Lenin an der Brenz

In Schwaben haben die Giganten des Kommunismus ein neues Zuhause gefunden

Schließlich machte der Tod dem Monumentsammler einen Strich durch die Zukunft

Das Leuchtfeuer des Sozialismus in Europa ist längst nicht mehr Albanien: Es ist Gundelfingen an der Brenz. Hier, im Regierungsbezirk Schwaben des westlichsten Bayern, haben die Giganten des Kommunismus eine Heimstatt gefunden vor der neuen, seit 1989 verkehrt rum dampfenden Zeit: Lenin, Stalin, der legendenumstrickte KPD-Vorsitzende Ernst Thälmann, der frühe tschechoslowakische Parteiboss Klement Gottwald und der einstige Staats- und Ministerpräsident der ČSSR, Antonin Zápotocký, erhielten an diesem Ort, auf dem Betriebsgelände der Natursteinefabrik Kurz, tonnenschweres Asyl.

In den frühen Neunzigerjahren hatte der damalige Firmenchef Josef Kurz sen. die aus Sandstein und Granit gehauenen Vertreter der etwas anderen Weltanschauung aus der abgeschafften DDR und dem verschimmelnden Ostblock eingesammelt: nicht, weil die petrifizierten Parteiführer und Revolutionäre eine billige Reserve gewesen wären für Grabsteine, Zierbrunnen und Gehwegplatten, den eigentlichen Lebenszweck eines Naturstein-Unternehmers; sondern weil der betagte Herr und bürgerliche Klassenfeind bei einer Geschäftsreise nach Mähren in plötzlicher Altersweisheit und wohl auch souveräner Siegerlaune die Kolosse als zeitgeschichtlich wertvoll und kulturhistorisch bedeutsam ansah und erfasste – und so transportierte er in den nächsten Jahren aus Jux und Dollerei an die zehn solcher Brocken direkt aus der frisch verstorbenen Weltgeschichte in sein 8.000 lebende Seelen zählendes Heimatstädtchen.

Gern hätte der Firmenchef weitere steinharte Denker und Diktatoren herangeschafft – Tito und Ceauçescu standen auf seinem roten Wunschzettel ebenso wie Marx und Engels – und einen Skulpturenpark, ja einen historischen Lehrpfad eingerichtet. Aber nicht alle Pläne wachsen in den Himmel. Nicht bloß sah sich der Firmenpatron außerstande, in Kiew einen 1.200-Tonnen-Lenin als Geschenk anzunehmen, weil die millionenschweren Transportkosten denn doch zu tief ins Gewicht gefallen wären, und auch der Erwerb des Karl-Marx-Monuments der Karl-Marx-Stadt Chemnitz blieb unerledigt in der Luft stecken. Sondern es fanden die vom bayerischen Kultusministerium erbetenen Zuschüsse für ein Museum auf Weltniveau ebenso wenig den Weg in die Firmenkasse, wie das Interesse der Gundelfinger Bürgerschaft nicht aus den Startlöchern kam; eine bolschewistische Freilichtgalerie passte ihr nicht in den 1.250 Jahre alten Tourismuskeks aus Rathaus, Spitalkirche und Burgplatz. Dann ging auch das Vorhaben zu Bruch, das marxistisch-leninistische Asylantenheim in einem Tagebaugebiet der Oberpfalz anzulegen, unterstützt von den staatlichen Bayernwerken, einem Stromlieferanten; denn die wurden, was im Kommunismus nicht passiert wäre, privatisiert.

Mitte der Neunzigerjahre machte dem Senior der Tod einen Strich durch die Zukunft. Seine Nachfolger, Geschäftsführer Gerd Kurz sowie Josef Kurz jun., begnügen sich inzwischen damit, den einen oder anderen Stalin ans Haus der Geschichte in Bonn auszuleihen, wo zurzeit die Ausstellung „Bilder und Macht im 20. Jahrhundert“ stattfindet. Das eigene Museumsprojekt aber ist zu Staub zerfallen, und Lenin & Co. ruhen in Frieden neben Ziersteinen und Gartenfigurinen. Wer auf den Autobahnen Stuttgart–München oder Hamburg–Lindau oder entlang der Donau auf dem Radwanderweg unterwegs ist, der vom Schwarzwald bis an den Neusiedler See führt, wo einst der Ostblock dem Westen die Zähne zeigte, kann jederzeit auf dem Betriebshof der Natursteinefabrik Kurz vorbeischauen. Der Zutritt ist, ganz sozialistisch, frei. PETER KÖHLER