Testament der Angst

Dagegen ist Hannibal Lecter ein sanftes Lamm: Die Psycho-Thriller des amerikanischen Schriftstellers Jonathan Nasaw

Sie sind Einzelgänger, sie sind intelligent, und eigentlich hätten sie das Zeug zu etwas ganz Großem. Doch in Wahrheit sind sie gesegnet mit einer kranken Fantasie, Psychopathen: Simon Childs und Casey alias Max – die beiden Ausgeburten des amerikanischen Thrillerautors Jonathan Nasaw, der offenbar bei Größen wie Stephen King oder Thomas Harris in die Schule gegangen ist und dies anspielungsreich offenbart.

Nasaw schreibt eine Prosa, die überzeugend Eric Amblers Diktum demonstriert: „Es gibt keinen Unterschied zwischen seriöser Literatur und Unterhaltungsliteratur. Es gibt nur gute und schlechte Bücher.“ Dabei versteht er es, seinen Kulturpessimimus und seine Zivilisationskritik in Rachefeldzüge scheinbar überlegener Geister gegen Repräsentanten einer korrupten, sinnentleerten Gesellschaft zu überführen, die deren Überlegenheit nicht zu würdigen versteht – und dafür büßen müssen. Dass frühkindliche Traumata die Auslöser für ihre Bluttaten sind, unterscheidet Nasaws Akteure zunächst kaum von all den anderen Bestien der zeitgenössischen Literatur. Die Art indes, wie sie ihre Angstspiele inszenieren, verbunden mit ihrer psychologischen Feinstruktur, hebt sie heraus.

Zwei Bücher gehen bislang auf das Konto des aus dem kalifornischen Nest Pacific Grove stammenden Nasaw: die Romane „Die Geduld der Spinne“ von 2003 sowie „Angstspiel“, der unlängst erschienen ist. Beide dokumentieren, dass Nasaw angezogen ist von der Vorstellung eines nach mathematischen Gesetzen ablaufenden Tötens. „Die Geduld der Spinne“ schildert einen 400-seitigen Kampf zweier intelligenter Spielernaturen und entrollt die Geschichte des Serientäters Casey, der jungen Damen mit erdbeerblondem Haar reihenweise den Garaus macht. Das FBI kann nur begrenzt gegen den windigen Schlächter ermitteln, da von Caseys mutmaßlichen Opfern nie eine Leiche aufgetaucht ist. Bis er zufällig in eine routinemäßige Verkehrskontrolle gerät, neben ihm eine junge Frau im Wagen, der die Eingeweide aus dem Schoß quellen. Umgehend schaltet Special Agent E. L. Pender, der eigentliche Held der Nasaw-Romane, eine Spezialistin für persönlichkeitsgestörte Serientäter ein: Dr. Irene Cogan, die Caseys Geistescode entschlüsseln soll. Doch bereits beim ersten Zusammentreffen der beiden so gegensätzlichen Charaktere funkt es – und die junge Wissenschaftlerin löst, ohne es zu ahnen, ihr Ticket in die Hölle. Nasaw versteht es, den Leser für die Dauer der Lektüre seiner Romane auf unsicheres Terrain zu locken – und eine Weile seiner vermeintlichen Sicherheiten zu berauben.

Eine Kunst, die er auch in „Angstspiel“ demonstriert. Wieder ist Special Agent Pender mit von der Partie: ein glatzköpfiger, schlecht gekleideter Fettsack, der längst zum alten Ermittlereisen gehört. Wieder steht ihm ein entschlossener Schlächter gegenüber: Simon Childs, ein perfider Kindskopf, der von chronischem Herzflattern gequälte Phobiker reihenweise zu Tode zu erschreckt. So fesselt er einen Vogelhasser ans Bett und lässt ihm von einer ausgehungerten Rieseneule die Augen zerfressen. Eines seiner Opfer aber kann durch Penders Intervention entkommen – und Childs muss mit einer Tasche voller Dollars, Drogen und einer Todespille fliehen. Doch Pender ahnt nicht, dass Childs bereits zum Gegenschlag ausholt.

„Wenn Sie glauben, dass Hannibal Lector ein böser Bursche ist, dann haben Sie den Killer in Nasaws Roman noch nicht kennen gelernt“, urteilte die Toronto Sun über „Angstspiel“. So atmet der Leser dieser Bücher bis zuletzt die gleiche Luft aus Traum, Entsetzen und Erkenntnis wie bei Kafka, Hawthorne oder Poe. Und mit Schrecken wird er feststellen, dass er eine Welt betritt, die immer und überall ist, wo Menschen sind. PETER HENNING

Jonathan Nasaw: „Die Geduld der Spinne“, „Das Angstspiel“, beide aus dem Amerikanischen von Sepp Leeb, beide Heyne Taschenbuch, München 2004, jeweils 12 Euro