Mode der Verunsicherung

Auf dem dritten transart-Festival in Trient präsentierte sich die Modedesignerin Lisa D. als gesellschaftskritische Performance-Künstlerin. Wo körperliche Schönheitsideale über humanistische Grundsätze gestellt werden, greift sie mit gestickten Slogans und Pillen-Applikationen zu

Handgefertigte Häkelkleider, in Gold mit „Schlank gegen Hunger“ bestickt

VON MEIKE JANSEN

In einer Bushalle am Stadtrand von Trient ist ein imposanter Catwalk aufgebaut. In sicherer Entfernung versammelt sich eine Gruppe Busfahrer, die das ungewohnte Treiben der Ton- und Lichttechniker wie der Musiker beäugen. Die größte Aufmerksamkeit ziehen jedoch die Models auf sich, die für die „Global Concern“-Schau mit ihren Körpern nicht nur Mode, sondern auch gesellschaftsrelevante Themen auf den Laufsteg bringen werden. Ihnen zu Füßen sitzt ein kunstinteressiertes Publikum in Polohemd und Kaschmirpulli.

Hier in Trient und in fünf weiteren Orten Südtirols findet bereits im dritten Jahr das transart-Festival statt. Etwa vier Wochen lang werden im Spätsommer zwischen Bruneck und Rovereto künstlerische Positionen gezeigt, die Musik, Kunst oder gar Mode verknüpfen und so konservative Ordnungssysteme verunsichern. Die Drohung der Kulturpolitiker der rechten Liga Nord, keinen Fuß über die Schwelle des Festivals zu setzen, ist leicht zu verschmerzen, vor allem angesichts der öffentlichen Gelder, mit denen das Festival endlich unterstützt wird.

Der Künstler Maurizio Cattelan, größeren Kreisen durch die kleine Figur eines knienden Hitlers bekannt, hinterließ als Dank für die ihm verliehene Ehrendoktorwürde einen Esel im Eingangsbereich der soziologischen Fakultät. Das brachte die Stadt Trient bereits im Frühjahr in die internationalen Feuilletons. So ist sie der ideale Ort für die „Global Concern“-Schau von Lisa D. Die Modedesignerin, die in Berlin und Graz arbeitet, änderte für diesen Rahmen ihre bereits für den Steirischen Herbst entwickelte „Dry Clean Show“ in eine Melange aus Modenschau und Konzert, in der gesellschaftskritische Aspekte an die KonsumentInnen gebracht werden. Zumindest dann, wenn deren Blicke nicht allein an den schönen Körpern der Models kleben blieben. Dabei waren es zunächst die Models selbst, denen der Schaum vor dem Mund stand. Zähneputzend liefen sie den Steg hinauf. „Fight war – feel good“, so stand es auf schwarzen Morgenmänteln.

Wären da nicht die Musiker am Kopf des Catwalk gewesen, die den Raum warnend mit einer noisigen, sirenenartigen Komposition füllten, hätte man noch auf eine dramatische Firmenpräsentation schließen können. Tatsächlich aber nahm ein Abend voller Brüche seinen Lauf, der in seinen Bildern und Tönen keine Ecken und Kanten scheute. Der Saxofonist Burkhard Schloterhaus, ehemaliger Gewinner des ARD-Popnachwuchspreises, begrüßte die Gäste mit einem beschwingten Blues und verdeutlichte nicht nur, dass das Ensemble Zeitkratzer gerne spielerisch die engen Grenzen Neuer Musik überschreitet, sondern leitete auch ein, was die folgende Stunde brachte: Global Concern/Transforming Evil into Chick.

Die moderne „Pest“ zum Beispiel betrat die Bühne: „Pest“ war der Schriftzug auf ihrem üppigen Sonnenschirm, der eher einer absurden Anhäufung von Solarzellen glich und Sehnsucht nach Reichtum durch eine politisch korrekte, dennoch sexy Oberfläche visualisierte. Im Verlauf wurde immer mehr deutlich, wie Lisa D. ihre Kreationen mit Verweisen auf das kapitalistische Wirtschaften und das Leiden und Sterben von Millionen von Menschen besetzt hatte. SARS prangt es auf farbig abgesetzten Pillen in einem Gewebe aus Medikamenten-Blisterpackungen, das wie eine Atemmaske vom Gesicht bis zu den Knien fiel. AIDS hieß es alsdann auf einem großen Umhang des Schweigens. Und tatsächlich hat wohl kaum eine Marketingpolitik von Pharmakonzernen so vielen Menschen das Leben gekostet. Doch das Denken beginnt bekanntlich vor der eigenen Haustür, wo das Bewusstsein für diese Krankheit immer schneller schwindet.

Es folgten handgefertigte Häkelkleider aus sich auflösendem, schwarzem Wollgewebe in Gold und Silber mit „Schlank gegen Hunger“ bestickt, und weiße Tutu-Kleider aus Organdy von Ikea, verziert mit den Bildern einer Vierjährigen. Models mit Backsteinen auf dem Kopf und farblosen Plastikmasken stöckelten, den Jugend- und Schönheitswahn anprangernd, in Highheels als wandelnde Bausätze über den Steg. Dabei schwoll die zunächst so fröhlich anmutende Musik immer bedrohlicher an und trieb die Models fast ins Straucheln. Mit virtuosen Klezmersounds wurde so der Bogen zu einem Regime geschlagen, das körperliche Ideale über humanistische Grundsätze stellte. Marc Weisers herzensbrecherischer Gesang bot danach nur eine vermeintliche Ablenkung, dass politische Statements versteckt in Emotionen verkauft werden, ist buisness as usual.

Und so wurde auch in den verbleibenden Minuten eine Show geboten, die noch später am Abend immer wieder die Geister verunsicherte oder polarisierte. „Global Concern“ ist eine unterhaltsame Verflechtung aus Haut Couture Show und audiovisueller Performance, aus sexy Körpern und Stichen ins bürgerliche Wohlgefühl, mit Liebe zum Detail und Mut zur Improvisation inszeniert.