Spiritueller Berg, D.C.

Washington hat einen neues Schmuckstück: das National Museum of the American Indian. Das Gebäude ist erfrischend schockierend, der Inhalt vermittelt, dass es wieder cool ist, Indianer zu sein

VON MICHAEL STRECK

Wer als aufmerksamer Besucher durch die USA reist, stellt fest, dass die wunderbaren Museen des Landes vor allem die Geschichte und Kultur der Einwanderer thematisieren. Auch den eingeschleppten Sklaven und der daraus entstandenen afroamerikanischen Kultur wurden Denkmäler gesetzt. Nur diejenigen, die bereits hier lebten, als europäische Entdecker das Neuland betraten, gingen leer aus – abgesehen von Folkloreshows für Touristen. Dieser Zustand historischer Ignoranz wurde gestern zumindest offiziell beendet.

In Washington öffnete das National Museum of the American Indian seine Tore für die Besucher. Das erste Indianermuseum der USA dokumentiert Kultur, Religion und Geschichte der Ureinwohner Amerikas von Feuerland bis Alaska. Wenn es die Absicht der Bauherren war, das jahrzehntelange Schweigen durch einen architektonischen Paukenschlag zu beenden, ist es ihnen gelungen.

Zwischen dem Sitz des Parlaments im Kapitol und den neoklassizistischen Gebäuden auf der Museumsmeile ragt plötzlich ein riesiger Fels hervor. Die geschwungene und gefurchte Fassade aus hellbraunem Kalkstein erinnert an einen massiven, durch Wind und Wasser erodierten Gesteinsblock in der Wüste Arizonas. Architekt Douglas Cardinal, ein Indianer aus Kanada, nennt den Bau einen „spirituellen Berg“. Um ihn herum fließt ein künstlicher Fluss. Er bildet die Barriere zu einer nachgebildeten Landschaft der Hauptstadtregion, wie sie zur Zeit der ersten Besiedlung im 17. Jahrhundert ausgesehen haben muss – eine Mischung aus Sumpf und Wald. Die Kritiker sind begeistert. Der Bau sei „erfrischend schockierend“, schreibt die Washington Post.

Innen werden Vergangenheit und Gegenwart verknüpft. Masken, Boote und traditionelle Werkzeuge finden sich neben Motorschlitten und moderner Iglu-Ausstattung. „Wir wollen zeigen, dass Indianer weiter zur zeitgenössischen Kultur Amerikas beitragen“, sagt Direktor Richard West, ein Historiker vom Volk der Cheyenne. So ist das gesamte Projekt keine anthropologische Wahrnehmung von außen durch den „weißen Mann“, sondern eine Selbstreflexion der Ureinwohner. In jahrelangen Konsultationen wurden verschiedenste Stämme in alle Aspekte der Gestaltung einbezogen.

Werden also die blutige Ausrottung, Landraub, Vertragsbrüche durch US-Regierungen, die Plünderung von Ressourcen und jahrzehntelange Politik zur Zerstörung indianischer Kultur weitgehend ausgeblendet, geschah dies auf eigenen Wunsch. Aktuelle Konflikte wie Umweltzerstörung, der Streit um Kasinos und Nutzungsrechte von Rohstoffen, wie zum Beispiel Erdöl und Holz, werden jedoch thematisiert.

Die Eröffnung nahmen Presse und Stammesvertreter in den vergangenen Tagen zum Anlass, die Lebenswirklichkeit der Ureinwohner ins Bewusstsein der Bevölkerung zu rufen. Auch die Amerikaner wissen wenig über die 562 von der Regierung anerkannten Indianervölker in ihrem Land, die vor allem im Südwesten sesshaft sind. Stereotype über Spiel- und Trunksucht beherrschen die Wahrnehmung. Ihr Schattendasein wird überdies mit mangelndem Integrationswillen begründet.

Die Indianer in den USA bilden nach wie vor eine gesellschaftliche Randgruppe. Ihre Lebenserwartung ist geringer. Überdurchschnittlich viele sterben an Krankheiten wie Tuberkulose und Diabetes. Die Reservate, oft unfruchtbare Halbwüsten, zählen immer noch zu den ärmsten Regionen des Landes.

Dennoch hat sich die Situation für viele Stämme in den vergangenen Jahren spürbar verbessert. 1975 erlaubte die US-Regierung eine weitgehende Selbstverwaltung der Reservate. Indianer eröffnen seither munter Kasinos, die mittlerweile jährlich 14 Milliarden Dollar Umsatz erwirtschaften. Zudem locken sie Firmen mit niedrigen Umsatzsteuern. Tausende Jobs wurden so für Indianer geschaffen. Die Gewinne fließen oft in soziale Projekte und die Infrastruktur. „Wir erleben zwar keinen universellen Aufschwung in den Indianer-Territorien, aber in manchen gibt es Veränderungen, die noch vor kurzer Zeit unmöglich schienen“, sagt Joseph Kalt, Ökonom an der Harvard University. Die Erfolge seien jedoch überwiegend auf eigene Anstrengungen zurückzuführen. Indianerstämme erhielten weit weniger staatliche Hilfen für Gesundheit und Ausbildung als der Rest der Bevölkerung.

Für die Indianer ist das neue Museum Ausdruck eines gewachsenen Selbstbewusstseins. Ein anderes Indiz dafür, dass es keine Schande mehr ist, Indianer zu sein, ist die US-Statistik. Sie beruht auf Selbstdefinition. Noch vor zehn Jahren gaben nur zwei Millionen Amerikaner an, native indian zu sein. Heute sind es 4,3 Millionen. Russel Thornton von der University Los Angeles folgert daraus: „Es ist wieder cool, Indianer zu sein.“