Verführt sie doch!

Ob in Sachsen, Brandenburg oder sonst wo: Neonazis sind Überzeugungstäter – Schmuddelkinder der Nation. Ihren Erfolg verhindert nur, wer ihren Anhängern das zivile Leben schmackhaft macht

VON JAN FEDDERSEN

Als die amerikanischen und britischen Besatzer nach der Kapitulation Nazideutschlands sich anschauten, mit welchen Menschen sie es zu tun haben, formulierte ein Beobachter folgende Alternative: Man kann sie alle erschießen – oder gewinnen. Es muss ein frustrierender Sieg gewesen sein, denn die Deutschen, so war fühlbar, nahmen alles in allem Hitler und den Seinen lediglich übel, dass er sie in eine Niederlage geführt hat. Ein verpestetes Land, wie auch Peter Weiss in seiner „Ästhetik des Widerstands“ beschrieb: In dessen dritten Teil wird ja geschildert, wie einsam es Lotte Bischoff ging, die, ausgerüstet mit kommunistischem Auftrag, aus Stockholm heimlich als Kurierin nach Hamburg reiste, um dem antinazistischen Widerstand zu helfen. Allein: Verzweifelnderweise gab es keinen.

Schließlich entschied man sich doch, wie man heute weiß erfolgreich, nicht für die Exekution, sondern für die therapeutische Form der Umerziehung: durch den „zwanglosen Zwang zum besseren Leben“ – woraus das erwuchs, wofür als Chiffre das Wort Wirtschaftswunder steht. Abschied vom Pathos – und Hinwendung zum Profanen, kein Hass auf die Verhältnisse, dafür Möglichkeiten des demokratischen Ausprobierens, Erfahrungen zu sammeln in nichtsoldatischen Lebensformen. Verführung zum zivilen Leben statt Befehl: Das war das Rezept gegen völkische Besessenheit, nicht in der DDR, wenigstens aber im Westen und Westberlin.

Das Rezept ist immer noch gültig, nichts an seinen Zutaten hat an Geschmack eingebüßt, und es sollte gerade in jenen Gebieten beherzigt werden, in denen, wie die Landtagswahlen in Sachsen und Brandenburg belegten, völkische Parteien tüchtigen Zuspruch erhielten. Beispielsweise in den angebräunten Kreisen südlich von Dresden, der Sächsischen Schweiz. Man könnte sich von dieser landschaftlich durchaus reizvollen Gegend fernhalten, von ihrem Besuch abraten und überhaupt finden, dass es sich nicht lohnt, sich mit ihr zu beschäftigen. Die Menschen dort, so denken viele in Unkenntnis der wahren Verhältnisse, pflegen eine Mundart, die das Sächsische an obskurer Originallautverdrehung noch übertrifft; man tischt dort ausgesprochen gern Speisen auf, deren Soßen von Mehl verpampt wurden. Der Umgangston ist von irritierender Nervosität, ja Schärfe; man bellt eher als dass man plaudert – ob auf Marktplätzen oder in Eckkneipen.

Sympathiefischer rechtsradikaler Art tummeln sich in diesen Milieus bekennenden Verlierertums, welches mit (meist männlich geäußertem) Größenwahn alliiert ist. Man sieht es an ihren Funktionären, mit denen sich etwa Holger Apfel von der sächsischen NPD umgibt: nicht einmal mehr dicklich, sondern fett und finster. Sie sind nicht zu verführen, sie wissen, was sie tun – sie müssen isoliert werden. Polizeilich, per Haftbefehl, per Ächtung: wenn sie denn geltende Gesetze verletzen.

Aber die anderen sind es, jene, die ihre Wut auf die Verhältnisse in jenen feisten Gestalten aufgehoben fühlen. Überzeugungsarbeit mit Jobs, beispielsweise und grundsätzlich. Aber auch, indem man sie lifestyletechnisch nicht in Ruhe lässt. Und die Sächsische Schweiz nicht mehr den Dumpfbacken überlässt. Sondern dort Wochenendhäuschen kauft und ein bisschen heimatlich wird – auf dass dort eine Art Toskanafraktion ansässig werden kann. Den Rechten ihre gefühlte Lebensstilhoheit streitig machen.

Mehr noch: Events veranstaltet. Ohne pädagogisch inspirierte Zeigefingerhaftigkeit. Einfach nur hinfahren. Und vielleicht selbst Restaurants eröffnen – und zeigen, dass man mit besserer Kost Geld verdienen kann. Eine Art Kolonisierung durch die beste westliche Lebensart, die es gibt. Als Alternative zur Gemütlichkeit der völkischen Sorte – und als praktische Solidarität mit allen, die dort leben und ihre Heimat nicht den Neonazis überlassen wollen. Mit Ingredienzen, um es zu wiederholen, wie sie auch in Berlin oder überhaupt in der Bundesrepublik Appetit anregten. Döner, Falafel, Gulasch an Zitronengras, Schnitzel, das nicht Mägen verfugt, sondern Lust auf mehr macht.

Diese Landstriche müssen nicht, um ein beliebtes Wort der Rechtsradikalen in ihren Phantasien gegen Linke zu nehmen, mal ordentlich „durchgekärchert“ – sie müssen erobert werden. Von Menschen, die sich nicht einschüchtern lassen vom bräunlichen Mob, sondern eine stille, unbewusste Mission in sich tragen: das Zusammenleben zivilisierter zu machen. Kein Hass mehr, weniger Bitterkeit. Multikulti ist einfach unterhaltsamer – es dumpft weniger.