Hehre Worte, kein Funke dahinter

Wie viel Staat darf es denn sein? Die Enquetekommission empfiehlt Kulturschutz als Staatsziel, der Kulturausschuss des Bundestages tagt über eine Quote zur deutschen Popmusik. Beide Initiativen beruhen auf einem Missverständnis

Zwei Debatten erschüttern derzeit die deutsche Kulturnation. Zum einen die vorzeitig bekannt gewordene Empfehlung der Enquetekommission, den Schutz und die Förderung der Kultur als Staatsziel im Grundgesetz zu verankern. Zum anderen die Quotendebatte um deutsche Popmusik, die es mit dem heutigen Tag immerhin zu einer Anhörung im Kulturausschuss des Bundestages bringt.

Der besondere Charme ergibt sich dabei erst aus der Kombination. Wenn Kulturschutz erst Staatsziel ist, warum dann bei einer Quote für deutsche Popmusik aufhören? Warum dann keine Quote für deutsche Literatur, für bildende Kunst aus Deutschland, für deutsches Theater, für deutsche Hitler-Filme? Und warum – erweiterter Kulturbegriff! – nicht auch eine Quote für Comics aus Deutschland, für deutsches Design, für mehr deutsche Bilder in der nächsten MoMA-Ausstellung, im Zweifel sogar für deutsche Teekultur („Trinkt mehr Ostfriesentee, Leute!“)?

Man sieht schon, worauf das hinausläuft. Wie von selbst gleitet man ins Beliebige und ins Unernste ab. Das liegt an den Vorhaben selbst. „Der Staat schützt und fördert die Kultur“ – nimmt man einen solchen oder ähnlichen Satz in das Grundgesetz auf, sagt das entweder gar nichts, oder es sagt zu viel. Als Künstler oder Kunstvermittler mag man sich irgendwie gebauchpinselt fühlen – und dagegen ist nichts zu sagen. Problematisch wird die Sache aber, sobald man sie nicht als Worthülse begreift. Denn „die Kultur“, die da geschützt werden soll, gibt es gar nicht. Und die vielen Institutionen, Künstler und Projekte, die aus dem allgemeinen Staatsziel der Kulturförderung einen individuellen Anspruch ableiten, von den Fördertöpfen bedacht zu werden, kann man schon förmlich vor seinem geistigen Auge sehen.

Wohlgemerkt: Nichts gegen die Förderung von Kultur. Aber letztendlich läuft sie immer darauf hinaus, dass einerseits eine Gemengelage aus Kunstszene, Publikum und Kritik – kurz: der Markt – aushandelt, welche Kunstwerke interessant sind und welche nicht. Und dass andererseits Jurys gebildet werden, die das Staatsgeld möglichst sorgfältig unter den Antragstellern verteilen. Das kann man aber genauso gut ohne hehre Worte im Grundgesetz haben. Und ohne die Kommissionen, mit denen die Politik die Kultur in den Griff kriegen will, tatsächlich aber nur die Bürokratie aufbläht.

Und dann gibt es noch ein wirkliches Missverständnis. Es besteht darin anzunehmen, dass die Kultur des Staates zu ihrem Schutz bedarf. Das ist nicht der Fall – anders etwa als bei der Würde des Menschen, die tatsächlich staatlicher Institutionen bedarf. Der Staat kann sich der Kultur zu Repräsentationszwecken bedienen (und tut das auch ausgiebig), und er kann Geld verteilen. Aber kein Staat der Welt kann das schützen, wessen lebendige Kultur bedarf: den Funken, der zwischen Künstler und Publikum überspringen muss. Eher im Gegenteil: Recht besehen, spricht viel für die These, dass Kultur sofort langweilig wird, sobald sie sich an staatliche Institutionen anlehnt.

Nicht vergessen sollte man außerdem, dass man die Kultur vorm Staat schützen muss. Und möglicherweise sogar vorm Kulturausschuss des Bundestages.

DIRK KNIPPHALS