Waldorfschulen wollen Abitur ohne Kanten

Der Verband der Waldorfschulen fordert erneut die Erlaubnis für ein eigenes Abitur. Notfalls wollen diePrivatschulen den anthroposophischen Abschluss einklagen. Eurythmie soll nicht in die Abschlussnote eingehen

FREIBURG taz ■ Die Waldorf-Schulen wollen ein eigenes Abitur vergeben. Diese Forderung propagieren sie im Rahmen einer bundesweiten Aktionswoche, die am Wochenende begann. Sind die Länder nicht zu Zugeständnissen bereit, wollen die anthroposophischen Privatschulen vor Gericht gehen.

In Deutschland gibt es 188 Waldorfschulen, mit fast 80.000 Schülern. Rund die Hälfte eines Abschlussjahrganges macht das Abitur. Nach 12 Jahren Rudolf-Steiner-Pädagogik müssen sie sich bisher noch ein Jahr auf eine externe Staatsprüfung vorbereiten. Am Ende werden in der Regel acht Fächer geprüft, vier davon schriftlich. Waldorf-Inhalte spielen dabei eine immer geringere Rolle, weil die Bundesländer zunehmend das Zentralabitur mit landesweit einheitlichen Aufgaben einführen.

Schülerleistungen aus der Waldorf-Oberstufe fließen nur in Hessen in die Abi-Note ein. Mehr als 2.000 Schüler erreichen jedes Jahr auf diesen Weg die Hochschulreife. Für den Bund der freien Waldorfschulen ist dies jedoch ein Umweg, den er gern abschaffen würde. Stattdessen wollen die Waldorfschulen künftig ein eigenes Abitur vergeben, das auf die Lehrinhalte der Steiner-Schulen abgestimmt ist.

In der Deutsch-Prüfung stünde dann Goethe im Mittelpunkt, im Geschichtsexamen würden verstärkt die Biografien großer Staatslenker abgeprüft. Musische und künstlerische Fächer wären im Waldorf-Abi Pflicht. Ein genauer Plan existiert aber noch nicht.

„Eurythmie würde jedoch sicher nicht Prüfungsfach“, sagt Waldorf-Juristin Christiane Bäuerle. Eurythmie ist eine anthroposophische Bewegungskunst, die Sprache und Musik in Körperbewegungen übersetzt. Damit ein Waldorf-Abitur an allen Unis zum Studium befähigt, müsste es – vermittelt über die Kultusministerkonferenz – von allen Bundesländern anerkannt werden. Die Chancen dafür sind aber gering. Selbst im besonders Waldorf-freundlichen Hessen heißt es: „Auch die Waldorfschulen müssen sich den staatlichen Vorgaben stellen. Alles andere wäre ungerecht.“

Das Stuttgarter Kulturministerium verweist auf den Trend zum Zentralabitur: „Da wäre es doch widersinnig, daneben noch ein Sonderabitur einzuführen.“ Walter Hiller, Geschäftsführer des Waldorf-Bundes, drohte deshalb mit dem Gang durch die gerichtlichen Instanzen – bis hin zum Europäischen Gerichtshof in Luxemburg. Er verweist darauf, dass Waldorfschulen in Schweden einen eigenen Abschluss vergeben, mit dem die Schüler in ganz Europa studieren können – auch in Deutschland. Demgegenüber seien deutsche Waldorfschüler benachteiligt.

Mit dieser Argumentation dürfte Hiller vor Gericht aber nicht weit kommen. Denn grundsätzlich lässt die Europäische Union eine „Inländerdiskriminierung“ zu. Das heißt: Für die eigenen Staatsbürger darf ein Staat strengere Regeln setzen, als für manche Ausländer gelten. Konkret heißt das: Auch wenn deutsche Behörden die liberale schwedische Waldorf-Regelung akzeptieren müssen, besteht keine Pflicht, die schwedische Regelung auch für deutsche Waldorf-Schüler zu übernehmen.

Der Waldorf-Bund beruft sich zwar auf aktuelle Urteile des EuGH und des Verwaltungsgerichts Stuttgart. Doch mit dieser Rechtsprechung könnte er allenfalls erreichen, dass deutsche Schüler mit einem schwedischen Waldorf-Abschluss in Deutschland studieren können. Die Waldorfschulen müssen deshalb wohl vor allem auf ihr Verhandlungsgeschick und ihren politischen Einfluss vertrauen.

CHRISTIAN RATH