Es geht auch anders

Vier ist Trümpf: Four Music aus Berlin ist das momentan erfolgreichste deutsche Independent-Label. Die Plattenfirma der Fantastischen Vier setzt auf langfristigen Talentaufbau und macht damit genau das, was die Majors gerade aufgeben

Four Music baut seine Künstler langfristig auf – anders als die Majorfirmen„Das Plattengeschäft ist wie Pferderennen. Erfolg ist oft unerklärlich.“ Smudo

VON THOMAS WINKLER

Es war Anfang September und Moët Chandon durfte es dann doch sein. Schließlich galt es, den bislang größten Erfolg der Firmengeschichte zu begießen. „Confidence“, das neue Werk von Gentleman, war eingestiegen in die deutschen Hitlisten und hatte auf Anhieb den ersten Platz erobert. Bezahlt hatte den Schampus Thomas Dürr. „War das ein schöner Moment“, erinnert sich Michael B. Schmidt, „unsere erste Nummer eins“.

Herr Dürr und Herr Schmidt sind ungleich bekannter unter ihren Künstler-Pseudonymen Thomas D. und Smudo, bilden eine Hälfte der Die Fantastischen Vier und sind als solche Mitbesitzer von Four Music, dem momentan erfolgreichsten unabhängigen Plattenlabel in deutschen Landen. Während die Musikindustrie seit Jahren über zurückgehende Umsätze stöhnt, vermeldet Four Music entgegen dem Branchentrend kräftige Zuwächse. „Seit 2002 haben wir den Umsatz ungefähr verdoppelt“, sagt Geschäftsführer und Teilhaber Fitz Braum, während er sich auf einem braunen Ledersofa nur ein wenig, aber doch unübersehbar selbstzufrieden räkelt.

Das Sofa steht in einer weitläufigen Fabriketage in Berlin-Kreuzberg, die mit Schreibtischen, Computern, Konzert-Plakaten an den Wänden und überfüllten Aschenbechern zur Zentrale von Four Musik umfunktioniert wurde. „Die Erwartungen von 96“, vermeldet Braum aus einer besonders tiefen Falte seines Ledersofas, „die wurden weiß Gott übererfüllt.“

Die Fantastischen 4 gründeten Four Music im Jahr 1996 vor allem als Vehikel zur Veröffentlichung eigener Solo- und Neben-Projekte. So verkaufte man das Vorhaben zumindest an die Branchenriesen, die dann auch vehement darum buhlten, die Veröffentlichungen des Fanta-Labels in die Läden bringen zu dürfen. Den Zuschlag erhielt Sony, das alte Label der Fantastischen 4, und abgeschlossen wurde ein Sub-Label-Vertrag. Als Fachmann holten sich die Fantastischen 4 ihren Entdecker Fitz Braum, der das Stuttgarter Quartett damals für die Sony aufgebaut hatte, in die neue Firma, denn, so Smudo, „wenn einer gut Musik machen kann, kann er noch lange kein Label führen“.

Im vergangenen Jahr lief der Vertrag mit Sony aus: Seit neuestem lässt Four seine Produkte über den neuen Partner Universal vertrieben, ist also tatsächlich unabhängig und nun wirklich zum Indie geworden. Zu einem allerdings recht großen Indie: Der Jahresumsatz bewegt sich auf eine achtstellige Zahl zu. Mehr als 30 Angestellte verwalten das Label mit knapp zwei Dutzend Acts, die Booking-Agentur, den Verlag und das Sublabel Yo Mama.

Im Gegensatz zu den Ärzten oder den Toten Hosen, die ihre eigenen Labels vornehmlich deshalb betreiben, um ungestört von einem großen Unterhaltungskonzern die eigenen Werke herausbringen zu können, wollten Smudo, Thomas D., die beiden restlichen Fantas Michi Beck und And.Y sowie ihr Manager Andreas Läsker von Anbeginn auch andere Künstler verpflichten. Die erste Veröffentlichung, zwei Wochen nach der offiziellen Vorstellung des Labels bei der Popkomm 1996, war ein Album der französischen HipHop-Combo Sens Unik. Seitdem hat man den Label-Katalog stetig erweitert. Hat englischsprachigen Gitarrenpop aus Berlin (Lemonbabies) herausgebracht oder Deutschrock aus Hamburg (Zinoba). Der Schwerpunkt aber liegt eindeutig auf HipHop (Blumentopf, Freundeskreis, Afrob), Reggae (Gentleman, Silly Walks Movement) und Soul (Joy Denalane, Deborah).

Die ersten Arbeitstage als Musikmanager hatte sich Smudo allerdings leichter vorgestellt. „Demos anzuhören ist eine harte Sache“, hat er gelernt, und dass es „ein populärer Irrglaube“ sei, dem er durchaus selbst einmal anhing, dass Plattenfirmen nicht in der Lage wären, wahres Talent zu erkennen: „Es gibt viel zu wenig Talente, und wenn es eines gibt, dann ist die Konkurrenz darum sehr schnell sehr groß.“

Also setzt Four Music vor allem darauf, Musik aus Deutschland auf dem deutschen Markt dauerhaft zu etablieren. Was wie eine biedere schwäbische Idee klingt, ist dieser Tage aber nachgerade revolutionär: Die neuerdings nur noch vier großen Major-Plattenfirmen setzen in der Krise auf die Konzentration der Kräfte, säubern ihre Künstlerkataloge von regionalen Acts und versuchen international kompatible Künstler weltweit durchzusetzen, um Kosten zu sparen. „Während des Booms wurde ja auch viel dummes Zeug eingekauft“, meint Braum über die weltweit operierende Konkurrenz, „die Notwendigkeit aufzuräumen ist also schon da, aber momentan wird es übertrieben.“

