Verschobene Verantwortung

Zur Eröffnung der „Friedrich Christian Flick Collection“ in Berlin wurden der „mäzenatische Gedanke“ und die „poetische Erzählung“ beschworen

VON BRIGITTE WERNEBURG

Der Regen treibt einen allzu schnell an den paar engagierten Jugendlichen vorbei, die vor dem Museum flickkritische Postkarten und Flyer verteilen. Und danach ist nur noch eitel Glanz. Trübsal kommt nur auf im Gespräch über andere Sammler. Etwa über das Museum Brandhorst in München neben der Pinakothek der Moderne. Wie stets wird auch dieser Bau teurer als geplant, der Ausbau der Pinakothek stockt.

Doch Bernhard Schwenk, Konservator für Gegenwartskunst am Haus, sieht’s gelassen. Das Sammlerpaar versteuere sein Einkommen in Bayern, über diese Steuern, meint er, hätten sie den Museumsneubau in zehn Jahren längst bezahlt. Das nicht unbeträchtliche Stiftungsvermögen wird es zudem erlauben, Ankäufe zu tätigen, ohne jedes Mal in Geldschwierigkeiten zu kommen, Sponsoren suchen zu müssen und dergleichen Unbill mehr.

Ein Museum, das einkaufen kann, womöglich wie Flick? Ein utopischer Gedanke hier in Berlin, wo am Eröffnungsabend von offizieller Seite so viel von Verantwortung die Rede war wie in den zwei Jahren nicht, seitdem es die Debatte um die Leihgabe gibt. Verantwortung, fällt einem an diesem Abend auf, hat mit Großzügigkeit zu tun, im Denken und Handeln. Doch daran mangelt es in Berlin. Engstirnig wiederholt der Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz seine Überzeugung, es gebe von Seiten der Medien eine Verschwörung gegen die Sammlung Flick. Man ehre die Opfer eher mit einer objektiven wissenschaftlichen Aufarbeitung der Familiengeschichte Flick als mit einer Blockade der Kunst, kritisiert er im Beisein des Bundeskanzlers die Kritiker der Stiftung – allein, diese wollten die Kunst nie blockieren, sie wollten sie nur von jener Aufarbeitung begleitet sehen, die sich Klaus-Dieter Lehmann nun als Verdienst ans Revers heften möchte.

Großzügig, meint dann der Kanzler, sei es vom Sammler, die Erstausstellung dem Chefkurator des Hamburger Bahnhofs, Eugen Blume, zu überlassen. Darin zeige sich „der mäzenatische Gedanke“. Ja, wenn es nicht mehr Mäzenatentum in der ganzen Angelegenheit zu entdecken gibt! Und gleich darauf bittet Schröder Flick inständig, seine Leihgabe doch über die sieben Jahre hinaus zu verlängern, findet er dessen Verhalten doch rundweg respektabel. Flick bleibt reserviert. Sonst betont er: So wenig wie er seine „Verantwortung an die Gesellschaft delegieren kann, so wenig kann die Gesellschaft diese Verantwortung an mich delegieren.“ Was immer das nun heißen soll.

Käme er seiner Verantwortung nach, über seine Stiftung gegen Fremdenfeindlichkeit und die nun endlich erwogene kritische Familiengeschichte hinaus, fände er zu einer achtenswerten Geste gegenüber den ehemaligen Zwangsarbeitern und Zwangsarbeiterinnen und zu einem Mäzenatentum, das den Museen ihre Arbeit erleichtern statt erschweren würde, dann wäre es sehr wohl Aufgabe der Öffentlichkeit, darauf zu reagieren und diese Geste in der Geschichte der gesellschaftlichen Aufarbeitung der Vergangenheit in unserem Land zu würdigen. Diese Geschichte ist eben noch nicht abgeschlossen, und nichts steht dagegen, hier noch immer Verdienstvolles zu leisten – oder zu versagen.

Dem Interesse an der Sammlung ist der unerwünschte gesellschaftliche Streit aktuell förderlich, doch öffentliche Debatten sind in Berlin bäh-pfui, selbst wenn sie Eingang in die Kunst finden wie beim frühen Dan Graham und Gordon Matta-Clark – wo ist nur der Hans Haacke aus dieser Zeit? Doch hier schwächt Eugen Blume ab und sieht den Sammlungsparcours lieber als eine „poetische Erzählung“, angefangen beim „Schöpfungsmythos“ bis hin zur „Heimat“. Und das soll dann jährlich die erwarteten 150.000 Menschen mehr in den Hamburger Bahnhof bringen? Auch das war eine Frage, die für Trübsal sorgte.