Schicksal in Bruchsal

Seit 1959 sitzt Heinrich P. im Knast, länger als jeder andere Deutsche („Vor Ihnen sitzt der Teufel“, 23 Uhr, ARD)

Der vierfache Frauenmörder Heinrich P. war die erste „Bestie“ der jungen Republik. So wurde er bezeichnet, und so bezeichnete er sich auch selbst – die Presse vielleicht trotzig, vielleicht narzisstisch zitierend.

Als Heinrich P. ins Gefängnis ging, gab es noch keinen Pop, keine Computer, keine Arbeitslosigkeit. Konrad Adenauer regierte, und niemand war ein Nazi gewesen. Bis zur sozialliberalen Strafrechtsreform sollten noch zehn Jahre vergehen, und dass die Todesstrafe gleichwohl schon abgeschafft war, passte vielen der Kommentatoren nicht, als Heinrich P. 1959 gefasst wurde.

Seither sitzt er im Gefängnis, im badischen Bruchsal, und die Medien dürfen Deutschlands am längsten einsitzenden Gefangenen nicht besuchen. Wie die taz schon 1999, scheiterte nun auch der Südwestrundfunk am festen Willen der baden-württembergischen Behörden, Heinrich P. zur Unperson zu machen. Es soll einfach niemand wissen, dass Heinrich P. ein Gesicht hat. Dass er als schwer kranker 67-Jähriger niemandem mehr wehtut. Dass das Bundesverfassungsgericht schon 1995 entschied, er müsse aus der Haft – um der Menschenwürde willen.

Deshalb haben die Filmemacher Maria-Rosa Bobbi und Michael Busse ihren Dokumentarfilm um Heinrich P. kreisen lassen müssen, und deshalb läuft „Vor Ihnen sitzt der Teufel“ heute zu nachtschlafender Zeit.

Bahndämme und Autobahnbrücken im Regen, trostlose Szenen aus der Bundesverkehrsrepublik von heute sollen den Hintergrund einer Justizgeschichte bebildern. Eher hilflos bleibt zwar der Versuch, etwa mit Kamerafahrten durch Interregios die Vorstellung wachzurufen, wie P. ein Opfer damals, vor 45 Jahren, aus einem Zug gestoßen hat.

Doch das macht nichts – der Film lebt von seinen Zeugen, und deren Aussagen machen die Geschichte lebendig. Der ehemalige Gefängnisdirektor, der sagt, „Heinrich ist nicht mehr gefährlich“; der imposante ehemalige Knastpfarrer, der sagt, Heinrich betet täglich für seine Opfer: „Und wenn ich der liebe Gott wäre, würde ich diese Gebete besonders ernst nehmen.“

Die Humanisierung des Strafrechts und Strafvollzugs, die Aufklärung des Menschen über sich selbst, die in den Sechzigerjahren in Deutschland neu begann – für Heinrich P. hat all das nie stattgefunden. Ihn lässt die Landesregierung von Baden-Württembergs im Mittelalter schmoren. ULRIKE WINKELMANN