„Das Vorhaben hat etwas Absurdes“

Der Historiker Harald Welzer meint, anders als viele deutsche Familien könne Flick die Schuld des Großvaters nicht verdrängen. Sein Versuch, der dunklen Seite ein hellere hinzuzufügen, sei aber zum Scheitern verurteilt

taz: Herr Welzer, Flick möchte „der dunklen Seite“ der Familiengeschichte „eine hellere hinzufügen“. Gibt es dieses Bedürfnis auch in anderen deutschen Familien?

Harald Welzer: Nein, das ist schon etwas Besonderes. In vielen deutschen Familien gibt es kein Bedürfnis nach einer hellen Seite der Familiengeschichte, weil die dunkle Seite gar nicht gesehen wird. In den Familien herrscht heute meist das Bild vor: Opa war immer schon Anti-Nazi und hat sich bemüht, Verfolgten zu helfen oder sonst wie gute Dinge zu tun.

Bei Flick gab es auch jahrzehntelange Versuche zu sagen: Der Alte Flick sei gar kein Nazi gewesen. Er habe mitmachen müssen. Zwangsarbeiter seien ihm aufgedrängt worden.

Im Falle Flick ist die Verstrickung heute unabweisbar: Die gewöhnliche Konstruktion – mein Opa war herzensgut und hat mit den Nazis nichts zu tun gehabt – greift hier deshalb nicht. Das hat anscheinend die Idee hervorgebracht, der dunklen Seite eine lichte hinzuzufügen, wie Flick dies formuliert.

Kann das gelingen?

Das Vorhaben hat etwas Absurdes. Was soll denn als Gesamtbild am Ende herauskommen? Die Möglichkeit, eine lichte Seite zu schaffen, basiert darauf, dass die dunkle Seite stattgefunden hat. Weil Flicks Vermögen auch aus der Ausbeutung von Zwangsarbeitern stammt.

Welche Strategien haben andere Enkel und Erben von Größen des Dritten Reiches entwickelt, um sich mit ihren Vorfahren auseinander zu setzen?

Es gibt die vollkommene Ablehnung, wie wir es im Fall von Niklas Frank, des Sohnes von Hitlers Generalgouverneur in Polen, haben. Es gibt auch eine komische, theologisch verbrämte Versöhnung, wie das bei Martin Bormann, dem gleichnamigen Sohn des Mitarbeiters Hitlers, der Fall ist. All diese Personen sind in einer Zwickmühle: Sie müssen ein angemessenes Verhältnis zu den Personen aufbauen, die sie fast zwangsläufig lieben, und die gleichzeitig Verbrechen begangen haben. Das ist nicht einfach.

Wie tun dies die Flicks?

Unterschiedlich. Friedrich Christian Flicks Schwester Dagmar Ottmann geht offensiv damit um und stellt sich der Familiengeschichte. Sie macht sich zur Fürsprecherin einer aufgeklärten, adäquaten Umgangsweise mit der Vergangenheit. Das ist nun mit dem Ausstellungsprojekt ihres Bruders kollidiert. Allerdings würde ich sagen, dass der auch Unvernünftigeres hätte tun können, als Kunst zu kaufen.

Friedrich Christian Flicks Sammlung ist eine private, aber sie wird in einem staatlichen Museum gezeigt. Zur Eröffnung spricht der Bundeskanzler. Gewinnt die Angelegenheit damit nicht eine andere Dimension?

Das Interesse des Staates gilt vor allem der Sammlung, also wird das Ganze mit den üblichen kulturpolitischen Weihen versehen.

Passt dieser Auftritt zur rot-grünen Geschichtspolitik?

Ich glaube schon. Die rot-grüne Geschichtspolitik ist eine relativ unbesorgte. Im vergangenen Jahr hat der Kanzler den 8. Mai ausgerechnet mit Martin Walser begangen. Angelegenheiten wie die Flick-Collection werden in der Bundesrepublik rituell behandelt: Erst gibt es Diskussionen, dann Studien, vielleicht einen Hinweis im Katalog. Dann ist der politischen Korrektheit genüge getan und man hat all die schönen Kunstwerke.

Befürworter der Flick-Collection argumentieren, die Familiengeschichte sei besonders nur in der Dimension. Im Kern jedoch sei die Geschichte der Flicks nicht verschieden von der Geschichte der Müllers und Schulzes, weil eben auch die kleinen Leute verstrickt waren.

Sicher. Es gibt den berühmten Satz des Holocaustforschers Raul Hilberg: „In Deutschland ist der Holocaust eine Familiengeschichte.“ Betrachtet man die Beteiligung der Volksgenossen am Projekt des Dritten Reiches inklusive der Vernichtung der Juden, muss man sagen: In diesem Land gibt es kaum eine Familie, die nicht in irgendeiner Weise in den Holocaust verstrickt ist.

INTERVIEW: ROBIN ALEXANDER