Während die großen Firmen also auf der Suche nach dem nächsten Millionenseller sind und etwaige Anwärter nach den ersten beiden erfolglosen Singles wieder gefeuert werden, müssen Indie-Labels die vernachlässigte Aufbauarbeit übernehmen. „Unter Umständen“, so Smudo, „muss man eine Band sechs, sieben Alben lang tragen, ohne dass einem die Puste ausgeht.“ Eine Strategie, die die Industrie lange schon nicht mehr verfolgt, die aber bei Four dazu führte, dass von den ungefähr 20 aktuellen Acts 12 als am Markt durchgesetzt gelten: Eine Quote, von der der Rest der Branche nur träumen kann. Mit Geduld und vielen Liveauftritten wurde auch Gentleman zur Nummer eins und das ganz ohne Single-Hit, wie es sonst ehernes Gesetz der Branche ist. „Wir haben auch wahnsinnig viel Glück gehabt“, gibt Braum zu, und Smudo ergänzt: „Das Plattengeschäft ist wie Pferderennen. Allzu oft ist es schlicht unerklärlich, was ein Erfolg wird. Ich beispielsweise bin der Letzte, der gedacht hätte, dass Gentleman ein Top-ten-Thema werden könnte.“

Zur Erfolgsgeschichte von Four aber trug sicherlich nicht unwesentlich bei, dass Four Music von Musikern geführt wird. „Jeder, der hier unter Vertrag ist, kann von Künstler zu Künstler reden“, erklärt Braum, „und nicht von Künstler zu Rechtsanwalt.“ So sind tragfähige Familienstrukturen entstanden: Eine der ersten Gruppen des Labels war die ebenfalls aus Stuttgart stammende HipHop-Band Freundeskreis, deren Mastermind Max Herre seine Ehefrau Joy Denalane ebenso zu Four brachte wie Gentleman, der ohne Herres Bemühungen, so Braum, wahrscheinlich nie einen Vertrag bei Four bekommen hätte. Andere erfolgreiche Veröffentlichungen stammen von Nebenprojekten der Fantastischen 4 wie Turntablerocker (Michi Beck) oder M.A.R.S. und Son Goku (Thomas D.).

Eines Tages allerdings, so Smudo, „kamen wir in Baden-Württemberg nicht mehr weiter“. Nun sollte die Entwicklung vom schwäbischen Provinz-Label zur Weltfirma eingeleitet werden, und der erste Schritt dahin war, das Stuttgarter „Medienhaus“, das Four bis heute gehört, zu verlassen und nach Berlin umzuziehen. Der vorerst letzte Schachzug ist die Anfang 2004 eröffnete Filiale in London mit drei Mitarbeitern: Das dort ansässige Label Fine Records soll Four-Produkte wie Turntablerocker oder Tiefschwarz auf der Insel lancieren. „Wenn Künstler Charakter haben“, hofft Braum, „haben sie immer eine Chance weltweit.“

Die mittelfristige Zukunft allerdings sieht Braum sehr viel skeptischer: „Musik darf nichts kosten, das sagt sogar meine eigene Schwester. So ist nun mal die Haltung in dieser Gesellschaft.“ Durch die neuen Technologien wird Musik perspektivisch gar nicht mehr besessen werden, nicht einmal mehr als illegale MP3-Kopie auf der Computer-Festplatte, sondern wird überall und jederzeit zur Verfügung stehen. Er vertraut auch nicht auf die neuen Marktsegmente, die die Industrie momentan zu entwickeln versucht: „Früher fragten die Majors: Haste einen Hit? Heute heißt es: Haste einen Klingelton?“ Vielleicht, glaubt Braum, werden Tonträger bald nur noch als Werbemittel für Konzertreisen eingesetzt, als bessere Flyer, mit denen Musiker schlussendlich nach Sponsoren-Deals Ausschau halten.

In einigen Jahren könnte womöglich das klassische Mäzenatentum eine Renaissance erleben oder die Musikindustrie organisiert sein wie der Radrennsport: Multinationale Mischkonzerne halten sich einen Rennstall aus Sängern, Rappern und Musikern, die unter den Konzern-Farben auf Werbe-Tour durch die Lande ziehen. Die Plattenfirma, wie wir sie kennen, als Produzent und Vertreiber von Musik, die wird dann der Vergangenheit angehören, auch Four Music. „Wir haben eigentlich keine Chance“, sagt Braum, „ich glaube nicht, dass wir in zehn Jahren noch mit aufgenommener Musik Geld verdienen werden.“

Noch aber ist es nicht so weit, noch kann sich Four im Glanz des eigenen Erfolgs räkeln. Nur Gentleman durfte sich nicht allzu lange freuen über seine Top-Position in den deutschen Album-Charts. Nach nur zweiwöchiger Regentschaft wurde er abgelöst am Platz an der Sonne – von seinem Mentor und Label-Kollegen Max Herre. Braum versichert zwar, „uns geht’s nicht so sehr um die Nummer eins, wir sind ja nicht beim Sport“. Aber an den Champagner, an den kann man sich sicherlich gewöhnen.