Miami Bass um die Welt

Die Rückkehr der Körperlichkeit: Der Produzent Wesley Pentz alias Diplo lebt in Florida und dockt von hier an die musikalischen Genres an, die sich der Feier des Bass verschrieben haben

Diplo arbeitet mit dem Treibgut, das an die Bottom Line der USA gespült wurdeEr vermischt die Stile der weltweiten Bass-Kultur zu einem eigenen Entwurf

VON UH-YOUNG KIM

Florida ist einer der seltsamsten Staaten der USA. An die Sümpfe der Everglades grenzt das Plastikreich von Disney World, und rund um das Kennedy Space Center der Nasa haben sich Horden von Rentnern angesiedelt, um ihre letzten Runden im Auto zu drehen, in den zahllosen suburbanen Wohngegenden, die den Sümpfen abgetrotzt wurden, haben sich die Alligatoren in die Drainagekanäle zurückgezogen, Alligatorenjäger müssen sie regelmäßig aus den Vorgärten entfernen. Der „swing state“, in dem sich Bush seine Präsidentschaft erschlich, wurde in den letzten Monaten von drei Wirbelstürmen bedroht. Schaltet man das Musikfernsehen ein, war bei den Sendungen rund um die Verleihung der diesjährigen MTV Awards in Miami von Hamsterkäufen allerdings nichts zu sehen. Im Gegenteil: Die Stars des neuen HipHop-Hypes namens Crunk feierten maßlos die Übernahme der Charts. Seitdem weiß die Welt, dass selbst Bruce Willis down mit dem Dirty South ist.

Diplo wird mit Sicherheit nie Teil dieses kontrollierten Glamour-Trashs werden. Unterhalb des Mainstream-Radars bastelt der 25-jährige DJ-Producer Wesley Pentz an der Vernetzung der jüngsten Paralleluniversen der HipHop-Kultur. Statt in die Standardkulissen des gemästeten Pop-Betriebs hat ihn seine Reise vom Süden Floridas in die Favelas von Rio de Janeiro und Londoner Grime-Studios bis in den Pariser Club Tryptique geführt. Hier fächert er zur Veröffentlichung seines Debütalbums ein DJ-Set auf, in dem er Rap-Weißmuster, Achtzigerhits und Elektronisches nahtlos aufeinander faltet.

Im Gespräch fällt dem ehemaligen Lehrer, Dokumentarfilmer und gelegentlichen Journalisten zwar nicht mehr so genau ein, warum er sich nach dem Dinosaurier Diplodocus benannt hat, wohl aber, warum sein Erstlingswerk „Florida“ heißt. Aufgewachsen auf der Alligator Alley und infiziert sowohl vom beschleunigten Miami Bass Electro als auch dem schleppenden Sound von Crunk verdankt er den Obskuritäten seines Heimatstaates die verquere Einzigartigkeit seiner Musik. Er macht sich aber auch karibisches und transatlantisches Treibgut zu Eigen, das an die bottom line der USA. gespült wurde.

Auf dem Album findet sich der erste Versuch, die regionalisierten Stile des HipHop in einem persönlichen Entwurf zusammenzuführen. Nachdem die elektronische Clubkultur mit dem britischen Hybriden 2Step zur Jahrtausendwende kräftig baden ging und sich ihre Geschichte fortan in Revivals aus Disco, New Wave und Acid wiederholt, rollt aus den verschiedensten Straßen der Welt eine massive Innovationswelle der Basskultur an. Im Süden der USA. rasten bedröhnte Kids zu billig brummender Rapmusik ohne Hirn aus, in London wetteifern MCs und Produzenten der Grime-Szene um die kränksten Styles, und aus den Wellblechhütten von Rio de Janeiro erklingt mit Baile Funk eine archaisch-futuristische Musik wie aus einem Cyberpunk-Roman von William Gibson.

Gemeinsam ist diesen Paralleluniversen die Wiederentdeckung der Körperlichkeit, die sich nachträglichen Textexegesen entzieht und eine physische Intensität auf der Tanzfläche fordert. Bei seinem Besuch in Rio erkannte Diplo im Baile Funk eine Weiterentwicklung von Miami Bass und Ähnlichkeiten zu seiner eigenen Produktionsweise. Jenseits des Wettlaufs um die neuesten Plug-ins verhackstückt er Samples mit gecrackten PC- Programmen. Die Methode ist so billig und eingeschränkt, dass Produzenten wieder zur Kreativität gezwungen werden. Herauskommen kann dabei ein dreckig rockender Dance-Hybrid wie „Diplo Rhythm“, der zwischen einer Kraftwerk-Nummer und halb so schnellen Stop-&-Go-Beats wechselt, während darüber Dancehallstar Vybez Cartel, die Britin Sandra Melody und die brasilianische Crew Pantera Os Danadinhos singen.

Weitere Albumgäste wie die Tricky-Sängerin Martina Topley-Bird überschreiten darüber hinaus Style-Dogmen. An den Plattenspielern jongliert Diplo mit musikalischen Referenzen regelmäßig auf der Hollertronix-Reihe in seiner Wahlheimat Philadelphia. Indem der DJ dabei – unbekümmert von Peinlichkeiten, dafür mit umso mehr Finesse – regionale und zeitliche Bindungen aufhebt, vereint er das Partyvolk aus den Projects mit KunststudentInnen aus Downtown auf dem Parkett. Genauso ist die HipHop-Kultur Anfang der Achtzigerjahre groß geworden. Ihren jüngsten Sprößlingen bereitet Diplo hier einen von schnelllebigen Hypes freien Entfaltungsraum.

Ein Dance-Album ist „Florida“ dennoch nicht geworden. Es atmet vielmehr die schwüle, unterschwellig vibrierende Psychedelik der Mangrovengründe. In dieser Ursuppe hat Diplo angefangen, die Geisterorchideen der Basskultur aufzuspüren und miteinander zu kreuzen.

Diplo: „Florida“ (Big Dada/Rough Trade)