Amuse me!

Vom Taxifahrer zum Filmemacher zum Unternehmer: Ralph Schwingel und Stefan Schubert von „Wüste-Film“ haben Fatih Akins Berlinale-Gewinner „Gegen die Wand“ produziert. Dabei standen sie mitten in den Dreharbeiten schon einmal kurz vor der Pleite

„Wir wollen möglichst wenig eingreifen und keine Mentoren sein“Ausruhen ist nicht drin: „Mit jedem Film fängst du von vorn an“

von Kathleen Fietz

Die Sonne knallt auf das Straßenpflaster im Schanzenviertel. Im ersten Stock über der Deutschen Bank im Schulterblatt sind die Markisen ausgefahren. Auf den Fenstern darunter hängen Filmposter von Gegen die Wand, dem Erfolgsfilm von Fatih Akin, der bei der diesjährigen Berlinale den Goldenen Bären gewann. Auf dem Firmenschild am Hauseingang hebt sich der Schatten eines Kameramanns dunkel von dem sandfarbenen Untergrund ab. „Wüste Filmproduktion“ steht auf dem Klingelschild.

Die Produktionsfirma hat ihr Büro im ersten Stock des Vorderhauses einer ehemaligen Pianofabrik. Direkt gegenüber der Eingangstür des großen Büros begegnen einem schon wieder die Hauptdarsteller Sibell Kekilli und Birol Ünel auf einem Filmplakat aus Frankreich, wo Gegen die Wand im Juli angelaufen ist. Auch der Rest der hellen, hohen Wände ist bestückt mit Postern: Solino, Bunte Hunde, Anam, Nor–thern Star, Schattenboxer – Filme, die Wüste-Film seit ihrer Gründung 1989 produziert hat.

„Ursprünglich haben wir als Filmemacher gearbeitet und wollten uns selbst produzieren, statt bösen Produzenten zum Opfer zu fallen“, erzählt Ralph Schwingel, der die Firma zusammen mit Stefan Schubert führt. Schwingel und Schubert, beide Jahrgang 1955, haben sich vor über 20 Jahren bei ihrem Psychologiestudium kennen gelernt. Nach mehrereen Jahren Taxifahren fingen sie an, Filme zu machen. Anfangs sollte die „Wüste“ mehr eine Werkstatt für Filmemacher werden. Im Laufe der Zeit wurden die Filmemacher immer mehr zu reinen Produzenten.

Heute besteht die Firma aus einem achtköpfigen, professionellen Team: Neben den Geschäftsführern arbeiten hier Producer, Produktionsassistentinnen, ein Rechtsanwalt und ein Auszubildender. Zwölf Spielfilme hat die „Wüste“ bisher produziert. Zwei weitere Firmen – „Wüste Film West“ in Köln und „Filmtank“ für Dokumentarfilme in Hamburg – haben die beiden mitgegründet.

Eine Palette Red Bull in der Firmenküche soll helfen, wenn die Nächte zu lang werden: Hier werden Drehbücher gelesen, Projekte ausgewählt, Filmstoffe entwickelt. Die Produzenten sind von Anfang an dabei, sie begleiten Castings und Dreharbeiten und bringen den Film schließlich in die Kinos. Bis heute werden alle eingereichten Drehbücher gelesen, aber es werde immer schwieriger, gute Filmstoffe zu finden, findet Ralph Schwingel: „Bei vielen Einreichungen bin ich schon nach ein paar Seiten genervt. Mein Motto ist: Amuse me! Ich will beim Lesen Lust auf die nächsten Seiten kriegen.“

Ein wichtiger Teil der Arbeit von „Wüste-Film“ ist die Finanzierung der Filmprojekte. Für jeden Film werden mindestens zwei Förderungen benötigt, um das Projekt zu realisieren. Kein leichtes Unterfangen, wo in Hamburg gerade die Filmförderungsmittel gekürzt werden: „Es ist eine beschissene Aussicht“, schimpft Stefan Schubert, „die Perspektiven für Filme aus Hamburg werden immer enger.“ Den Weggang von Filmemachern und Schauspielern nach Berlin bekommt auch die „Wüste“ zu spüren. Schauspieler müssen von außerhalb geholt werden, und das verschlingt viel Geld.

