Post für Putin

Der russische Präsident wird scharf angegriffen. Der reagiert wie gewohnt: gar nicht

AUS MOSKAU KLAUS-HELGE DONATH

In einem offenen Brief an die Regierungschefs der EU- und Nato-Mitgliedstaaten haben zahlreiche namhafte Intellektuelle und Politiker aus den USA und Europa die nachsichtige Politik des Westens gegenüber dem sich zunehmend autoritär gebärdenden Kreml-Chef Wladimir Putin kritisiert. In der Vergangenheit habe der Westen „viel zu häufig geschwiegen in der Hoffnung, dass Präsident Putins Schritte in die falsche Richtung zeitlich begrenzt“ seien, heißt es in dem gestern veröffentlichten Brief. Es sei zu befürchten, dass die Eingriffe des Kreml-Chefs in den bisherigen Staatsaufbau nach der Geiselnahme von Beslan auf weitere Machtkonzentration und den Ausbau autoritärer Herrschaft hinausliefen.

Da die zurückhaltende Strategie im Umgang mit Russland fehlgeschlagen sei, müsse der Westen das Verhältnis zu Russland neu überdenken und sich ohne Wenn und Aber auf die Seite der demokratischen Kräfte schlagen, schließen die Autoren.

Zu den prominentesten Unterzeichnern des Briefes gehört der US-Politiker Joseph Biden. Er sitzt für die Demokraten im amerikanischen Senat und gilt wie sein republikanischer Kollege und Mitunterzeichner John McCain als profilierter Außenpolitiker. Mit von der Partie ist auch Richard Holbrooke. Im Falle eines demokratischen Wahlsieges bei den Präsidentschaftswahlen werden Holbrooke gute Chancen als zukünftiger Außenminister eingeräumt. Auch der ehemalige Präsident der Tschechischen Republik Václav Havel, Polens früherer Außenminister Władysław Bartoszewski und Bronisław Geremek sowie Schwedens Expremierminister Carl Bildt haben den Brief unterschrieben. Prominenteste Deutsche sind Grünen-Chef Reinhard Bütikofer und der außenpolitische Sprecher der CDU/CSU-Fraktion Friedbert Pflüger. Die europapolitische Sprecherin der FDP, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, und Grünen-Europaabgeordneter, Cem Özdemir, haben den Brief ebenfalls unterzeichnet. Führende Sozialdemokraten stehen dagegen nicht auf der Absenderliste.

In Russland ist die Mahnung offiziell nicht zur Kenntnis genommen worden. Nur der noch unabhängige Radiosender Echo Moskwy und einige Internetdienste gaben den Inhalt des Briefes wieder. Die gleich geschalteten elektronischen Medien verschwiegen die Initiative, und auf die Schnelle wollten sich auch die Pressechefs verschiedener politischer Institutionen gestern nicht zu dem Appell äußern.

Lediglich die Liberaldemokratische Partei (LDPR) des Chauvinisten Wladimir Schirinowski kommentierte auf Anfrage ad hoc: „Der Westen spricht von Partnerschaft, stellt uns aber hinterrücks ein Bein“, meinte Pressesekretär Pawel Welikanow. Im Westen wisse man nicht, was in Russland tatsächlich passiere, und unterstütze Kräfte, die das Land zerstörten. Im Interesse des Staates sei ein „Rückzug von der Demokratie“ zurzeit vonnöten.

Eduard Lasanski, Präsident der amerikanischen Universität in Moskau, hält die Initiative für ein „politisches Manöver“, das weniger mit Russland als mit dem US-Präsidentschaftswahlkampf zusammenhänge.

Grundsätzlich sind die Möglichkeiten des Westens, auf die Politik des Kreml direkt Einfluss zu nehmen, eher gering. Darin sind sich die meisten liberalen Beobachter in Russland einig. Dennoch ist die Rolle als Mahner und moralische Instanz, die der Westen noch in Zeiten des Kalten Krieges innehatte, für die Überlebenschance demokratischer Opposition und zivilgesellschaftlicher Ansätze nicht zu unterschätzen.