Neu: Lehrer sollen lehren können

Kultusminister reagieren auf Kritik der OECD: Künftig müssen Lehrer „Profis des Lehrens und Lernens“ sein – und bremsen die Diskussion darüber aus

OECD: „Lehrer sollen jeden Schüler individuell unterstützen“ KMK: „Lehrer sollen Profis für das Lehren und Lernen in der Schule sein“

VON CHRISTIAN FÜLLER

Neulich vor der Kita. Treffen sich zwei Mütter, Ida H.-K. und Karin S. „Die Köpfe der Kinder sind so weit aufgefächert“, sagt Ida, Mutter zweier Grundschüler, „aber die Lehrer geben sich total motivationslos und frustriert.“ Karin S., gerade auf der Suche nach einer Schule für ihren Filius, antwortet. „Mir ist wichtig, dass die Kinder in ihren ersten Schuljahren nicht versauern. Die Lehrer ziehen aber ihren alten Stiefel durch. Sie fördern die Kinder nicht so, wie es sein müsste.“

So geht es täglich irgendwo in Deutschland. Zwei Pisa-Studien und frustrierte Erfahrungsberichte machen Eltern nervös. KitaleiterInnen berichten, dass Väter und Mütter sehr sensibel dafür geworden sind, welche Lehrer ihre Kinder übernehmen.

Die Kultusminister sind da gelassener. Gestern stellte die Präsidentin der deutschen Kultusminister Doris Ahnen (SPD) eine erneut sehr kritisch ausfallende Schulstudie vor, diesmal über den beklagenswerten Zustand des Lehrerberufs. Die Botschaften der Kultusministerin von Rheinland-Pfalz freilich lauteten: Da stehe „nicht viel Neues“ drin. Die Studie habe „sehr positive Ansätze“ aufgezeigt. Und als jemand fragte, ob sich nicht etwas tun müsse, kam Doris Ahnen zu dem Schluss: „Wir machen schon so viel, wir dürfen die Schulen nicht überfordern.“

Das ist so etwas wie das Leitmotiv der Kultusministerkonferenz: Abwarten und Tee trinken. Als die Pisa-Studie Ende 2001 deutschen Schulen Leistungsschwäche und eine ungerechte Schülerverteilung vorhielt, verabschiedeten die Kultusminister wenigstens noch sieben Handlungsfelder. Weil die folgenden Begutachtungen aber zunehmend kritisch und die Reaktionen der Öffentlichkeit immer schriller wurden, will man das Problem Schule nun nach Methode Kohl lösen: Aussitzen.

Die gestern veröffentlichte Studie untersucht die Situation der 884.000 deutschen Lehrer (2001/2002) und findet eine Reihe problematischer Fakten: Danach sind die deutschen Lehrer älter als ihre Kollegen. Etwa die Hälfte der Grund- und unteren Sekundarschullehrer sind bereits über 50, im OECD-Schnitt ist nur ein Viertel der Pädagogen in diesem Alter. Das Gehalt der Lehrer absorbiert 86 Prozent der Schulbudgets (OECD 80 Prozent). Und auf 1.000 Schüler kommen in Deutschland nur 61 Lehrpersonen (OECD 71). Ein Drittel der LehrerInnen, das ist das krasseste Datum aus der Studie, schafft ihren Beruf ohne psychologischen Beistand nicht. Der obersten Kultusministerin waren alle diese bedrückenden Faktoren nicht der Erwähnung wert. Sie sei es leid, sagte sie, „dass stets nur die kritischen Punkte aus den Studien herausgepickt werden“. Also konzentrierte sich Ahnen auf die Verbesserungsvorschläge der OECD-Gutachter – und lehnte sie ab. In der ihr eigenen Art tat sie das mit der Formel: „Da sehe ich einen Diskussionspunkt.“ Die (nicht eingeladenen) Gutachter der OECD hatten empfohlen, über den Beamtenstatus der Lehrer nachzudenken.

Die „weitgehende Arbeitsplatzsicherheit“ und die „nur begrenzten Mechanismen zur Evaluation“, heißt es in der Studie, gäben den Lehrkräften „keine Anreize, ihre Kompetenzen ständig auf den Prüfstand zu stellen und ihre Lehrpraxis zu verbessern“. In der innenpolitischen Debatte ist die Forderung nach Abschaffung des Beamtenstatus noch weitaus stärker. KMK-Chefin Ahnen dagegen bat um eine differenzierte Betrachtung des Beamtentums – da die Sicherheit des Lehrerjobs auch ein Anreiz sei, ihn zu ergreifen.

Auch die grundsätzlichste Empfehlung der OECD nahm die KMK auf eigenwillige Art auf. Die Autoren der Studie, die sich bei einer Recherchetour durch Deutschland von der mangelnden Akzeptanz der Lehrer überzeugt hatten, rieten, ein gänzlich neues Leitbild des Pädagogen zu entwerfen. Doris Ahnen reagierte darauf mit dem Leitbild der Kultusminister: „Lehrer sind Profis für das Lehren und Lernen in der Schule.“ Da das eine Banalität oder eine Selbstverständlichkeit ist, hakte eine Journalistin nach, was damit gemeint sei – und erntete vom KMK-Tisch Verständnislosigkeit und den Hinweis, sie solle die einschlägigen Dokumente nachlesen.

Sowohl die Gutachter als auch die Öffentlichkeit nehmen ein neues Berufsbild der Lehrer weitaus ernster als die Kultusminister. Wichtig sei, dass neue Lehrkräfte „jedem Schüler individuelle Unterstützung zukommen lassen und kreative Methoden nutzen, um die Schüler effektiver zu motivieren“. (OECD)

Die Autoren sehen Deutschland als bildungspolitischen Spätzünder – hoffen aber, dass die Schulreformen noch rechtzeitig kommen. Die besorgten Mütter Ida H.-K. und Karin S. wird die Kultusministerkonferenz wohl nicht mehr gewinnen. Sie haben sich entschlossen, ihr nächstes Schulkind nicht dem öffentlichen Schulsystem zu überlassen – sondern einer privaten Reformschule.