Kater nach dem Kaufrausch

Das Kaufhaus entsprach dem Gleichheitsanspruch der Nachkriegsgesellschaft: An diesem Ort gab es für alle alles zu kaufen. Heute ist das Land so verwöhnt, dass selbst das Kaufhaus überflüssig ist

VON RALPH BOLLMANN

Kaum ein Bild zeigte den Niedergang des ganzen Landes so eindringlich wie dieses. Viele Medien, die in den vergangenen Tagen über die Krise des Karstadt-Konzerns berichteten, druckten dazu ein Foto des leer stehenden Kaufhauses in Hamburg-Altona. Ganz oben ein Parkdeck ohne Autos, darunter leere Fensterhöhlen, das Erdgeschoss nur teilweise durch einen Second-Hand-Laden belebt: So weit ist es also mit der Bundesrepublik gekommen.

Das deutsche Kaufhaus war ein Mythos. Kaum hatten die Bundesbürger nach dem Krieg den Schutt der alten Innenstädte weggeräumt, errichteten sie darauf die neuen Paläste für Hertie oder Horten, Karstadt oder Kaufhof. An die Stelle enger Gassen und kleiner Plätze trat die großzügig dimensionierte Fußgängerzone. Dieses Konzept, das neben dem Konsum keine weiteren Götter zuließ, entsprach zugleich dem Gleichheitsanspruch der deutschen Nachkriegsgesellschaft. Das Kaufhaus war der Ort, wo es alles für alle zu kaufen gab.

Diese Idee war in anderen Ländern gänzlich unbekannt. Die großen Flaggschiffe der internationalen Kaufhauswelt waren stets Orte des Luxus, nicht der Gleichmacherei – das Harrod’s in London etwa, die Galeries Lafayette in Paris oder das große Rinascente-Haus am Mailänder Dom. Wenn deutsche Urlauber dagegen in französischen oder italienischen Provinzstädten nach einem Kaufhaus suchten, wurden sie stets enttäuscht. Allenfalls nach langem Suchen fanden sie ein winziges und weitgehend menschenleeres Geschäft, wo gelangweilte Verkäufer in fahlem Neonlicht just jene Waren anboten, die mit romanischem Raffinement am allerwenigsten zu tun hatten.

Inzwischen hat die Entwicklung auch Deutschland erreicht. Alles für alle, das geht nicht mehr in einem Land, das dem Grau in Grau der Nachkriegsgesellschaft längst entwachsen ist. Die Oma vom Lande, die einen organisierten Busausflug zum Adler-„Modemarkt“ unternimmt, und der Großstädter, der lieber bei Zara shoppt – sie lassen sich nicht mehr unter einem gemeinsamen Dach zufrieden stellen. Für das Einerlei der Kaufhäuser ist Deutschland längst zu bunt geworden.

Vergebens suchen die Konzerne jetzt nach Auswegen. Die zu Recht beklagte „Trutschigkeit“ müsse verschwinden, beteuerte Karstadt-Aufsichtsrat Thomas Middelhoff gestern im Spiegel. Mag sein. Doch versuchen zumindest die großstädtischen Häuser seit Jahren, möglichst hip zu sein. Dem Trend zur Segmentierung folgend haben sie etwa die Hosenabteilung abgeschafft und durch eigene Shops für Boss oder Levi’s ersetzt.

Gerade damit haben die Kaufhäuser ihre eigene Überflüssigkeit erwiesen. Wer geht noch ins Kaufhaus, wenn er dort nichts anderes findet als direkt in einem Laden von Boss oder Levi’s? Wenn das Kaufhaus nichts anderes ist als eine abgespeckte Shoppingmall, dann hat es seine Existenzberechtigung verloren.

Nicht nur bunter ist das Land geworden, sondern auch reicher und verwöhnter. Wer eine Waschmaschine kaufen will, erwartet die Auswahl unter drei Dutzend Modellen. Wer ein Buch erstehen möchte, der geht in die Hugendubel-Filiale, die für sich genommen schon größer ist als ein kleinstädtisches Karstadt-Haus. Gewiss gibt es daneben Leute, die sich vom allzu großen Angebot bisweilen überfordert fühlen. Auch von ihnen profitiert das Kaufhaus aber nicht: Sie kaufen ihren Computer im Zweifelsfall bei Aldi.

Für viele Konsumenten ist das Kaufhaus nur noch der letzte Notnagel für alles, was es anderswo nicht gibt – weil es sich im Zweifelsfall nicht rechnet. Wer ein spezielles Ersatzteil sucht, fragt auch mal bei Karstadt an. Wer auf den letzten Drücker ein Geschenkbuch braucht, beehrt die Kaufhof-Buchabteilung. Für die Konzerne rechnet sich das freilich nicht. Da geht es ihnen ein wenig wie dem Staat. Auch er gilt vielen seiner Kunden nur noch als schnöder Lückenbüßer, weshalb Vorstandschef Gerhard Schröder jüngst die verbreitete Mitnahmementalität beklagte.

Hilflos suchen die Kaufhäuser das Mitleid des Publikums zu erregen, indem sie für den Fall ihres Ablebens die Verödung ganzer Innenstädte prophezeien. Nichts davon ist wahr. Als vor Jahren schon Hertie von Karstadt geschluckt wurde und Horten von Kaufhof, schlossen die Konzerne bereits Häuser in großer Zahl. Fachmärkte wie Zara oder H & M haben die Lücke seither mühelos geschlossen, ohne dass auf der Frankfurter Zeil oder der Stuttgarter Königstraße trostlose Leere Einzug hielt. Mit neuen Spartenläden wie etwa Karstadt Sport haben sich sogar die Konzerne selbst daran beteiligt. Sie wird es also weiter geben, auch wenn die Kaufhäuser längst ausgestorben sind.