Von einem Spagat zwischen künstlerischen Anspruch und der Notwendigkeit, wirtschaftlich zu arbeiten, ist bei den beiden nichts zu spüren. „Da gibt es nie einen wirklichen Konflikt. Wenn wir etwas gut finden, dann machen wir‘s“, so Stefan Schubert. „Wenn wir bei Gegen die Wand pessimistisch gerechnet hätten, wäre der Film nicht entstanden. Damit hätten wir uns ziemlich verrechnet.“

Wenn die beiden entspannt in ihrem Ledersofa sitzen und erzählen, sind die Schwierigkeiten der letzten Jahre kaum vorstellbar. 1999 war die gesamte Filmcrew von Fatih Akins Film Im Juli bereits in Budapest, als sie die Nachricht von dem Erdbeben in der Türkei erreichte. So saßen sie drei Wochen in Ungarn fest, bis die Dreharbeiten in der Türkei beginnen konnten. „Neben dem finanziellen Problem war es furchtbar, eine Komödie zu drehen in einem Land, wo gerade so viele Menschen umgekommen sind“, erinnert sich Ralph Schwingel. Kurz vor Drehbeginn eines anderen Filmes stieg die Hausbank unerwartet aus der Zwischenfinanzierung aus. Zum Glück wurde kurzfristig eine neue Bank gefunden. Schubert: „Ansonsten hätten wir mit 1,5 Millionen Schulden den Löffel abgegeben.“

Gangsterkomödien, Dramen und Psychotriller von deutschen Regisseuren wie Lars Becker und Felix Randau gehören zum Repertoire der „Wüste“. „Wir wollten nie in eine Nische gesteckt werden, sondern anspruchsvoll unterhalten“, erklärt Ralph Schwingel „Ich würde auch prallen Mainstream machen, aber dafür habe ich einfach nicht den richtigen Riecher.“

Das Leben von türkischen Migranten und Einwandererkindern in Hamburg lieferte oft Stoff für die Filme der „Wüste“, so zum Beispiel Anam von Buket Alakus oder Kebab Connection von Anno Saul, eine „Culture-Clash-Komödie“, die Anfang nächsten Jahres ins Kino kommt. Dabei waren die beiden Produzenten anfangs überhaupt nicht interessiert an Filmen über Türken, bis ihnen Fatih Akin 1994 „zulief“ und seine ersten Kurzfilme entstanden. Das Interesse des deutschen Publikums an diesen Stoffen zu wecken, war nicht einfach: „Es ist eine unglaublich schwere Tür, die wir versuchten aufzuquetschen“, sagt Schwingel. „Der Erfolg von Gegen die Wand hat diese Tür einen riesigen Spalt weiter geöffnet.“ Die „Wüste“ und Fatih Akin werden jetzt getrennte Wege gehen. „Es war klar, dass unsere Zusammenarbeit begrenzt ist. Wir haben seine Biographie im Wesentlichen mit beeinflusst. Jetzt muss er sich ohne uns weiter entdecken.“

Die Stars gehen, dafür rücken immer neue Talente nach. Buket Alakus zum Beispiel. Mit Fatih Akin als Schauspieler hat sie ihren Aufnahmefilm für ihr Filmregiestudium gemacht und ist so zur „Wüste“ gekommen. Jetzt sitzt sie in den Loft-Tonstudios in Altona, wo ihr neuer Film Ofsayt geschnitten wird. Die 34-jährige türkischstämmige Regisseurin hat müde Augen: „Ich kriege von der Welt da draußen gar nichts mit, bin nur noch im Schneideraum.“

Von ihrer Müdigkeit ist nichts mehr zu spüren, als sie aufgeregt über ihren neuen Film spricht, der im nächsten Frühjahr anlaufen wird. Erzählt wird die Geschichte der 20-jährigen Halbtürkin Hayat (Karoline Herfurth), die durch eine Krebserkrankung eine Brust verliert und durch das Fußballspielen wieder ins Leben zurückfindet. Buket Alakus wird wütend, wenn sie von Schönheitsoperationen erzählt, durch die sich junge Mädchen Anerkennung und Glück versprechen: „Ich bin keine Alice Schwarzer, aber ich will zeigen, wie schwer es für junge Frauen ist, sich von den gängigen Schönheitsidealen zu lösen.“ Um einen strafversetzten Fußballtrainer (Ken Duken), eine Mädchen-Mannschaft, die anfangs mehr im Dreck des St. Pauli-Stadions landet als einen Ball ins Tor zu kriegen, und natürlich auch um die Liebe gehe es in Ofsayt, was auf Deutsch so viel wie „Abseits“ bedeutet.

Nach dem Erfolg von Anam ist es der zweite Film, den Buket Alakus in Zusammenarbeit mit „Wüste-Film“ herausbringt. Als Mentoren und Zaubermeister bezeichnet sie ihre beiden Produzenten, die das gar nicht so gerne hören. „Eigentlich wollen wir keine Mentoren sein, wir haben als Produzenten durchaus den Eigennutz im Blick. Außerdem, je weniger wir eingreifen, desto besser“, wehrt Ralph Schwingel ein wenig verlegen ab.

Noch freuen sich die beiden Produzenten am Erfolg von Fatih Akins Gegen die Wand, der in diesem Jahr den Goldenen Bären und den Deutschen Filmpreis in fünf Kategorien gewonnen hat. Ausruhen auf dem Erfolg können sie sich jedoch nicht. „Egal was du für einen Vogel abschießt, mit jedem Film fängst du von vorn an“, sagt Ralph Schwingel, „da kannst du auch 15 Goldene Bären hier stehen haben.“