkarätige Werkauswahl lässt Klein vielmehr als experimentellen Akteur entdecken. Als wichtigen Vorreiter der Body-Art, der an der Schnittstelle zwischen Abstraktion und Figuration arbeitete und wie auf seinem legendären Foto dafür den „Sprung in die Leere“ wagte.

Schirn, Frankfurt a. M., bis 9. Januar